Ist die Bundesliga noch eine "große Liga"?
1. Februar 2023Marcel Sabitzer wird in letzter Minute vom FC Bayern an Manchester United verliehen. Nationalspieler Philipp Max kommt aus den Niederlanden zurück und schließt sich Eintracht Frankfurt an. Und der Isco-Transfer zu Union Berlin - der vermeintliche "heißeste Winter-Deal der Bundesliga" - platzt quasi auf der Zielgeraden doch noch.
Keine Frage, im gerade zu Ende gegangenen Winter-Transferfenster gab es auch in der Bundesliga einiges an Bewegung. Der sogenannte "Deadline Day" verlief teilweise sogar recht turbulent. Allerdings bewegen sich die Transfers, die von den 18 Bundesligisten getätigt wurden, preislich auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in anderen Ligen. Fast schon traditionell gaben vor allem die Klubs der englischen Premier League sehr viel mehr Geld aus als andere - um genau zu sein 815 Millionen Pfund (922 Millionen Euro) und damit doppelt so viel wie im Rekord-Winter 2018. Besonders tat sich dabei der FC Chelsea hervor, der mit Abstand am meisten investierte - alleine am letzten Tag, bei der Verpflichtung des argentinischen Weltmeisters Enzo Fernandez von Benfica Lissabon, 121 Millionen Euro.
Kein Vergleich mit England
"Ich glaube, mit England sollte man sich nur noch sehr eingeschränkt vergleichen", sagt Stefan Ludwig, der Leiter der Sports Business Group bei Deloitte im Gespräch mit der DW. Sein Unternehmen gibt seit 1998 die Annual Football Money League heraus, eine Rangliste der 20 weltweit umsatzstärksten Fußballklubs. "Unsere Erwartungen für die Saison 2022/2023 liegen bei über sieben Milliarden Euro Umsatz in der englischen Premier League, verteilt auf 20 Klubs - und für die Bundesliga mit ihren 18 Vereinen bei 3,6 Milliarden Euro. Da fällt es schwer, zu sagen, man ist noch wettbewerbsfähig."
Um es zu verdeutlichen: Die teuersten Transfers der Bundesliga in diesem Winter waren der Wechsel von Josip Juranovic für 8,5 Millionen Euro von Celtic Glasgow zu Union Berlin und der von Julien Duranville, ebenfalls für 8,5 Millionen Euro, vom RSC Anderlecht zu Borussia Dortmund. Beide sind Spieler, die der durchschnittlich interessierte Fußballfan wohl erst einmal googeln muss. Juranovic, der mit Kroatien bei der WM in Katar den dritten Platz belegte, und das belgische Top-Talent Duranville stehen damit ein wenig sinnbildlich dafür, dass die Bundesliga im internationalen Vergleich nicht mehr so finanzstark dasteht, wie früher.
Nur der FC Bayern hält mit
"In der Vergangenheit hatten wir Jahre, in denen fünf deutsche Klubs in den Top 20 der Umsatzliste waren. Davon sind wir im Moment weit entfernt", sagt Stefan Ludwig. Stattdessen kommen in der Football Money League mittlerweile elf von 20 Klubs aus der englischen Premier League. Dennoch, so Ludwig, "wird die englische Liga auch zukünftig nicht alle europäischen Wettbewerbe dominieren können, denn es gibt auch in England nur vier Plätze für die Champions League und entsprechend weitere Plätze für die Europa League und die UEFA Conference League."
Einzig der FC Bayern kann im Konzert der Großen noch mithalten, obwohl hinter ihm kein Investor wie bei den englischen Klubs steht und die Münchener auch deutlich weniger TV-Gelder bekommen als die Vereine von der Insel. Der FC Bayern liegt auch ohne seine Transfererlöse mit über 650 Millionen Euro Umsatz auf Rang sechs der Deloitte-Rangliste. Der Klub profitiert davon, dass er in der Champions League regelmäßig weit kommt. Außerdem können die Münchener aufgrund ihrer Ausnahmestellung in Deutschland bessere Sponsorendeals abschließen als andere Bundesligisten. Auch an diesem finanziellen Vorteil liegt es, dass seit 2013 keine andere Mannschaft mehr die deutsche Meisterschaft gewonnen hat. Viele Fans beklagen Langeweile.
Bundesliga ein "erstklassiges Produkt"
Spielerberater Jörg Neblung sieht das anders: "Ich finde nicht, dass die Bundesliga wegen der Dominanz der Bayern langweilig ist", sagt Neblung der DW. "Wir sehen gerade erstaunliche Dinge in Freiburg und in Berlin. Mich langweilt diese Liga überhaupt nicht." Der Spielerberater räumt zwar ein, dass die Bundesliga auf Dauer nicht zur englischen Premier League aufschließen könne, stellt aber andere Stärken der deutschen Liga heraus.
"Wir haben trotzdem ein erstklassiges Produkt", sagt er. "Ich glaube, wir tun gut daran, nicht immer nur nach dem Größtmöglichen zu streben, sondern auch das zu schätzen, was wir haben. In der Vergangenheit haben sowohl die Vereine als auch die Liga sehr seriös gewirtschaftet, sodass unsere Liga eine gesunde ist."
Das Wachstumspotenzial im europäischen Fußball, so Neblung, sei allerdings limitiert: "Wir können das Produkt nicht noch weiter ausquetschen, indem wir Spielpläne erweitern oder eine zweite Conference League einführen. Zwar wird jetzt noch einmal Geld aus dem arabischen Raum in den Fußball reingespült, das dann über England oder andere Länder auch den kleineren Vereinen zugutekommt. Aber wir haben ein gewisses Limit erreicht."
Talent-Ausbildung als Nische
Die Bundesliga muss daher ihre Chance in einer Nische suchen, die sie bereits seit Jahren erfolgreich besetzt: die Ausbildung junger Talente, auch aus dem Ausland, die teilweise schon als Jugendliche nach Deutschland kommen. "Es ist natürlich gerade für junge Spieler ein Argument, dass sie in den Nachwuchsleistungszentren ein professionelles Umfeld mit entsprechenden Strukturen und erfahrenen Trainern vorfinden, in dem sie sich weiterentwickeln", sagt Stefan Ludwig und warnt davor, dass der Vorsprung der deutschen Vereine auf diesem Terrain schmelzen könnte: "Klubs aus anderen Ligen ziehen mittlerweile nach, weil sie erkannt haben, dass man die Talente schon früher binden muss."
Ist ein solches Talent fertig ausgebildet, soll es beim entsprechenden Verein möglichst lange erfolgreich spielen, oder - wenn die Zeit für einen Transfer gekommen ist - mit maximalem Gewinn weiterverkauft werden. Dass man dabei am liebsten einen Verein in der Premier League als Abnehmer finden möchte, ist auch bei Spielerberater Jörg Neblung kein neuer Trend mehr. "Die deutschen Vereine versuchen natürlich, den bestmöglichen Preis zu erzielen. Und dieser Markt ist eben in England", bestätigt er. "Und der Spieler selbst hat natürlich auch ein Interesse daran, nach England zu gehen, weil das momentan die beste Liga der Welt ist und dort am meisten Geld verdient wird."