Schlusslicht in Europa
23. Februar 2007Viele Kinder kommen mangelernährt und verwahrlost in die Heime. Darüber hinaus ist aber auch der Zustand in den meisten Kinderheimen selbst katastrophal. Der deutsche "Verein Zur Förderung Bulgarischer Kinderheime" gibt Kindern jetzt eine neue Perspektive. - Das Kinderheim Maria Luisa in Plovdiv war eines der marodesten im Land. 1923 waren die einstigen Pferdeställe zum Waisenhaus umfunktioniert worden. Bis zu 14 Kindern lebten in einem Schlafsaal - ohne Möglichkeit, sich zurück zu ziehen.
Glücklich, weil sie satt werden
Seit das Waisenheim in Plovdiv mit Unterstützung der Deutschen zum modernsten in ganz Bulgarien umgebaut wurde, sind überall lachende Kindergesichter zu sehen. "Mama", singt der sechzehnjährige Janko mit voller Hingabe zur Musik aus dem Kassettenrekorder, "das größte Glück wäre es, bei dir zu sein". Ein bulgarisches Volkslied, das die Kinder im Heim besonders gerne hören.
Das Heim ist super. Warum? Hier bekommen sie immer genug zu essen, erzählen die Kinder, und etwas anzuziehen. Was sie einmal werden wollen? Einer Polizist, der andere gar Präsident. Um allen Jugendlichen einen besseren Start ins Leben zu ebnen, will die Heimleiterin Darina Kukewa demnächst auch Ausbildungsplätze anbieten. "In Bulgarien leben die meisten Kinder im Heim in ganz Europa. Als ich hier angefangen habe, waren es 80. Inzwischen sind es 96, und es werden immer mehr. Ich will unseren deutschen Spendern ganz persönlich danken. Nicht nur für das Geld. Sie haben uns das Lachen geschenkt und viel Freude."
Finanzprobleme bleiben
Die zwei großen neuen Gebäude sind in bunt bemalte kleine Wohneinheiten aufgeteilt, in denen die Kinder mit ihren Erziehern wie in einer Familie leben können. Die freundliche Atmosphäre hat den Kindern neuen Lebensmut gegeben. "Viele unserer Kinder können nicht bei ihren Familien leben, weil sie sexuell belästigt oder geschlagen worden sind", erzählt Heimleiterin Kukewa. "Die offiziellen Institutionen haben kein Geld, deshalb haben wir nicht genügend Betreuer für die Kinder. Durch die Hilfe aus Deutschland haben wir zwar inzwischen das schönste Kinderheim in Bulgarien - die Kinder sind auch wirklich viel fröhlicher geworden - aber wir müssen noch unser permanentes Finanzproblem lösen, um den Standard auch auf Dauer zu halten."
Im Durchschnitt verdienen Bulgaren 150 Euro im Monat - bei Preisen von annähernd westlichem Niveau. Viele Familien können ihre Kinder deshalb nicht mehr ernähren. Oft sind Kinderheime die letzte Zuflucht. Dort stranden Kinder mit vielen Problemen. "Zwei unserer kleinen Jungs haben vorher in einem kleinen Container gelebt, zusammen mit Hunden und Katzen, ohne Essen und mit großen psychischen Problemen. Sie sind jetzt seit drei Jahren hier und entwickeln sich auch physisch sehr stark", sagt Darina Kukewa.
Die Schwächsten unter den Schwachen sind die Roma
Die Mehrheit der Kinder im Waisenheim Maria Luisa – wie auch in allen anderen bulgarischen Kinderheimen - sind Roma. Sie waren die ersten, die nach der politischen Wende 1989 ihre Arbeit verloren. So wie Anton. Er kümmert sich so gut er kann um seine acht Kinder, auch wenn es ihm sehr schwer fällt. Früher arbeitete er als Werkzeugmacher in einer Fabrik. Als die vor Jahren pleite ging, fand er nie wieder einen Job.
Anton ist nicht nur ein guter Handwerker sondern auch ein begnadeter Sänger. Die Familie verbringt häufig Abende mit gemeinsamem Musizieren. Ein Vergnügen, das nichts kostet und den oft knurrenden Magen vergessen lässt, erzählt der Roma mit einem gequälten Lachen. Anton und seine Familie sind völlig abgemagert. Die Roma kämpfen täglich ums Überleben. Viele andere haben schon aufgegeben. Ihre Kinder landen im Kinderheim.
Lieber sterben
Antons Familie lebt von den Resten einer Gesellschaft, die selbst nicht mehr viel wegzuwerfen hat. "Wir gehen jetzt zu den Müllcontainern, aus denen wir leben. In letzter Zeit treffen wir sogar Bulgaren an den Containern. Das heißt, es geht nicht nur uns Roma schlecht, sondern auch einem Teil der Bulgaren. Vor kurzem hat sich ein junger Mann umgebracht, weil er mit leerem Magen nach Hause musste. Das ist fast schon eine Mode geworden. Lieber sterben als so zu leben."