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Wie Namibia zu einem Zipfel kam

Marc von Lüpke-Schwarz21. August 2013

Leo von Caprivi war ein erfolgloser deutscher Reichskanzler, auf den Kolonialkarten Afrikas aber lange Zeit ein populärer Namensgeber. Der Caprivi-Zipfel ist eine Kuriosität - nicht nur in geographischer Hinsicht.

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Caprivi-Zipfel auf einer historischen Karte (Quelle: Wikipedia / CC BY-SA-Metilsteiner)
Bild: CC BY-SA-Metilsteiner

Leo von Caprivi trat 1890 in die Fußstapfen eines äußerst berühmten Politikers. Im Frühjahr 1890 ernannte der deutsche Kaiser Wilhelm II. den ehemaligen General zum Nachfolger Otto von Bismarcks. Jenes Mannes also, der neben vielen weiteren außenpolitischen Schachzügen, die dem Deutschen Reich einen Platz in der Mitte Europas sichern sollten, auch zur berühmten Berliner Konferenz geladen hatte. Und damit nicht weniger erreicht hatte als ein Schlussdokument, in dem die Aufteilung Afrikas in Kolonien festgehalten wurde.

Voller Optimismus stellte sich nun auch der der neue starke Mann Caprivi die Rolle Deutschlands vor: "Wir werden das Gute nehmen, von wo und durch wen es auch kommt". Das "Gute" bedeutete im Verständnis der deutschen Zeitgenossen vor allem: Macht und Einfluss für das Deutsche Reich. Im Juni 1890 machte Caprivi mit Großbritannien ein Geschäft, das ihm einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern sollte.

Helgoland gegen Sansibar

Das Deutsche Reich vereinbarte mit der Inselnation eine Art "Tausch": Großbritannien übergab den Deutschen die Hochseeinsel Helgoland in der Nordsee, als Gegenleistung erhielten die Briten die Insel Sansibar, die weit entfernt im Indischen Ozean vor der Küste des heutigen Tansania liegt. Damit machten die Deutschen ein "Riesengeschäft".

Deutschland musste kaum etwas für Helgoland hergeben. Sansibar war niemals deutscher Besitz gewesen, sondern ein unabhängiges Sultanat. Die Deutschen sprachen lediglich mit den Briten ab, selbst in der Zukunft keine Besitzansprüche auf Sansibar zu erheben. So konnte sich Großbritannien die Insel ohne Konflikte mit den Deutschen einverleiben. Was die Einwohner Sansibars wollten, war sowohl den Deutschen als auch den Briten herzlich egal. Caprivi war zufrieden, gleich zu Beginn seiner Amtszeit war ihm ein großer außenpolitischer Erfolg gelungen.

Die roten Felsen von Helgoland (Foto: DW/Irene Quaile-Kersken)
1890 erhielten die Deutschen die Nordsee-Insel Helgoland - und den Caprivi-ZipfelBild: DW/I.Quaile-Kersken

Der Caprivi-Zipfel

Die Deutschen hatten es bei den Vertragsverhandlungen indes noch auf eine andere Weltregion abgesehen. In Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, besaß das Kaiserreich seit 1884 eine große Kolonie, die die Deutschen gerne noch erweitert hätten, um Zugang zum afrikanischen Strom Sambesi zu erhalten. Von dort erhofften sie sich, ihr Kolonialreich weiter bis Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, ausbauen zu können. Was die Deutschen jedoch letztlich von den Briten erhielten, war nicht mehr als ein geographisches Kuriosum: Wie ein Fremdkörper, manche sagen: eine Nase, ragte der rund 400 Kilometer lange, aber an den schmalsten Stellen nur knapp 30 Kilometer breite Streifen aus der Masse Deutsch-Südwestafrikas heraus.

Auch hier entschieden die Europäer an den weit entfernten Kartentischen über die Köpfe der Einwohner des Gebietes hinweg. Der neu geschaffene Landstreifen brauchte am Ende nur noch einen Namen. Was lag näher, als Leo von Caprivi damit zu "ehren"? Caprivi-Zipfel lautete fortan der Name der Region. Zwar war der Landstreifen winzig, verband aber die deutsche Kolonie mit dem mächtigen Strom Sambesi, der den Deutschen Hoffnung ließ, auf dem Wasserweg weiter ins Innere Afrikas vorstoßen zu können.

Georg Leo Graf von Caprivi (Foto: Getty Images)
Der Namensgeber: Reichskanzler Leo von CapriviBild: Getty Images

Ein Naturparadies

Allerdings wussten die Deutschen mit ihrer neuesten Erwerbung in Afrika nichts anzufangen. Kaum ein Verwaltungsbeamter, der sich hierher verirrte. Neben den eigentlichen afrikanischen Bewohnern trieb sich hier zwielichtiges Volk herum. Elfenbeinjäger und Sklavenfänger machten die Gegend unsicher. Erst 1908 erinnerte man sich an den abgelegenen Caprivi-Zipfel und entsandte den Offizier Kurt Streitwolf in die Region.

Streitwolf war von seinen Erlebnissen fasziniert und enttäuscht zugleich. Der Caprivi-Zipfel war ein wahres Naturparadies, große Elefantenherden und viele andere Tierarten bevölkerten das Gebiet. Reiche Bodenschätze suchte Streitwolf dagegen vergebens in der nur spärlich besiedelten Region. Nur in der Landwirtschaft sah er Perspektiven: "Zum Anbau im Caprivi eignen sich Mais, Kaffernkorn, Zuckerrohr und Reis."

"Kein Land für Weiße"?

Deutschen riet Streitwolf allerdings von einer Besiedlung stark ab: "Ein Land, das in der Regenzeit mit Moskitos verpestet und voll von tropischer Malaria ist, in der Trockenzeit viel Schwarzwasser hat, ist keine Gegend für weiße Besiedelung." Vor allem um die Damen sorgte er sich: "Die weiße Frau bleibt auf alle Fälle besser diesem Lande fern." Große Pläne konnten die Deutschen für ihren Caprivi-Zipfel ohnehin nicht mehr machen - auch nicht nach Kurt Streitwolfs Reise. 1914 brach der Erste Weltkrieg aus, 1915 kapitulierten die letzten deutschen Truppen in Deutsch-Südwestafrika. Südafrika übernahm die Verwaltung des Landes und führte später die Apartheid ein, die Rassentrennung. Erst nach jahrzehntelangem, blutigem Freiheitskampf erlangte Namibia mitsamt dem Caprivi-Zipfel 1990 die Unabhängigkeit.

Manche Einwohner des Caprivi-Zipfels streben allerdings die Unabhängigkeit von Namibia an - in den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen namibischen Behörden und Separatisten. Auch diese Konflikte sind ein Erbe der Kolonialzeit. Die Europäer zogen die Grenzen ihrer Kolonien einst willkürlich, ohne Rücksicht auf die Sprache, Kultur oder Ethnie der Betroffenen zu nehmen. Bis heute entladen sich Spannungen, die daraus resultieren. Der Name Leo von Caprivi ist mittlerweile von den Landkarten Namibias gelöscht. Der Caprivi-Zipfel wird dort mittlerweile "Sambesi-Region" genannt. Bis heute jedoch ist seine Geschichte ein Zeugnis dafür, wie skrupellos die Europäer einst Afrika unter sich aufteilten.

Elefanten-Warnschild im Caprivi-Zipfel in Namibia, (Foto: Tom Schulze)
Artenreich: Der Caprivi-ZipfelBild: picture alliance/dpa-Zentralbild