Wie lange noch Soja-Import aus Brasilien?
30. August 2021Vor über drei Jahrzehnten fasst der Landwirt Wilhelm Eckei einen Entschluss, dessentwegen ihn alle seine Nachbarn und Kollegen für komplett verrückt erklären. Was für eine Zeit: Es ist 1989, die Berliner Mauer steht noch und die Grünen sitzen seit gerade einmal sechs Jahren im Bundestag.
Eckei schickt sich an, den Familienbetrieb im Sauerland von seinem Vater zu übernehmen und träumt von einer anderen Landwirtschaft. Er will den Bauernhof komplett auf links drehen: mehr Nachhaltigkeit, mehr auf das Wohl der Tiere achten, keine Antibiotika, keine Futtermittel aus dem Ausland. Eckei wird zum Pionier, ist der erste Bauer in Deutschland, der sich das sogenannte Neuland-Programm für tiergerechte Haltung zu eigen macht. Und damit, wenn man so will, der erste Biobauer hierzulande.
"Damals begann die Kritik an der Tierhaltung in die Ställen, die Kühe und Schweine sahen ja damals noch nicht einmal Tageslicht, und wir wollten einen anderen Weg gehen als hin zu immer mehr Wachstum. Gut, dass wir damals nicht den ganzen Tratsch im Dorf mitbekommen haben, wir sind mit Sicherheit ganz schön verrissen worden", sagt der heute 59-Jährige mit einem Lachen.
Auch Supermarktbetreiber denken mittlerweile um
Auf seinem Bauernhof tummeln sich heute 280 Schweine und 35 Rinder, artgerecht gehalten mit viel Auslauf, die Schweine tapsen auf Stroh, die Kühe grasen auf einer saftigen grünen Wiese. 1000 Hennen legen täglich ihre Eier für den Direktverkauf, dazu kommen 800 Masthähnchen, die wie alle Tiere bei einem regionalen Metzger geschlachtet werden.
Eckei, am Anfang noch als Exot belächelt, hat eine ökologische Bewegung mit angestoßen, der sich jetzt noch nicht einmal die Discount-Supermärkte verwehren. "Auch Aldi und Lidl glauben ja mittlerweile daran, dass die Menschen etwas alternativ Produziertes auf dem Teller haben möchten." Immerhin jeder achte Bauer in Deutschland hat Stand heute auf ökologische Landwirtschaft umgestellt.
Biobauer Eckei stellt Eiweißfutter selbst her
Zu dieser grünen Welle gehört auch, die Tiere mit einheimisch produziertem Futtermittel zu versorgen. Und nicht etwa mit Soja aus Brasilien, für dessen Anbau massiv Regenwald abgeholzt wird. Wilhelm Eckei erklärt stolz das Rezept für seinen Eiweißmix: "Bohnen, Erbsen, Getreide und Kartoffeln. Und Rapsschrot. Wir pressen den Raps für das Öl aus und die Reste wandern ins Viehfutter."
In der konventionellen Landwirtschaft wird dagegen weiterhin auf Soja aus Brasilien gesetzt, das importierte Futtermittel ist schlichtweg preisgünstiger. "Das Soja aus Südamerika ist schon ein sehr gutes Futter, da bekommt der Landwirt seine Schweine mit wenig Geld günstig mit aufgezogen." Die Produktion aus eigener Hand kostet Eckei jeden Tag Zeit und Geld, die Mehrkosten legt er auf den Verbraucher um.
Deutsche Schweine futtern brasilianisches Soja
Den Biobauern, der auf seinem Hof nach der Flüchtlingskrise 2015 auch einen syrischen Landarbeiter angestellt hat, treibt vor allem eines um: Er will nicht, dass durch seine Tierhaltung ein einziger Baum gefällt und der Klimawandel forciert wird. Den Schulklassen, die seinen Hof besuchen, erklärt er, dass Deutschland wegen des Futters für seine Tiere Bauern in Südamerika die Existenzgrundlage entzieht, weil diese von den Großkonzernen enteignet und vertrieben würden.
"Für die meisten Landwirte in Deutschland sind Brasilien und die Probleme der Menschen dort weit weg", sagt Eckei, der sich seit Jahrzehnten in der "Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft" engagiert. Die Interessenvertretung für kleine und mittlere Betriebe und mehr Umweltverträglichkeit, ein Gegengewicht zum mächtigen und konservativen Deutschen Bauernverband. "Die Flächen für den Sojaanbau, die man hier nicht hat, nutzt man dann einfach in anderen Teilen der Welt. Das muss aufhören, denn die Bevölkerung hier will eine andere Landwirtschaft."
Forderungen nach strengem EU-Lieferkettengesetz
Die will auch Anton Hofreiter, spätestens seit er 2015 mit eigenen Augen die gigantischen und schier endlosen Soja-Anbaufelder in Brasilien gesehen hat, die bis zum Horizont reichen. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete ist der Politiker in Deutschland, der am vehementesten dafür eintritt, das derzeitige Agrar-Geschäftsmodell mit Südamerika besser heute als morgen zu beenden.
"Wir wollen kein Soja mehr aus Gebieten wie Brasilien importieren, die für den Anbau Regenwälder abholzen. Daher fordern wir eine verbindliche EU-Gesetzgebung für Lieferketten, die frei sind von Menschenrechtsverletzungen, Entwaldung und anderer Umweltverbrechen", sagt Hofreiter, "zudem ist es auch wichtig, dass wir unsere Abhängigkeit von Futtermittelimporten verringern, zum Beispiel durch den Anbau von alternativen Futterpflanzen in Europa."
Illegal produziertes Soja landet in deutschen Futtertrögen
Aktuell versorgen sich gerade einmal fünf Prozent der europäischen Landwirte mit Soja aus einheimischer Versorgung, so wie Wilhelm Eckei. Der Import von Sojabohnen aus Brasilien dagegen erreicht Jahr für Jahr neue Rekordwerte. Wobei dafür jährlich zwei Millionen Tonnen Soja, also ein Fünftel der Importe in die EU, auf illegal gerodeten Flächen angebaut werden.
Hofreiter hat nach seinem Besuch in Brasilien ein Buch über die "Fleischfabrik Deutschland" geschrieben, wie also die Massentierhaltung die Lebensgrundlagen der Menschen zerstört. Die Bilder aus Südamerika gehen ihm bis heute nicht aus dem Kopf, Agrarprodukte aus gerodeten Waldgebieten im Amazonas müssten schnellstens mit einem Importstopp belegt werden.
Modell der freiwilligen Selbstverpflichtung gescheitert?
Die Deutsche Umwelthilfe beklagt, dass kein einziges Unternehmen, sei es Aldi, Edeka oder Kaufland, das gesamte in der Lieferkette verwendete Soja lückenlos bis zur Anbauregion zurückverfolgen kann. Ein starkes Lieferkettengesetz und ein Gesetz gegen importierte Entwaldung seitens der EU müsse dringend her. Doch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner von der CDU setzt lieber auf freiwillige Selbstverpflichtungen statt auf gesetzliche Vorgaben.
"Wenn die Politik Deutschlands und der Europäischen Union so weitergeht, wird die Zerstörung der Regenwälder weiter zunehmen. Europa ist der größte Markt für Soja weltweit. Wenn wir also unsere Politik ändern, haben wir zumindest die Chance, Druck auf den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro auszuüben und somit etwas zu bewirken", sagt Anton Hofreiter.
Ein Blick nach Brasilien zeigt, dass das alles nicht ganz so einfach wird.
Früher unwirtliche Region, jetzt Wirtschaftsmotor: Bundesstaat Mato Grosso
Mato Grosso, der Bundesstaat im mittleren Westen, heißt übersetzt "Dichter Wald". Als Wilhelm Eckei sich 1989 entscheidet, auf ökologischen Landbau zu setzen, gilt die Region an der Grenze zu Bolivien noch als unzugänglich und wirtschaftlich unrentabel. Heute ist die Provinz, auf einer Fläche zweimal so groß wie Spanien, der größte Sojaproduzent des Landes und wirtschaftliche Motor Brasiliens. "Grünes Gold" nennen sie hier die Ernte. Der Preis: von dem dichten Wald bleibt bald nur noch der Name, er verschwindet im Rekordtempo.
Die großen Unternehmer haben den Spitznamen "Sojakönige", und die reiben sich schon die Hände, wenn sie an das nächste Jahr denken. Heerscharen an Arbeitern sind gerade dabei, den Erdboden vorzubereiten, im Oktober beginnen die Pflanzen zu wachsen. 136 Millionen Tonnen Getreide sollen 2022 in Brasilien geerntet werden, prognostiziert die staatliche Gesellschaft für Versorgung, Conab. Dreimal so hoch wie die Getreideernte in ganz Deutschland.
Wer die Schnellstraße BR-163 durch Mato Grosso entlangfährt, sieht kilometerlange Anbauflächen für Soja, die sich sogar in die Stadtgebiete hineinfressen. Als höchste Gebäude ragen die massigen Silos in den Himmel, in denen die Sojabohnen gelagert werden. Zugleich trifft man auf eine Mauer des Schweigens: der Vertreter des Sojaproduzentenverbandes Aprosoja will der Deutschen Welle kein Interview zum Thema geben. Die Verantwortlichen reagieren zunehmend genervt auf den Vorwurf der Umweltzerstörung. Kein Wunder, sind sie doch in Erklärungsnot: 88 Prozent der Rodungen sind laut Statistiken illegal.
Kleinbauern chancenlos gegen mächtige Soja-Agrarlobby und den Präsidenten
Viele Menschen profitieren von dem Soja-Boom in Mato Grosso, Landwirte wie Marciano Manoel da Silva sind in der Minderheit. Da Silva versucht den Weg von Wilhelm Eckei in Brasilien zu gehen, ökologische Landwirtschaft in Südamerika voranzutreiben, eine Mammutaufgabe. Er baut Gemüse ohne den Einsatz von Pestiziden im Städtchen Cláudia an und ist vollkommen desillusioniert: "Wir hatten die Hoffnung, gerade hier am Amazonas auf gesunde und nachhaltige Weise produzieren zu können."
Der Druck auf Bauern wie da Silva und seine Kollegen von der sozialen Bewegung "Landless Workers Movement", kurz "MST" wächst, es ist ein wenig wie der Kampf zwischen David und Goliath. "Wir werden ständig von der mächtigen Agrarindustrie bedrängt, oft mit falschen Versprechungen, eine Farm zu mieten und endlich wie alle Sojabohnen anzubauen." Denn der Hunger nach dem "grünen Gold" ist riesig, und das vor allem in China. Mittlerweile wandert knapp die Hälfte des geernteten Soja ins Reich der Mitte.
Auf Unterstützung von der Regierung in Brasilien kann Marciano Manoel da Silva lange warten: Dort regiert schließlich der Mann, der alle bürokratische Hürden für den massiven Sojaanbau aus dem Weg räumt, Produzenten gegen Umweltschützer in Schutz nimmt und Unsummen von Geld in die Infrastruktur von Mato Grosso pumpt, wie die Asphaltierung der BR-163: Präsident Jair Bolsonaro.
Bolsonaros Feldzug gegen die Umwelt
"Bolsonaro ist ein Feind des Umweltschutzes, er führt einen Krieg gegen die Natur, die indigenen Ureinwohner, die Umweltschützer und die Wissenschaft. Mit denen, die den Regenwald abholzen, ist er zudem eng verbunden. Es gibt unter Bolsonaro keinen Willen, den Raubbau an der Natur zu stoppen. Diejenigen, die immer noch hoffen, Bolsonaro würde sich angesichts internationalen Drucks zum Umweltschützer wandeln, sind auf dem Holzweg", sagt Carlos Rittl.
Der Umweltschutz in seiner Heimat ist die Lebensaufgabe des Wissenschaftlers, jahrelang hat er für Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder WWF sowie der Beobachtungsstelle für das Klima in Brasilien gearbeitet. Vor einem Jahr, mitten in der Corona-Pandemie, kam Rittl nach Deutschland, forscht seitdem am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Ein sperriger Name, einfacher gesagt: eine Denkstätte für mehr Nachhaltigkeit in der Welt.
Das Abkommen zwischen EU und Mercosur mit dem Hindernis Bolsonaro
Bolsonaro verfolgt ihn auch in Deutschland, denn Carlos Rittl hat zusammen mit anderen Wissenschaftlern eine vielbeachtete Studie vorgelegt: Wie könnte man das Abkommen in Umweltfragen verbessern, über das zwei lange Jahrzehnte verhandelt wurde und über das seit Juni 2019 grundsätzlich politische Einigung besteht? Der Handelsvertrag zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay.
Rittl hat die konkreten Vorschläge, gemeinsamen Handel zu treiben, ohne gleichzeitig den Regenwald zu zerstören, an alle Politiker der Europäischen Union und des Europäischen Parlaments geschickt. Erst wenn alle 27 Mitgliedsländer dem Abkommen zustimmen, kann es in Kraft treten.
Der Umweltexperte sagt: "Bolsonaro ist das größte Hindernis für die Ratifizierung des Vertrages, nicht einmal die wirtschaftliche Rezession kann das ausgleichen. Stand heute wäre der Deal für Brasilien: 11.000 Quadratkilometer abgeholzter Regenwald pro Jahr, und gleichzeitig der Vorteil, durch ein Abkommen Produkte ohne Steuern und Zölle in die EU zu exportieren."
Gebannter Blick auf die Wahlen in Brasilien Ende 2022
Deswegen werden immer mehr Stimmen in der Europäischen Union laut, das Freihandelsabkommen doch lieber platzen zu lassen. Nach der Bundestagswahl in Deutschland mit einer möglichen Regierungsbeteiligung der Grünen hätte der Deal einen weiteren prominenten Gegner. Bisher tritt vor allem Frankreich auf die Bremse, um die einheimische Landwirtschaft zu schützen, während Spanien, Portugal und Schweden die Ratifizierung forcieren.
2022, ein Jahr nach den Wahlen in Deutschland, könnte das entscheidende Moment für das Freihandelsabkommen sein. Dann hat der Vertrag alle Gremien der 27 EU-Mitgliedsländer durchlaufen. Und im Herbst stellt sich der brasilianische Präsident Bolsonaro zur Wiederwahl. Carlos Rittl wird, ob in Brasilien oder noch in Deutschland, kräftig mitzittern: "Bolsonaros Agenda lautet: zerstören, dann Soja pflanzen oder Weideflächen für Vieh schaffen und am Ende Kasse machen. Damit muss Schluss sein im 21. Jahrhundert."