"Wir brauchen mehr Vielfalt im Newsroom"
20. Juni 2017Es ist ein guter Tag für Lindsey Kukunda. Die zierliche Aktivistin aus Uganda verlässt den Raum im Bonner World Conference Center mit einer Visitenkarte von Ines Pohl in der Tasche. Die Chefredakteurin der Deutschen Welle hat sie gebeten, ihr eine E-Mail zu schreiben, denn Kukunda hat viel zu sagen.
Kurz zuvor hat sie beim Global Media Forum über die Diskriminierung von Frauen in ihrer Heimat berichtet. "In Uganda sind die Medien gegen Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt." Der bekannteste Fernsehsender des Landes habe eine Moderatorin gefeuert, weil jemand aus Rache Nacktbilder von ihr veröffentlicht habe, sagt sie. Danach habe der Sender allen weiblichen Mitarbeitern gedroht, dass sie entlassen würden, wenn sie zu Hause Nacktbilder von sich machten.
Kukunda erzählt auch, wie eine einflussreiche ugandische Zeitung gegen eine überfällige Reform der Sexualerziehung Front gemacht habe. Und wie die Medien im Land Transsexuelle denunzierten. Regelmäßig würden diese danach ihren Job verlieren. Die Uganderin ist nicht die einzige, die an diesem Morgen solche Geschichten zu erzählen hat.
Michelle Demishevich geriet 2012 als erste transsexuelle Journalistin in der Türkei in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Seit zwei Jahren hat sie Probleme, in der Medienbranche eine Anstellung zu finden. Bei früheren Jobs habe sie teilweise keine Versicherung und weniger Geld bekommen als ihre Kollegen.
Auf der Straße werde sie nicht angefeindet, obwohl es in der türkischen Gesellschaft viel Transphobie gebe. Diskriminiert werde sie vielmehr von ihren journalistischen Kollegen und Vorgesetzten. "Vor zwei Jahren habe ich den Chefredakteur der türkischen Tageszeitung "Cumhuryet", Can Dündar, gefragt, ob ich in seiner Redaktion mitarbeiten dürfe. Er hat gesagt, er fände das toll, aber wie solle er das seinem Boss erklären, ich sei ja transsexuell."
Journalismus: elitär und exklusiv
Auch in deutschen Redaktionen ist mangelnde Repräsentation ein Problem - und das gilt nicht nur für das Geschlechterverhältnis. "Wir brauchen mehr Vielfalt im Newsroom", sagt Ines Pohl. In Deutschland, Europa und den USA gehörten sehr viele Journalisten der oberen Mittelschicht an, seien gut ausgebildet und in relativ wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen. Das sei auch ein Grund, warum der Wahlsieg Donald Trumps nahezu für alle US-Medien überraschend kam, glaubt Pohl. Wie und worüber berichtet werde, das habe immer auch mit der Identität des Reporters zu tun: "Was ist wichtig, was nicht? Welche Fragen stellen wir? Wann, wo und vor allem wem stellen wir sie?"
Pohl plädiert nicht nur für mehr Bildungsvielfalt im Journalismus, sondern auch für eine Frauenquote in Medienunternehmen und eine klare Agenda, die Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt großschreibt. "Wenn man als Journalist arbeitet, dann sind einige Dinge nicht verhandelbar: Dazu gehören demokratische Prinzipien und Menschenrechte, die auch die Rechte von Frauen, Homosexuellen und anderen Minderheiten einschließen. Ja, in dieser Hinsicht brauchen wir eine Agenda", erklärt die 50-Jährige.
Dass die mangelnde Vielfalt in der US-Medienlandschaft zu einer verzerrten Berichterstattung führt, glaubt auch Carmen Perez, eine der Mitorganisatorinnen des sogenannten Women's March gegen Trump. Vor allem Afro-Amerikaner würden in den Medien häufig dämonisiert. Als Beispiel nennt Perez den Tod von Sandra Bland, eine 28-Jährige Afro-Amerikanerin, die im Juli 2015 nach einer Auseinandersetzung mit einem Polizisten bei einer Verkehrskontrolle inhaftiert und kurz darauf in ihrer Zelle leblos aufgefunden wurde. "Sie war eine junge schwarze Frau, die Social Media nutzte, um ihr Umfeld über Verfehlungen der Polizei zu informieren. In den Medien wurde sie nicht als gesetzestreue Bürgerin mit Universitätsabschluss dargestellt, sondern als Verbrecherin."
"Ich will nicht darauf warten, dass Superman mich rettet"
Trotz aller Probleme dürfe man die Fortschritte nicht vergessen, betont UNESCO-Vertreterin Albana Shala. Noch nie seien mehr Mädchen zur Schule gegangen oder Frauen in Führungspositionen gewesen. Und doch: "Nur vier Prozent der weltweiten Berichterstattung in den traditionellen Medien pro Tag bricht mit stereotypen Bildern von Frauen", erklärt Shala.
Wo die etablierten Medien versagen, können die sozialen Medien Lücken füllen. "In Afrika haben wir eine rapide schrumpfende Zivilgesellschaft und viele Gesetze, die sich gegen NGOs richten. Deshalb organisieren sich immer mehr Menschen in den sozialen Medien", sagt die kenianische Feministin Catherine Nyambura. Gleichzeitig seien Gewalt, Belästigungen und Anfeindungen in den sozialen Medien gerade für Frauen ein wachsendes Problem. Zudem hätten immer noch deutlich weniger Frauen als Männer überhaupt Zugang zu digitalen Ressourcen.
Wer sie habe, müsse sie teilen, sagt Carmen Perez. Das gelte auch für finanzielle Mittel. "Der Women's March wurde nicht von Großkonzernen finanziert, sondern von einfachen Bürgern." Und sie hat noch einen Vorschlag: "Ich will nicht darauf warten, dass Superman mich rettet." Häufig hoffe man darauf, dass jemand einem einen Job oder eine Plattform gebe. Die müsse man sich stattdessen selbst schaffen: "Es gibt heute so viele Räume, in denen wir Frauen unsere Geschichten erzählen können."