Nordkoreas Propaganda mit deutschen Unis
29. Mai 2021Wer an der Kim-Il-Sung-Universität in Pjöngjang studieren darf, zählt zur wissenschaftlichen Elite Nordkoreas. Die nach dem Staatsgründer benannte Hochschule gilt als die wichtigste Kaderschmiede des extrem abgeschotteten Landes. Die Universität preist sich selbst als Alma Mater von Machthaber Kim Jong Un.
Kontakte ins Ausland sind im kommunistischen Nordkorea auf ein Minimum reduziert. Das gilt auch für die Hochschulen. Umso überraschender ist es, dass die Kim-Il-Sung-Universität sich auf ihrer englischsprachigen Internet-Seite rühmt, mit mehreren Dutzend Partneruniversitäten in aller Welt verbunden zu sein, darunter zwei deutsche. Anscheinend addiert die Universität dabei geschickt vergangene, aktuell bestehende und vermeintliche Partnerschaften zu einer imposanten Liste. Internationaler wissenschaftlicher Austausch sei "in vollem Gange", heißt es auf der Website.
Dementis der "Partner-Universitäten"
Doch das sehen einige der vermeintlichen Partner-Universitäten ganz anders: Sie wollen nicht mit Nordkorea in Verbindung gebracht werden. Nach Recherchen der Deutschen Welle wehren sich mehrere Hochschulen dagegen, von der nordkoreanischen Kaderschmiede als "Sister University" bezeichnet zu werden, darunter die renommierte Berliner Humboldt-Universität. Sie setzen alle Hebel in Bewegung, um ihre Namen von der Website der Kim-Il-Sung-Universität löschen zu lassen. Diese stellt sich bisher jedoch taub und hat auch eine wiederholte Anfrage der Deutschen Welle unbeantwortet gelassen.
Risiko Wissenstransfer
Die Abwehrhaltung der angeblichen Partner-Universitäten hat einen guten Grund: Wissenschaftlicher Austausch mit Nordkorea ist aufgrund der geltenden Sanktionen des UN-Sicherheitsrats verboten. So soll verhindert werden, dass sensibles Wissen nach Nordkorea abfließt, das das kommunistische Regime für die Produktion von Massenvernichtungswaffen nutzen könnte.
Universitäten, die Wissenschaftler oder Studenten aus Nordkorea einladen, verstoßen also möglicherweise gegen die strengen UN-Sanktionen. Schon der Zugang zum Internet oder zu einer Bibliothek könne ausreichen, um ungewollt kritische Informationen preiszugeben, mahnt das zuständige UN-Expertengremium für Nordkorea. Es bat deshalb alle vermeintlichen Partneruniversitäten um Stellungnahmen. Die Antworten veröffentlichte das Gremium Anfang März in seinem aktuellen Jahresbericht.
Humboldt-Universität: Keine Zusammenarbeit
Die Berliner Humboldt-Universität versicherte den Vereinten Nationen in ihrer Antwort, dass es keinerlei Zusammenarbeit zwischen beiden Hochschulen gebe. Warum also wird sie auf der Website der Kim-Il-Sung-Universität überhaupt genannt?
Über die Gründe kann Pressesprecher Hans-Christoph Keller nur spekulieren: Zu DDR-Zeiten habe es "eine vertraglich fixierte Zusammenarbeit" zwischen beiden Universitäten gegeben. Das war zu Zeiten der deutschen Teilung, also vor 1990. Es sei möglich, dass der Vertrag formal nie gekündigt worden sei, erklärte Keller gegenüber der Deutschen Welle. Die Humboldt-Universität will sich nun darum bemühen, dass ihr Name von der Website der nordkoreanischen Elite-Uni entfernt wird.
Freie Universität: Besuch in Pjöngjang und Gegenbesuch
Komplexer ist der Sachverhalt bei der Freien Universität Berlin, wo das Fach "Koreastudien" in den letzten Jahren einen enormen Zulauf hatte. Die Leiterin des Fachbereichs, die aus Südkorea stammende Professorin Eun-Jeung Lee, reiste im September 2018 nach Pjöngjang - auf Einladung der Kim-Il-Sung-Universität. Einige Mitarbeiter ihres Fachbereichs begleiteten sie. An die Gastgeber in Nordkorea übergab die kleine Delegation aus Berlin einen "Letter of Intent", eine Absichtserklärung für eine Zusammenarbeit.
Gerade Hochschulen seien prädestiniert, auch mit einem totalitären Regime wie Nordkorea, das die Menschenrechte massiv verletze, "Kommunikationskanäle offen zu halten, die anderen Institutionen verwehrt sind", sagte FU-Pressesprecher Carsten Wette der Deutschen Welle.
Bei der Absichtserklärung aus dem Jahr 2018 blieb es nicht: Im Januar 2020 besuchte eine Gruppe von zwölf Germanistik-Studentinnen und Studenten der Kim-Il-Sung-Universität die Freie Universität Berlin, um ihre Deutschkenntnisse zu vertiefen. Die jungen Leute, davon gehen Nordkorea-Kenner aus, waren handverlesene, linientreue Mitglieder der Elite. Sie blieben drei Wochen lang, hatten also viel Zeit, sich an der Gastuniversität umzusehen.
"Kein Zugang zum WLAN"
War dieser Besuch vereinbar mit den geltenden UN-Sanktionen? Auf jeden Fall, findet die Freie Universität: "Während ihres gesamten Aufenthalts hatten die Studenten keinen Zugang zum WLAN und zum Intranet der Freien Universität Berlin. Sie erhielten keine elektronischen Geräte und erledigten Hausarbeiten und andere Aufgaben handschriftlich", schrieb die Freie Universität im Januar 2021 an den UN-Sicherheitsrat.
Das Auswärtige Amt sei eng in die Vorbereitung des Besuches eingebunden gewesen, dessen gesamte Kosten Nordkorea getragen habe. Im Übrigen sei die Nennung der Freien Universität als "Partneruniversität" auf der Website der Kim-Il-Sung Universität "irreführend", da nie ein formeller Vertrag zwischen beiden Hochschulen unterzeichnet worden sei.
Das gab die Freie Universität Berlin auch gegenüber dem UN-Sicherheitsrat an, den diese Antwort überzeugte. Der Austausch sei "kein Verstoß gegen UN-Sanktionen" gewesen, erklärte das zuständige Expertengremium zu Nordkorea auf Anfrage der Deutschen Welle. Die Freie Universität habe "sinnvolle technische Vorkehrungen getroffen", um einen Transfer von sensiblem Knowhow während des Aufenthalts der nordkoreanischen Studenten zu verhindern.
Bewacht von Aufpassern aus Nordkorea
Einen ganz persönlichen Eindruck vom Besuch der Studenten konnte sich Katharina Landgraf machen, die Vorsitzende der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe.
Die CDU-Abgeordnete empfing die zwölf jungen Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner zu einem Gespräch im Bundestag. Landgraf erinnert sich noch genau an die angespannte Atmosphäre, die während des Treffens herrschte: Die jungen Leute, die durchgehend beobachtet worden seien, hätten sich "absolut zurückhaltend" benommen. Ihr Deutsch sei sehr gut gewesen, sie hätten sich jedoch nicht getraut, ihr Fragen zu stellen und mit ihr zu diskutieren. "Das war schon sehr bedrückend", schildert Landgraf.
Prestige für Kim Jong Un
Ist also die Zusammenarbeit von exzellenten deutschen Universitäten mit einer Diktatur wie Nordkorea überhaupt sinnvoll? Bei jeder Art von wissenschaftlichem Austausch sei größte Vorsicht geboten, mahnt Landgraf, die Nordkorea durch eigene Reisen kennt. Sprachaustausch "in kleinen Dosen" hält sie jedoch für vertretbar. Das könne den Teilnehmern "kleine Fenster in unsere Welt öffnen".
Bedacht werden müsse aber auch, dass solche internationalen Kontakte dem Regime von Kim Jong Un viel Prestige einbrächten und von der nordkoreanischen Propaganda regelrecht ausgeschlachtet würden. "Für mich ist das ein Teil der Strategie, um die Leute bei Laune zu halten und um Stärke zu zeigen. Da wird eine gewisse Weltoffenheit propagiert oder vorgegaukelt", sagte die Vorsitzende der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe.
Nordkorea strebt nach Anerkennung
Internationale Anerkennung ist für Nordkorea ein hohes Gut. Darum buhlt das isolierte Regime nicht nur auf politischer Ebene. Aber bei Kontakten mit Nordkorea verbiete sich generell jede Naivität, warnt ein deutscher Nordkorea-Experte in Seoul, der anonym bleiben möchte. "Hinter jedem Kooperationsangebot stehen staatliche politische Interessen." Doch dafür wollen die Universitäten ihren guten Namen nicht hergeben.
In Tschechien ist die vermeintliche Partnerschaft zwischen der altehrwürdigen Prager Karls-Universität und der Kim-Il-Sung-Universität sogar dem Geheimdienst aufgefallen. Er war es, der die bis dahin ahnungslose Hochschule über ihre Nennung auf der nordkoreanischen Website informierte. Das sei erst kürzlich geschehen, erklärte ein Sprecher der Karls-Universität Anfang Mai gegenüber der Deutschen Welle.
Ein Fall für Diplomaten?
Es gebe keinerlei Kooperation zwischen den beiden Hochschulen. Man habe die Kim-Il-Sung-Universität offiziell aufgefordert, den Namen von ihrer Website zu entfernen - bisher ohne Erfolg. Jetzt sei das tschechische Außenministerium "aktiv bemüht", das Problem zu lösen.
Den gleichen Weg möchte auch die Berliner Humboldt-Universität gehen. Sollte die direkte Kontaktaufnahme mit der Kim-Il-Sung-Universität nicht zum Erfolg führen, erwägt die Hochschule, das Auswärtige Amt einzuschalten.