Wirtschaftspolitische Glaubensbekenntnisse
20. Oktober 2004Mit der letzten der drei Fernseh-Debatten zwischen Präsident George W. Bush und Herausforderer John Kerry am 13. Oktober 2004 gehören nun auch die innenpolitischen Themen zu den Schwerpunkten des Wahlkampfes. Der Streit um die richtige Wirtschaftspolitik nimmt in der Auseinandersetzung der Kontrahenten einen großen Raum ein.
"Geld nicht aus der Tasche ziehen"
Für Bush ist die Politik niedriger Steuern ein wirtschaftspolitisches Glaubensbekenntnis: "Die Wirtschaft wächst, wenn Amerikaner mehr Geld haben und investieren. Wie mache ich das? Indem ich ihnen das Geld nicht durch Steuern wieder aus der Tasche ziehe."
Bush hat im Mai 2003 eine der radikalsten Steuer-Reformen der jüngeren amerikanischen Geschichte durchgeführt. Er senkte die Kapitalertrags-Steuer von 20 auf 15 Prozent, die Dividenden-Steuer auf Aktien-Gewinne von 38 auf 15 Prozent. Hinzu kamen Steuer-Erleichterung für Verheiratete und weitere Senkungen im Einkommensteuer-Bereich.
Kein Zufall
Experten wie Steve Forbes, Herausgeber des Wirtschaftsfachblatts "Forbes Magazine", führt den wirtschaftlichen Aufschwung in den USA vor allem auf Bushs Steuerpolitik zurück: "Dieses Steuerpaket hat die Wirtschaft enorm stimuliert und zwar nachhaltig. Steuer-Rückzahlungen wirken sich nur kurzfristig aus, aber wenn man die Steuersätze senkt, dann hat das langfristige Wirkung. Und insofern ist es kein Zufall, dass nach der Steuerreform im Sommer 2003 unsere Wirtschaft plötzlich wieder zu boomen begann."
Forbes erklärt in diesem Zusammenhang jedoch nicht, dass die obersten zwei Prozent in der amerikanischen Einkommensskala den größten Nutzen aus den Steuer-Senkungen zogen. Außerdem hat der Arbeitsmarkt vom Aufschwung bislang kaum profitiert. Die Arbeitslosigkeit stieg in der ersten Amtszeit Bushs von 4,2 auf 5,4 Prozent.
Auf dem Rücken der Arbeitnehmer
Kerry möchte deshalb stärker investieren und einen Teil der Steuersenkungen für Einkommen über 200.000 Dollar Jahresgehalt rückgängig machen: "Unsere Wirtschaft zahlt sich für den Durchschnittsamerikaner nicht aus. Wenn man ein Wirtschaftsboss bist oder viele Aktien besitzt, dann ist das etwas anderes. Die Profite der Unternehmen sind tatsächlich gestiegen. Aber die Produktivitätszuwächse sind auf dem Rücken der Arbeitsnehmer erzielt worden."
Steuererleichterungen
Und durch die betriebliche Auslagerung von gut bezahlten Jobs vor allem in der verarbeitenden Industrie. Kerry will deshalb Arbeitsplätze durch niedrigere Lohnnebenkosten schaffen. Zudem sollen Unternehmen, deren Branche vom Outsorcing betroffen ist, in den Genuss von Steuererleichterungen kommen, wenn sie in den USA neue Arbeitskräfte einstellen. Eltern der Mittelkasse, die in die Bildung ihrer Kinder investieren, sollen ebenfalls steuerlich entlastet werden: "Wir schaffen Arbeitsplätze, indem wir Steuer-Schlupflöcher schließen. Durch Investitionen in Schulen, in die berufliche Bildung und in unsere industrielle Infrastruktur. Alles Dinge, über die die Bush-Regierung nicht redet und die sie ignoriert", sagt Kerry.
Leere Kassen
Doch für staatliche Investitionen, die der republikanischen Mentalität ohnehin fern liegen, fehlt es auch in den USA derzeit an öffentlichen Mitteln. Mitbedingt durch die drastische Erhöhung der Ausgaben für Verteidigung und Heimatschutz hat Bush aus einem satten Haushaltsüberschuss zu Beginn seiner Amtszeit inzwischen ein über 400 Milliarden Dollar großes Defizit gemacht.
Weder Bush noch Kerry verraten, wie sie diesen Schuldenberg wieder abtragen wollen. Bush jedoch bezichtigt Kerry leerer Versprechungen, die er nicht einhalten könne. Es sei denn, er werde die Steuern erhöhen: "John Kerry hat neue Ausgaben in Höhe von 2,2 Billionen Dollar geplant. Wie will er das bezahlen? Entweder muss er seine schönen Versprechen wieder zurücknehmen oder aber er muss die Steuern erhöhen. So wie seine politische Karriere bisher verlaufen ist, wird er wohl die Steuern erhöhen", vermutet Bush.
Politische Unterschiede
Der Streit um Steuern, Haushaltsdefizite und den Zustand der Wirtschaft wird in den letzten Tagen vor der Wahl an Bedeutung zunehmen. Vielleicht auch deshalb, weil hier und weniger in der Außen- und Sicherheitspolitik die größeren Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten liegen.
Bush steht für den Rückzug des Staates aus der Sozial- und Wirtschaftspolitik, während Kerry die staatliche Verantwortung für das soziale Wohlergehen seiner Bürger betont. Welches der beiden Modellen bei den Präsidentschaftswahlen am 2. November 2004 die Oberhand behält, wird nicht zuletzt auch vom Ergebnis der Kongresswahlen abhängen, die parallel zu den Präsidentschaftswahlen stattfinden.