Wein im Einklang mit der Natur
16. Juli 2021Es summt und brummt im Weinberg Brauneberg-Mandelgraben mit Traumblick auf das Moseltal. Wer sich Zeit nimmt, der entdeckt in den Schiefermauern und zwischen den Reben Smaragdeidechsen, die ein Sonnenbad nehmen und seltene Vogelarten. Das Weingut Karp-Schreiber in Brauneberg gehört zum Moselprojekt Biodiversität. Die Vielfalt der Arten und Lebensräume ist hier fein austariert. Der Wein soll in einer naturbelassen Umgebung wachsen. "Das ist gut für die Natur und den Wein", sagt Winzer Jobst Karp. Dem Produkt jedenfalls schadet es nicht; ganz im Gegenteil: Mit seinen Weinen hat Karp schon mehrere Prämierungen abgeräumt.
Wein ist Natur
Die Bienen sind zurückgekehrt. 150 Arten werden an der Mosel gezählt und viele Falterarten. Das Projekt Steillagenweinbau schafft Vielfalt will den Lebensraum der Tiere und Pflanzen in Einklang bringen mit der Tradition des Weinbaus in der Region. In den Gassen zwischen den Rebstöcken grünt und blüht es. Zwischen den Rebreihen sind Schiefermauern angelegt worden oder Insektenhotels; Lebensraum für Reptilien und Amphibien.
Eines zeigt sich schon jetzt: Ökosysteme mit hoher biologischer Vielfalt sind resistenter gegen die Herausforderungen des Klimawandels. Wasser wird in Böden, die eine hohe Biodiversität aufweisen, besser gespeichert und Erosion verhindert. Schädlinge haben kaum noch eine Chance. Außerdem ziehen bunte und lebendige Weinberge Touristen an, was für die deutschen Steillagen-Weinbaugebiete wie die Mosel immer wichtiger wird.
Umweltministerium fördert Vielfalt im Weinberg
Auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) will, dass Deutschlands Weinberge bunter und vielfältiger werden. Sie unterstützt Weinbaubetriebe dabei finanziell. Insgesamt soll es über einen Zeitraum von sechs Jahren rund 4,4 Millionen Euro für das Projekt geben. Immer mehr Winzer, so Schulze in einem Statement, hätten erkannt "dass die Artenvielfalt auf ihren Flächen stark zurückgeht, und sind bereit, mehr für die biologische Vielfalt zu tun".
Die rund 100.000 Hektar, auf denen in Deutschland Wein angebaut werden, seien eine "unverzichtbare Kulturlandschaft", auf denen Pflanzen, Insekten, Reptilien und Vögel gezielt geschützt werden müssten. Das Umweltministerium arbeitet im Bundesprogramm Biologische Vielfalt mit dem Verband für nachhaltigen Weinbau Fair'n-Green und der Hochschule Geisenheim zusammen, die auf Weinbau spezialisiert ist.
Pilotprojekt Querterrassen
Auf ein Projekt ist Ilona Leyer von eben dieser Hochschule besonders stolz: ihr Weinberglabor am Assmannshäuser Höllenberg. Leyer ist Professorin für angewandte Ökologie. Bei der Führung durch "ihren" Forschungsweinberg bei Rüdesheim am Rhein vergisst sie sogar eine Regenjacke anzuziehen, so vertieft und enthusiastisch doziert sie über das Projekt.
Der steile Weinberg, der zu den hessischen Staatsweingütern gehört, wurde Anfang 2018 völlig neu angelegt. Aus vertikalen Steillagen wurden horizontale Querterrassen. Die Terrassen wurden anschließend begrünt und neu mit Reben bepflanzt. "Das hier ist ein Schritt zum Paradigmenwechsel, den der deutsche Weinbau braucht", erklärt Leyer ungeschützt im Regen stehend.
Weinbau braucht einen Paradigmenwechsel
In den letzten Jahrzehnten sei der arbeitsintensive Weinbau in Steillagen stark zurückgegangen und das Landschaftsbild habe sich durch Brachflächen zum Nachteil verändert. "Wir haben eine Monotonisierung im Weinbau erlebt; Lebensräume wie Quermauern, Säume und Gräben findet man kaum noch", erklärt die Wissenschaftlerin. Die Artenvielfalt, die es noch vor wenigen Jahrzehnten in den Weinbergen gegeben habe, schrumpfe. Hinzu käme, dass noch zu viel Pflanzenschutz- und Düngemittel zum Einsatz kämen. Im Höllenberg sei vieles anders. Tiere und Pflanzen seien zurückgekehrt. "Der Weinberg lebt und die Artenvielfalt kommt zurück", freut sich die Wissenschaftlerin.
Schutz bei Extremwettern
Querterrassen haben weitere Vorteile. Sie sind leichter mit Maschinen zu bewirtschaften als Steillagen, die viel und anstrengende Handarbeit erfordern. Und: Sie bieten mehr Schutz bei Extremwettern, wie zum Beispiel Starkregen-Ereignisse wie gerade in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen geschehen. Das Wasser kann sich in den Gassen sammeln, versickert und rauscht nicht, wie bei Steillagen, ins Tal und in die Flüsse. In Zeiten des Klimawandels mit immer häufigeren Extremwettern ein großer Vorteil. Der Höllenberg ist aber lediglich ein Pilotprojekt. Experten rechnen nicht mit einem schnellen Boom beim Querterrassenanbau in ehemaligen Steillagen; auch weil die Weinberge aufwendig und teuer mit großen Maschinen umgestaltet und neu bepflanzt werden müssen.
Öko im Weinberg und im Keller
Winzerin Theresa Breuer weiß was sie will. Die energische Frau mit den muskulösen Oberarmen will nachhaltig und ressourcenschonend in den Weinbergen und im Keller arbeiten. "Für uns ist das nachhaltige Arbeiten im Weinberg, aber auch im sozialen Umfeld mit unserem Team schon lange ein Thema, in dem wir schon erste Schritte gemacht haben", sagt die Winzerin aus Rüdesheim am Rhein.
Siegel für Nachhaltigkeit
Sie hat sich dem Verein Fair'n-Green angeschlossen. Das Logo klebt auf jeder vom Weingut Georg Beuer abgefüllten Flasche. Der Verein wird auch vom Bundesumweltministerium unterstützt und hat es sich zum Ziel gemacht, ökonomische, ökologische und soziale Aspekte des Weinbaus zu berücksichtigen. Das Weingut Breuer ist einer von rund 80 Betrieben, die mitmachen. Die zehn Berater des Vereins stehen den Winzerinnen und Winzern mit Rat und Tat zur Seite. Wie kontrolliere ich den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln besser; brauche ich sie überhaupt noch? Wie kann ich meinen Betrieb auf Ökostrom umstellen? Wieviel CO-2-Ausstoß kann ich sparen, wenn ich leichtere Flaschen verwende? Der Verein kontrolliert und berät zu all diesen Fragen.
Für Theresa Breuer ist es "eine Chance, unsere Idee zu dem Thema in messbare Größen zu packen und zu verstehen, wo wir in dem Prozess überhaupt stehen". Mehr Verantwortung für Mensch, Natur, Klima und dabei guten Wein produzieren, das treibt die Pioniere eines anderen Weinbaus in Deutschland um. "Nachhaltigkeit sei sehr wichtig", sagt Theresa Breuer. Und: "Wir erhoffen uns, uns selbst besser kennenzulernen und besser zu werden."
Hinweis: Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden vom Deutschen Weininstitut (DWI) unterstützt.