Wirbel um Gauck-Interview
2. November 2014Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, wirft dem deutschen Staatsoberhaupt, Joachim Gauck, vor, mit seiner Einmischung in die Parteipolitik Grenzen überschritten zu haben. Der Bundespräsident hatte in einem Fernsehinterview Kritik an einer möglichen Koalition unter Führung der Linkspartei in Thüringen geäußert. Auch führende Sozialdemokraten zeigten sich über die Äußerungen Gaucks besorgt. Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Erwin Sellering, dessen Partei eine der Koalitionspartner in Thüringen sein könnte, sagte, das Amt des Bundespräsidenten nehme Schaden, wenn dieser sich in die Regierungsbildung in einem Bundesland einschalte. Die dritte Partei in der Thüringenkoalition wären die Grünen. Die Spitze der Partei ist uneins über die Bewertung des Interviews. Parteichefin Simone Peter sagte, ein Bundespräsident müsse parteipolitisch neutral agieren. Ihr Kollege Cem Özdemir sagte, Gauck spreche nur aus, was viele dächten, die in der DDR Unrecht erlebt hätten.
"Wahlentscheidung sei zu respektieren"
"Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren", sagte Bundespräsident Joachim Gauck in einem Interview für die ARD-Sendung "Berlin direkt". Dennoch, die Wahlentscheidung sei zu respektieren, betonte Gauck weiter. Doch bleibe die Frage: "Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?" Es gebe Teile in der Linkspartei, bei denen er "wie viele andere auch" Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln, sagte der Bundespräsident.
Gaucks Äußerungen sind auch vor dem Hintergrund seiner persönlichen Biografie zu sehen. Er lebte bis zur Wende vor 25 Jahren in der DDR, war in der Bürgerrechtsbewegung aktiv und von 1991 bis 2000 der erste Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen.
Auch der derzeitige Stasiunterlagen-Beauftragte, Roland Jahn, übte scharfe Kritik an der geplanten rot-rot-grünen Koalition in Erfurt. "Die Politiker in Thüringen sollten schon wissen, dass die Opfer der SED-Diktatur sich verletzt fühlen, wenn dort ein linker Ministerpräsident regiert", sagte Jahn der "Lausitzer Rundschau". Die Linkspartei sei bisher nicht als eine Partei wahrgenommen worden, "der es mit der Aufarbeitung wirklich ernst ist", fügte der frühere DDR-Bürgerrechtler hinzu.
Ramelow auf der Zielgeraden?
In Thüringen will der Spitzenkandidat der Linkspartei bei der Landtagswahl, Bodo Ramelow, mit SPD und Grünen über eine Koalition verhandeln, um Ministerpräsident zu werden. Er wäre der erste Regierungschef der Linkspartei in einem Bundesland. Die Thüringer SPD hält derzeit eine Mitgliederbefragung über ein rot-rot-grünes Bündnis ab. Wenn sich die SPD in Thüringen dabei mehrheitlich für ein solches Bündnis ausspricht, könnte Ramelow - derzeit Fraktionschef der Linken im Landtag - am 5. Dezember in Erfurt zum Regierungschef gewählt werden. Eine rot-rot-grüne Koalition hätte im Thüringer Landtag nur eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme.
qu/sti/fab (dpa, afp)