Wird Libyen Russlands neues Syrien?
11. April 2019Der Konflikt in Libyen spitzt sich zu. Die Reaktionen aus Moskau dazu sind kühl und rational. Während eines Besuchs in Ägypten sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow, Russlands Aufgabe sei es "dem libyschen Volk dabei zu helfen, ihre Meinungsverschiedenheiten zu überwinden und ein stabiles Übereinkommen zu treffen", um die Seiten miteinander zu versöhnen. Zuletzt sagte auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, dass Russland jede Möglichkeit nutzen werde, um alle Seiten dazu aufzurufen, ein Blutvergießen und zivile Tote zu vermeiden.
Heikle diplomatische Situation
Seit Anfang April rücken die Truppen des mächtigen Generals Chalifa Haftar auf die libysche Hauptstadt Tripolis vor. Dort sitzt die international anerkannte Regierung von Premierminister Fajis al-Sarradsch, die Haftar vorwirft, einen Putsch zu planen. Haftar ist Anführer der selbsternannten "Libyschen Nationalarmee", die von einer rivalisierenden Regierung im Osten des Landes gestützt wird.
Russland hat sich in dem eskalierenden Konflikt bisher nicht klar für eine Seite ausgesprochen. "Für Russland ist es eine sehr heikle diplomatische Situation", sagt Wjatscheslaw Matusow, ein langjähriger Diplomat, der jetzt als unabhängiger Nahost-Experte arbeitet.
Die engsten Verbündeten Russlands unterstützen in dem Konflikt verschiedene Seiten: Die Türkei und Algerien zum Beispiel stehen hinter der Regierung in Tripolis, die auch die Vereinten Nationen anerkennen. Ägypten und Saudi-Arabien hingegen unterstützen General Haftar. Ägypten und Algerien sind zwei der wichtigsten Käufer von russischen Waffen. Die Türkei ist für Russland generell ein wichtiger internationaler Partner. Die Länder arbeiten im Syrien-Krieg zusammen, und zuletzt bestellte die Türkei sogar Raketen aus Russland. Ein Deal, der zu Unverständnis bei den NATO-Partnern der Türkei sorgt.
Matusow erklärt, der Hauptgrund dafür, dass Russland sich dennoch in dieses diplomatische Durcheinander begibt, sei die Angst vor Chaos in Libyen. Das nämlich könnte zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates führen und für Russland ein Sicherheitsproblem darstellen.
Drahtseilakt Libyen
Auch der unabhängige russische Militäranalyst Pawel Felgenhauer sagt, Libyen sei für Moskau ein diplomatisches Rätsel. "Russland wird in diesem Konflikt sehr vorsichtig vorgehen, und sich nicht offen für eine Seite aussprechen", sagt er. Doch während Matusow betont, dass Russlands neutrale Aussagen die Haltung der Regierung widerspiegeln, erklärt Felgenhauer, es sei "offensichtlich", dass Moskau Haftar unterstütze. Das jedoch bestreitet der Kreml bisher vehement.
Tatsächlich haben beide, also Premierminister Al-Sarradsch und General Haftar, bereits die Regierung in Moskau besucht. Haftar scheint in der Gunst des Kreml aber vorne zu liegen. Er besuchte Moskau seit 2016 dreimal und durfte 2017 sogar mit an Bord von Russlands bedeutendstem Flugzeugträger "Admiral Kuznetsow" - angeblich für eine Videokonferenz mit Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu.
Felgenhauer glaubt, dass Geld der Hauptgrund ist, aus dem Moskau Haftar den Vorzug gibt. Der General hat das Sagen über fast alle Regionen des Landes, in denen Öl produziert wird. "Das bedeutet: Er hat das Geld. Und das bedeutet, dass er für Moskau wichtig ist", sagt der Analyst.
Trotz des Waffenembargos der UN gegen Libyen, erklärt Felgenhauer, dürfte Russland versuchen Waffen an Haftar zu verkaufen - wenn das nicht geschieht. Der Tod von Libyens Langzeitdiktator Muammar Al-Gaddafi im Jahr 2011 soll Russland laut Schätzungen um Waffenverkäufe im Millardenwert gebracht haben.
Am 7. April blockierte Russland eine Erklärung des UN-Sicherheitsrats, mit der das Gremium Haftar aufgefordert hätte, sein Vorrücken auf Tripolis zu stoppen. Veto-Macht Russland blockierte die Erklärung mit dem Hinweis, alle Kräfte im Land sollten ihre Kampfhandlungen beenden. Für Felgenhauer ist das ein klares Signal für Russlands stillschweigende Unterstützung für Haftar.
Trübe Zeichen
Einigen Medienberichten zufolge sucht Russland aber auch ganz konkrete Wege, um sich im Libyen-Konflikt zu positionieren. Ende 2018 meldete die russische Tageszeitung RBC unter Berufung auf das Umfeld des russischen Verteidigungsministeriums, dass sich russische Truppen im Osten Libyens aufhielten. Die unabhängige Zeitung Noyaya Gazeta veröffentlichte ein Video, dass den Unternehmer Jewgeni Prigoschin bei Gesprächen mit General Haftar in Moskau zeigt.
Prigoschin ist ein enger Vertrauer von Präsident Wladimir Putin. Er spielt eine zwielichtige Rolle in Russlands Machtapparat und soll angeblich die russische "Troll-Fabrik" für soziale Medien und ein privates Militärunternehmen mit dem Namen "Wagner Group" leiten. Das Unternehmen ist angeblich immer wieder bei Konflikten weltweit in Erscheinung getreten, wie in der Ostukraine, Syrien, Venezuela und der Zentralafrikanischen Republik.
Laut Ex-Diplomat Matusow ist es Russland gar nicht möglich, Söldner nach Libyen zu schicken. Solche Meldungen tut er als "Desinformation" ab. Wenn es so wäre, würde man schon lange davon wissen, sagt er. Denn Geheimnisse gebe es in Libyen nicht, weil Kämpfer immer wieder von einer kämpfenden Gruppe in eine andere wechselten - "je nachdem wie sich die Situation vor Ort entwickelt".
Militärexperte Felgenhauer dagegen sagt, er halte es für sehr wahrscheinlich, dass russische Söldner auf libyschem Boden und im libyschen Luftraum aufhalten. Dies wäre eine elegante Lösung für Russlands diplomatisches Problem in dem Land, meint Felgenhauer. Da private Söldner nicht direkt mit der Regierung in Verbindung gebracht werden können, könne Russland mit ihnen aktiv in den Konflikt eingreifen und gleichzeitig nicht eingreifen.
Syrien 2.0?
Anfang 2018 kündigte Russland an, Truppen aus Syrien abzuziehen - und befeuerte damit die Gerüchte über eine mögliche Militäroperation in Libyen. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass Russland eine großangelegte Intervention in Libyen plant, so wie vor vier Jahren in Syrien. Hauptsächlich weil es immer noch in Syrien aktiv ist.
"Die Aufgabe in Syrien ist noch nicht erledigt", erklärt Felgenhauer. "Und die Kapazitäten der Russen sind bereits überstrapaziert. Wir sind nicht mehr die Sowjetunion." Ein Eingreifen in Libyen, sagt der Analyst, passe auch nicht zu Russlands übergeordneten strategischen Zielen: "Der Hauptantrieb der russischen Außen- und Militärpolitik ist Anti-Amerikanismus. Das funktioniert in Syrien und Venezuela. Aber in Libyen ist gar nicht klar, wen die Amerikaner unterstützen."
Auch Matusow glaubt nicht, dass Libyen Russlands neues Syrien wird. Die zwei Militärstützpunkte, die Russland in Syrien aufgebaut hat, seien genug, um seine Ziele im Nahen Osten zu erreichen. Einen weiteren könne sich Moskau gar nicht leisten, sagt er. Und letztlich könne sich Russland mit einer großen Militäroffensive wie in Syrien nur verrennen: "Libyen ist wie Treibsand. Jeder, der einen Fuß darauf setzt, versinkt."