Mit Gruppentherapie gegen die Klimaangst
28. November 2019"Was stirbt da gerade, tief in deinem Inneren?"
Die Frage wäre heikel genug, wenn sie der beste Freund abends in der Kneipe beim fünften Bier stellen würde. Aber wenn sie von einer fremden Person gestellt wird, in einem Konferenzraum mit vielen anderen, unbekannten Menschen, dann bringt sie einen so richtig aus der Fassung.
Und es kommt noch schlimmer. Denn geschlagene zehn Minuten lang schaut dich dein Gesprächspartner an und wiederholt immer und immer wieder die gleiche Frage, auf die dir jedes Mal eine neue Antwort einfallen soll. Aber es funktioniert: Irgendwann siegt die Unnachgiebigkeit des Fragestellers über das blöde, stumpfe Gefühl, das man bei der ganzen Sache hat. Und es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich mit seinen eigenen Verlustängsten wirklich auseinanderzusetzen. Das ist zumindest die Idee hinter der ganzen Sache.
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Ich machte diese Erfahrung Anfang des Jahres in London auf der Konferenz der "Climate Psychology Alliance" (CPA), wo ich an einem Trauer-Workshop teilnahm.
Diese Vereinigung von Psychotherapeuten entstand vor zehn Jahren, um ganz bestimmten Patienten zu helfen. Patienten, die einerseits einem normalen Alltag in Zeiten des Spätkapitalismus nachgingen, gleichzeitig aber mit heftigen Gefühlsausbrüchen von Hilflosigkeit, Schuld, Panik, Angst, Trauer und Verzweiflung zu kämpfen hatten, weil der Planet auf den ökologischen Kollaps zusteuert und niemand etwas dagegen tut.
Ein Jahrzehnt fortschreitender Erwärmung und mehrere Klimagipfel später hat dieses Gefühl der Verzweiflung so weit um sich gegriffen, dass es in den Medien einen eigenen Begriff dafür gibt: Klimaangst.
Die Medien sind ein Teil des Problems. Denn wie Rosemary Randall, Psychoanalytikerin und CPA-Mitglied, schon 2009 schrieb, erzählen die Nachrichten uns immer nur dieselben zwei Geschichten über den Klimawandel: "Monströse und beängstigende Bilder der Zukunft, begleitet von langweiligen und unwirksamen Vorschlägen für sofortige Veränderungen."
Verleugnung, wie es im Fachjargon der Psychoanalyse heißt, beschreibt einen Zustand, in dem "man sowohl weiß, als auch nicht weiß, dass etwas wahr ist", sagt Randall auf der Konferenz. Damit sei sehr gut beschrieben, was Umfragen zum Klimawandel ergeben hätten. Die Menschen wüssten, dass die Veränderungen real sind, wollten aber nicht das Gefühl haben, davon betroffen zu sein. Anders ausgedrückt, die Menschen haben sich daran gewöhnt, sich Sorgen zu machen und sich schuldig zu fühlen, wenn sie ein Flugticket buchen. Und weil wir uns diese Gefühle von Verlust nicht eingestehen, führen wir schließlich ein ängstliches Doppelleben.
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Eine im Januar veröffentlichte Studie ergab, dass sieben von zehn Amerikanern zwar glauben, dass es den Klimawandel gibt und dass in etwa ebenso viele zumindest "ein wenig besorgt" darüber sind. Aber nur halb so viele der Befragten gehen davon aus, dass sie selbst vom Klimawandel betroffen sein werden. In derselben Umfrage vom "Yale Program on Climate Change Communication", einer US-Forschungseinrichtung, die die öffentliche Haltung zum Klimawandel untersucht, sagten vier von zehn Amerikanern, sie oder ihre Familien würden zumindest ansatzweise versuchen, ihr Verhalten wegen der globalen Erwärmung zu verändern.
Eine andere Art der Trauer
Die Psychoanalyse mag vielleicht in der Lage sein, das Problem zu benennen und Wege für den Umgang mit der Trauer aufzuzeigen. Für einen Teilnehmer der CPA-Konferenz war das jedoch nicht genug. "Mir scheint, dass wir es mit einer ganz anderen Größenordnung von Trauer zu tun haben. Wir reden nicht nur über den Verlust eines geliebten Menschen. Wir reden über den Verlust von allem."
Mit anderen Worten: Vielleicht ist es angebracht, in Panik zu verfallen und verzweifelt zu sein? Was machst du, wenn du der Überzeugung bist, dass angesichts der Umstände dein Therapeut die gleiche Gefühlslage wie du an den Tag legen sollte, er aber nichts weiter tut, als immer wieder nach deiner Beziehung zu deiner Mutter zu fragen? Vielleicht bildest du dir das Ganze ja gar nicht ein?
Laura Schmidt und Aimee Lewis-Reau denken über genau solche Fragen nach. Um dafür die richtige Atmosphäre zu schaffen, haben sich die Gründerinnen des "Good Grief Network" in einem kleinen, blauen Haus in Arizona niedergelassen, inmitten riesiger Kakteen, Felsen und Eidechsen. Der englische Name ihrer Gruppe "Good Grief" ist ein schlaues Wortspiel. Wortwörtlich übersetzt heißt good grief "Gute Trauer". Als feststehender Ausdruck ist damit jedoch auch 'Ach du meine Güte' gemeint. Beide Aktivistinnen hatten eine schwierige Kindheit und haben persönliche Zusammenbrüche erlebt. Sie sind enttäuscht darüber, dass Therapeuten ihnen erzählen, sie würden ihre persönlichen Probleme auf den Planeten übertragen.
"Verschiedene Therapeuten erklärten mir: 'Sie wurden als Kind missbraucht, und das projizieren Sie jetzt auf die Erde", erinnert sich Schmidt. "Und meine Antwort ist: Ja, und? Und? Es geht hier um sehr reale Vorgänge, und wenn Sie auch nur einen der wissenschaftlichen Berichte gelesen haben, dann müssten Sie wissen, dass das keine Projektion ist."
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Es könnte sogar sein, dass herkömmliche Therapieansätze Teil des Problems sind. Manche Psychotherapeuten sehen inzwischen einen Zusammenhang zwischen unserem Individualismus, dem zu mehr Konsum führenden Versprechen auf Selbstverwirklichung und der Umweltkrise. Könnte es nicht sein, dass als unsere Therapeuten uns beigebracht haben, uns selbst zu lieben, sie gleichzeitig mitgeholfen haben, eine Kultur des Egoismus und der monströsen, mit fossilen Brennstoffen betriebenen Wirtschaft, von der diese Kultur abhängig ist, zu erschaffen?
"Die Mainstream-Psychologie muss ordentlich aufgemöbelt werden", fordert Schmidt. "Sie muss unsere sozialen Verhältnisse berücksichtigen, unsere Gemeinschaft, und wie wir uns als menschliche Wesen verorten, nicht nur als Individuen." Man könnte sagen, Psychotherapie muss politisch werden.
10 Schritte zur Widerstandsfähigkeit gegen das Klimachaos
Schmidt und Lewis-Reau sind nicht die einzigen, die so denken, aber was sie von den anderen unterscheidet, ist der praxisorientierte Ansatz von "Good Grief". Das Netzwerk ist eine hierarchiefreie Organisation von Aktivistinnen und Aktivisten sowie ganz normalen Leuten, die sich Sorgen machen. Sie treffen sich online, um ihr "10-Schritte-Programm" durchzuarbeiten.
Die 10 Schritte von "Good Grief" sind nach dem Vorbild der berühmten 12 Schritte der "Anonymen Alkoholiker" entworfen worden. Sie stellen die Anerkennung der Ungeheuerlichkeit des Problems ins Zentrum und fragen danach, wo in diesem Gefüge man selbst steht. Zunächst geht es darum, "die Ungewissheit auszuhalten", die das Problem hervorruft, und, wie Schmidt es ausdrückt, über die "Reptilienhirn"-Reaktionen von "Panik und Verleugnung" hinauszukommen.
"Es tut uns nicht gut, diese Panik zu ersticken, es tut uns nicht gut, vorzugeben, sie sei nicht existent", sagt Schmidt. "Stattdessen ehren wir diese Panik und schauen uns an, was dahintersteckt. Und was hinter dieser Panik steckt, ist die Angst vor Verlust."
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Anscheinend bringt das etwas. Wie ein Mitglied von "Good Grief" zu mir sagte: "Das ist es, was gefehlt hat!" Lewis-Reau freut sich, als ich frage, wie sich die Meetings auswirken. "Ich liebe diese Frage! Wir bemerken eine Veränderung der Energie, der Körpersprache und der Lebensfreude", sagt sie. "Die Leute kommen besiegt und ängstlich zu uns, mit hochgezogenen Schultern. Wenn sie gehen, haben sie mehr Präsenz, mehr Bodenhaftung, mehr Klarheit."
Der Wendepunkt, so hat sie bemerkt, ist Schritt 4: "Ich ehre meine Sterblichkeit & die Sterblichkeit von allem." Offenbar neigen Menschen dazu, sich zu öffnen, wenn sie sich den Themen Tod und Katastrophe stellen.
"Die ersten vier Schritte sind immer sehr hart", sagt sie. "Ich kann die Angst und die Befangenheit spüren. Aber wenn es um den Schritt geht, der die Todesangst betrifft, findet eine Verschiebung statt, und die Leute fangen an, sie selbst zu sein und Witze zu reißen. Sie beginnen, echte Gefühle von Sicherheit und Gemeinschaft zu spüren."
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Das Netzwerk, sagen die Gründerinnen, hilft den Menschen weiterzukämpfen - oder einfach emotional mit der Kluft fertigzuwerden, die zwischen ihren kleinen, persönlichen Erfolgen im Umweltschutz und dem tiefgreifenden Wandel besteht, den wir brauchen, um den Planeten zu retten.
Ehre die Panik, denn das Problem existiert nicht nur in deinem Kopf. Was habe ich also dem Fremden im Konferenzraum geantwortet? Was stirbt da gerade in mir? Vielleicht das Bedürfnis, mich an diese Zivilisation zu klammern.