WM-Hoffnungen ruhen auf Tony Martin
20. September 2013Florenz ist immer eine Reise wert. Für Radsportler und deren Fans sorgen die Straßenrad-Weltmeisterschaften, die am Samstag in der Renaissancestadt eröffnet werden, für zusätzliche Magnetwirkung. Mehr als 1500 Sportlerinnen und Sportler aus 62 Ländern werden bei den Straßenrennen und Zeitfahren der Männer und Frauen, Junioren und Juniorinnen sowie der U23-Kategorie der Männer um die Medaillen kämpfen. Hinzu kommen die bei der letzten WM ausprobierten und für erfolgreich befundenen Mannschaftszeitfahren bei Männern und Frauen.
"Besser vorbereitet als 2012"
Tony Martin peilt in Florenz einen Titel-Hattrick an. Alles andere als ein erneuter Sieg im Einzelzeitfahren wäre eine Enttäuschung für den gebürtigen Cottbusser. Vor allem, weil die WM-Vorbereitung diesmal weniger problematisch verlief als im letzten Jahr. 2012 warfen ihn Stürze, ein Kahnbeinbruch und der frühzeitige Ausstieg bei der Tour de France zurück. "Es verläuft alles nach Plan. Ich bin sicherlich zwei, drei Schritte weiter als im letzten Jahr", sagt Martin. Allerdings hat er in der nacholympischen Saison mit dem früheren Dauer-Weltmeister Fabian Cancallara aus der Schweiz und dem britischen Zeitfahr-Olympiasieger Bradley Wiggins zwei starke Konkurrenten mehr, die im Vorjahr die Welttitelkämpfe ausgelassen hatten. Cancellara hatte kürzlich ein Zeitfahren bei der Spanienrundfahrt vor Tony Martin gewonnen - ein Weckruf für den Deutschen. "Es hat mich schon überrascht, dass er so stark gefahren ist", sagte Martin gegenüber der DW. "Das motiviert mich, jetzt noch einmal zwei Prozent mehr in der Vorbereitung zu geben. Ich bin nach wie vor von meinen Stärken überzeugt und auch nicht eingeschüchtert."
Außenseiterchance für Degenkolb
Cancellara zieht eine große Motivation aus seinem Sieg gegen Martin bei der Vuelta. Der Schweizer hat seine Saison anders geplant und extra für die WM auf die Tour de France verzichtet. Cancellara tritt nicht nur im Zeitfahren, sondern auch beim Straßenrennen mit Medaillenchancen an, gilt dort aber eher als Außenseiter im Kampf um Edelmetall. Gleiches gilt für die deutschen Profis John Degenkolb und Dominik Nerz. Der sprintstarke Degenkolb hofft, gut über die zwei giftigen Anstiege des zehn Mal zu absolvierenden Rundkurses zu kommen und dann im Finale seine Spurtkraft ausspielen zu können. Nerz, der eine bravouröse Vuelta mit dem 14. Gesamtplatz in den Beinen hat, spekuliert darauf, mit einer Ausreißergruppe dem Ziel entgegenstürmen.
Langer, schwerer Kurs
Die Favoriten kommen aus anderen Nationen. Gastgeber Italien setzt auf Vincenzo Nibali. Der Giro-d'Italia-Sieger hat wie Cancellara die Tour de France ausgelassen, bei der Spanien-Rundfahrt wurde er Zweiter. Die härteste Gegenwehr ist vom spanischen Trio Alejandro Valverde, Joaquim Rodriguez und Alberto Contador zu erwarten. Der lange, schwere Kurs ist auf Fahrer wie die Spanier zugeschnitten, die stark in den Bergen sind und über die Fähigkeit verfügen, extrem zu beschleunigen.
Zu den Siegkandidaten gehören auch Titelverteidiger Philippe Gilbert aus Belgien, der seine Siegflaute rechtzeitig vor dem WM-Start mit einem Etappensieg bei der Spanien-Rundfahrt beendete, und der Überraschungssieger der Vuelta, der US-Amerikaner Chris Horner. Ein Geheimtipp ist die polnische Mannschaft mit dem 23-jährigen Michal Kwiatkowski und dem 24-jährigen Rafal Majka. Kwiatkowski war schon Europa-und Weltmeister bei den Junioren und fuhr in diesem Jahr beim Giro auf den 11. Platz, Majka wurde Siebter.
Bei den Frauen führt der Weg zum Sieg im Straßenrennen über die Titelverteidigerin Marianne Vos aus den Niederlanden. Das deutsche Sextett wird es schwer haben.
Saubere WM?
Abgerechnet wird am Sonntag in einer Woche. Ob es sich bei den Medaillengewinnern dann allerdings um saubere Sieger handelt, wird man nach Lage der Dinge erst in einiger Zeit erfahren. Dann nämlich, wenn die Dopingfahnder technisch aufgeholt haben und mit neu entwickelten Methoden alte Proben analysieren können.
Die Profis haben es den Fahndern in der Vergangenheit nämlich nicht so leicht gemacht wie das WM-Maskottchen Pinocchio. Dem wuchs beim Lügen die Nase. Wachstumshormone, mit denen in der Vergangenheit bereits mehrere dopende Radsportler erwischt wurden, lassen zwar auch Extremitäten sowie Nase und Kinn wachsen, aber nicht im gleichen Maße, wie es der aus Florenz stammende Kinderbuchautor Carlo Collodi vom Riechorgan seines Geschöpfes Pinocchio erzählt.