Willi Lemke: "Sport kann Brücken bauen"
20. Februar 2015Sport ist ein Menschenrecht. So steht es in der Charta der Vereinten Nationen. Welche Chancen bietet der Sport für die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung? Haben Sie ein Beispiel, das Sie bewegt hat?
Ich habe so unendlich viele Beispiele. Ich kenne ein Frauen-Projekt in Vietnam. Elf HIV-erkrankte Mütter waren total isoliert mit ihren Familien. Das traf die Kinder besonders hart, weil keiner mit ihnen spielen wollte. In dieser Situation überlegten die Frauen, wie sie ein Fußball-Projekt auf die Beine stellen könnten. Sie bekamen dann Unterstützung vom vietnamesischen Fußball-Verband. Das Projekt ist dann so gewachsen, dass das ganze Dorf einbezogen wurde. Alle Kinder, Mädchen und Jungen können jetzt dort Fußball spielen. Die Kinder der HIV-infizierten Mütter sind voll integriert. Ein wunderbares Beispiel, wie der Sport solche sozialen Spannungen beheben kann. So werden durch Sport, hier durch den Fußball, Vorurteile abgebaut.
Deutschland unternimmt auch eine Menge für die sportliche Entwicklung weltweit. Können Sie sagen, wie das in der Welt wahrgenommen wird?
Wo immer ich hinkomme, gibt es deutsche Trainer, und man ist man voll des Lobes über diese sehr gut ausgebildeten Trainer. Das sind die besten Botschafter, die Deutschland überhaupt rausschicken kann. Ich bin sehr zufrieden und glücklich darüber. Das trägt auch etwas zu dem generell guten Ansehen Deutschlands in den Entwicklungsländern bei.
Die Olympischen Spiele finden zunehmend in Ländern statt, die zwar reich sind, aber auch diktatorisch reagiert werden. Sotschi sei nur als Beispiel genannt. Für die Winterspiele 2022 gibt es jetzt nur die Wahl zwischen Peking und Almaty (Kasachstan). Das wird schon jetzt heftig kritisiert. Macht es sich der Westen zu einfach?
Diese Diskussion sehe ich mit einigem Unverständnis. Es gibt viel zu kritisieren, aber nicht nur in Russland, nicht nur in China, sondern in vielen anderen Staaten der Welt. Das darf aber nicht dem Sport aufgebürdet werden. Wonach sollen in Zukunft Olympia-Standorte ausgesucht werden, und wer definiert dann, wo etwas noch stattfinden darf? Auch die Amerikaner haben mit Guantanamo ein Gefängnis auf Kuba, das mit meiner Vorstellung von Menschenrechten nicht übereinstimmt. Soll man deshalb in Frage stellen, dass internationale Sportveranstaltungen in die USA gehen? Das kann doch niemand ernsthaft wollen.
Warum tun wir uns in Deutschland so schwer, Olympische Spiele auszurichten? Was können Sie in ihrer Funktion auch westlichen Staaten über die Rolle und Wichtigkeit des Sports sagen?
Ich war 1972 als Student als freiwilliger Helfer in München. Ich war begeistert. Olympische Spiele sind das größte Fest, das es international gibt. Das widmen wir dem Sport. Ich wünsche mir, dass dies weiter zur Völkerfreundschaft beiträgt. Bei der Fußball-WM 2006 haben wir gezeigt, dass sie eine wunderbare Werbung für unser Land war. Wenn wir so eine Bewegung für Olympia 2024 wieder hinkriegen, wäre ich sehr glücklich. Ich kann nur die Berliner und die Hamburger und alle Deutschen aufrufen, die Bewerbung zu unterstützen. Seid mutig, das ist eine großartige Geschichte! Wenn man sich an die Spiele 2012 in London erinnert, das war phantastisch und ein großer Erfolg für England. Ich bin sicher, wir können es genauso gut.
Wenn man durch die Welt fährt, um für den Sport zu werben, wird man auch mit Doping konfrontiert. Was erwarten sie vom IOC, von der WADA, von den internationalen Sportverbänden?
Wir müssen überall die Sportler und Funktionäre aufklären. Das IOC macht das zum Beispiel über die Olympischen Jugendspiele, wo sie Bildungsprogramme aufgelegt haben, bei denen auch das Dopingproblem thematisiert wird. Das kann man nur immer wieder vortragen. Ich sehe die internationalen Verbände gut aufgestellt. Aber wir brauchen noch ein bisschen mehr Schulterschluss mit den Politikern in den Staaten, dass sie sich dieser Problematik bewusst werden und den Kampf gegen Doping unterstützen.
Gibt es für 2015 ein Ziel, ein Projekt, dass Sie gerne anpacken oder zu Ende führen wollen?
In Absprache mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen bin ich in Gesprächen mit Nord- und Südkorea, um in dem kleinen Korridor des Sports einen Dialog aufrecht zu erhalten. Wir sind dabei, die Universiade in Gwangju in Südkorea vorzubereiten. Wir möchten, dass viele nordkoreanische Studentensportler daran teilnehmen können. Ich habe mich früher im deutsch-deutschen Sportverkehr engagiert und weiß, was es heißt, in einem geteilten Land zu leben. Meine Traumvorstellung ist, dass es eines Tages auch in Korea eine Wiedervereinigung gibt. Der Sport kann da Brücken bauen, auf denen dann Dialoge stattfinden können, weil Dialoge immer wichtiger sind als das Aufrüsten.
Willi Lemke (68) war von 1981 bis 1999 Manager des Fußballvereins Werder Bremen. Danach gehörte er in unterschiedlichen Funktionen der Landesregierung der Freien Hansestadt Bremen an. Seit 2008 ist er Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienst von Frieden und Entwicklung.
Das Interview führte Herbert Schalling.