Wie Maduro Weihnachten einfach mal vorverlegt
21. Oktober 2020Eigentlich fällt der erste Advent auf den 28. November. In Venezuela hat die Weihnachtszeit dagegen schon am 15. Oktober begonnen, zumindest nach dem Willen Nicolás Maduros. Venezuelas De-facto-Präsident - seine Wiederwahl im Jahr 2018 wird wegen mutmaßlicher Wahlfälschung von vielen Staaten nicht anerkannt - hat schon öfter ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen, um die Armut im Land zu bekämpfen, die Wirtschaft anzukurbeln oder von Problemen abzulenken. 2017 riet er zum Beispiel der Bevölkerung, Kaninchen gegen den Hunger zu züchten.
Auch das Weihnachtsfest wurde aus politischen Gründen schon öfter vorgezogen. Der Staatssender VTV bestätigte nun mit einem Foto von Maduro, seiner Frau und etwas Weihnachtsdeko den Entschluss des Machthabers, dass auch dieses Jahr die heimelige Stimmung des Advents schon im Oktober beginnen soll.
Gleichzeitig nannte Maduro Maßnahmen, die zum Jahresende die Wirtschaft ankurbeln sollen - von Mikrokrediten für kleine und mittlere Unternehmen bis hin zur Wiedereröffnung touristischer Einrichtungen. Auf seinem eigenen Twitter-Account heißt es, er habe Mittel freigegeben, um zehn Millionen Spielzeuge für "unsere Kinder" zu kaufen. "Lasst uns jedem Sohn und jeder Tochter des Landes Hoffnung, Freude und ein Lächeln schenken."
Was genau es nun heißen soll, dass Weihnachten vorgezogen wird, bleibt bei all den Ankündigungen unklar. Anhand der Medienberichte der vergangenen Tage könnte man fast den Eindruck gewinnen, die Heilige Nacht sowie der erste und zweite Weihnachtsfeiertag fänden an einem anderen Datum statt - doch dem ist nicht so, wie der Venezuela-Referent des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Reiner Wilhelm, erklärt: "Die Kirchenvertreter in Venezuela wissen mit dieser Ankündigung nichts anzufangen. Der liturgische Kalender ist fest vorgegeben, an den Weihnachtsfeierlichkeiten wird sich nichts ändern."
Ablenkungsmanöver in der Krise
Auch die Bevölkerung ist irritiert. María Benitez aus dem Bundesstaat Zulia ist überzeugt: "Der Advent ist zeitlich festgelegt und fängt nicht dann an, wenn Maduro Lust dazu hat. Und was die wirtschaftlichen Maßnahmen und Boni betrifft: Bei dem dürftigen Gehalt, das wir verdienen, wird das wenig bringen." Für die meisten Venezolaner, so die 36-jährige Lehrerin, werde es ein trauriges Weihnachten. Dem kann Pablo Alcántara aus Merida nur zustimmen. Der 70-Jährige findet es sogar zynisch, angesichts der tiefen Wirtschafts- und Versorgungskrise, in der Venezuela steckt zu beschließen, jetzt sei Weihnachten. "Die Leute leben hier von Tag zu Tag und kämpfen sich durch. Denen ist es egal, welches Datum ist, ob nun Weihnachten, Karneval oder etwas anderes."
Aus Mangel an Devisen und wegen zahlreicher Sanktionen kann das Land mit den größten Ölreserven der Welt schon seit Jahren kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs importieren. Die Corona-Pandemie hat die Krise noch verschärft. Immer wieder fällt der Strom aus, selbst Benzin und sauberes Trinkwasser sind mittlerweile Mangelware.
Zuletzt hatte es deshalb wieder Proteste gegeben. Auch würden derzeit wieder verstärkt Venezolaner versuchen, das Land zu verlassen, so Venezuela-Referent Wilhelm. Er betrachtet das Vorziehen der Weihnachtsfeierlichkeiten in dieser prekären Situation als politisches Ablenkungsmanöver: "Zum einen will Maduro nach außen Normalität und Alltag suggerieren. Und im Land selbst soll das Einläuten der Zeit der Nächstenliebe und die Ankündigung von zusätzlichen Hilfen den Menschen Hoffnung geben, sie beruhigen."
Bewährtes Mittel
Neben der angespannten Lage an sich könnte auch die für den 6. Dezember geplante Parlamentswahl ein Grund sein, warum Venezuelas Machthaber sich gerade jetzt veranlasst sieht, Entspannungszeichen an seine Landsleute zu senden. Das Parlament ist in Venezuela die einzige staatliche Institution, die noch von der Opposition kontrolliert wird. Das könnte sich nun, da viele Oppositionelle die Wahl aus Protest boykottieren wollen, ändern. Über viele Kompetenzen verfügt das Parlament allerdings ohnehin nicht mehr, seit Maduro diese auf eine regierungstreue Verfassungsgebende Versammlung übertragen hat.
Bereits 2013, als Kommunalwahlen anstanden, und 2019 im Angesicht von Protesten, hatte Maduro sich entschieden, die Weihnachtszeit vorzuverlegen. Die damit verbundenen Reden vom Zusammenhalt der Venezolaner und das Versprechen von Hilfen scheinen das Patentrezept des Maduro-Regimes zu sein, um die Bevölkerung bei der Stange zu halten.
Bei Blanca Montero aus dem Bundesstaat Miranda hat Maduros diesjährige Weihnachtsankündigung jedenfalls verfangen. "Die Zeiten sind für uns wegen COVID-19 sehr schwierig, mein Präsident unternimmt große Anstrengungen, damit wir ein frohes Fest haben." Wegen der Extrahilfen und Boni sei es "die beste Zeit des Jahres", so die 67-jährige Hausfrau.
Spiel auf Zeit
Wie jedoch in den nächsten Wochen die Wirtschaft - wie von Maduro angekündigt - wieder in Schwung kommen soll, ist unklar. Denn am venezolanischen Pandemie-Sonderweg will er weitgehend festhalten. Seit Juli wechseln sich in dem südamerikanischen Land sieben Tage, in denen nur Arbeiten in systemrelevanten Bereichen gestattet sind, mit jeweils sieben Tagen der Lockerungen ab. Die versprochenen Mikrokredite und die Öffnung touristischer Einrichtungen - für welche Touristen überhaupt? - werden wohl kaum nennenswerte Auswirkungen auf die seit Jahren am Boden liegende Wirtschaft Venezuelas haben.
Das Einschwören auf die Weihnachtszeit mag die Bevölkerung für den Moment ruhigstellen - doch damit verschaffe sich das Regime höchstens etwas Zeit, glaubt Wilhelm vom Hilfswerk Adveniat. "Das ist nicht nachhaltig, so kann es nicht ewig weitergehen."
Mitarbeit: Oscar Schlenker, Caracas