Was von den Ideen geblieben ist
1. Oktober 2018Wenn die Kinder in den 1920er Jahren in Weimar nicht gehorchten, dann hieß es: "Wenn du nicht artig bist, dann kommst du ins Bauhaus." Dort an der Hochschule für Gestaltung lebten die "Verrückten", die in bunten Theater-Kostümen lärmend durch die Straßen tanzten und Bilder mit Dreiecken, Kreisen und Quadraten malten.
Heute kommen Studierende aus der ganzen Welt, um an der Bauhaus-Universität Weimar zu lernen. Mit rund 4080 Studierenden aus 70 Ländern ist sie eine der internationalsten Unis in Deutschland. Seit 1996 sind die Bauhausstätten in Weimar und Dessau Weltkulturerbe. Das lockt Touristen und Studierende gleichermaßen.
Die Idee vom interdisziplinären Arbeiten
Die einstigen Meisterklassen mit ihren legendären Werkstätten für Malerei, Möbel, Weberei oder Metall gibt es in den historischen und in den neuen Gebäuden der Bauhaus-Universität Weimar nicht mehr. Der Architekt und Gründungsvater Walter Gropius, der das Staatliche Bauhaus 1919 ins Leben rief, hatte solche Meisterklassen für Kunst und Handwerk eingeführt. Künstler und Handwerker sollten gleichberechtigt zusammenarbeiten und voneinander lernen. Die moderne Universität, die seit 1996 den Namen "Bauhaus-Universität Weimar" trägt, bietet Fakultäten zu Architektur und Urbanistik, Kunst und Gestaltung, Bauingenieurwesen und Medien.
Die Idee, dass Studierende in einzelnen Modulen und Projekten fakultätsübergreifend gemeinsam arbeiten können, lebt weiter, besonders im Jubiläumsjahr "Bauhaus 100", wie Nathalie Singer, Professorin für experimentelles Radio und Vizepräsidentin der Bauhaus-Universität erklärt: "In meiner Gruppe ist zum Beispiel ein Audiowalk entstanden, bei dem Mediengestalter und Leute aus dem Audio-Bereich zusammen mit Denkmalpflegern aus der Architektur gearbeitet haben. Die Denkmalpfleger generierten die Inhalte zu '100 Jahre Bauhaus', die dann von den Medienleuten im Audiowalk umgesetzt wurden."
Das Zusammenspiel von Kunst und Technik
Anfang der 1920er Jahre arbeitete das Bauhaus im Design eng mit der Industrie zusammen. Die Bauhäusler entwarfen Produkte mit einfachen Formen, die leicht zu handhaben waren. Walter Gropius wollte, dass Kunst und Technik eine neue Einheit bilden. Produkte für die Industrie entwirft die Bauhaus-Universität Weimar heute nicht mehr, aber sie erforscht, was neue Technologien für die Gesellschaft bedeuten. Für das Jubiläum hat die Weimarer Uni seit Oktober 2018 ein Bauhaussemester ausgeschrieben. "Es gibt zum Beispiel Ringvorlesungen und Kolloquien, in denen wir überlegen, welche Ideen von damals sich heute auf unsere digitale Zeit oder auf unsere Fragen zum Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Technik übertragen lassen", sagt Singer. "Wir stehen jetzt etwa vor der großen Fragestellung, was die Digitalisierung mit dem Design, aber auch mit der Gesellschaft und ihrem Sozialverhalten macht."
Bei den Bauingenieuren und Architekten spielt das Thema Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Nach dem ersten Weltkrieg ging es den Bauhäuslern in erster Linie darum, günstig und praktisch zu bauen, um den Menschen die Mobilität und die Arbeit zu erleichtern. Von Nachhaltigkeit und Energieeffizienz war damals keine Rede. "Das sind Themen, die heute wichtiger sind", meint Nathalie Singer. "Durch die Forscher werden die Ergebnisse in die Gesellschaft getragen. Wir haben auch schon Patente angemeldet, die dann angewendet werden."
Pilgerstätte Bauhaus Dessau
1925 mussten die "Verrückten" vom Bauhaus wegen der angespannten politischen Lage von Weimar nach Dessau umziehen. Dort entwarf Architekt Walter Gropius ein Schulgebäude, das durch seine durchgehende Glasfassade besticht. Das Weltkulturerbe gilt heute als Ikone der Moderne.
Die türkische Architektur-Doktorandin Eci Isbilen war 2018 extra aus den USA von der Polytechnical State University in Virginia gekommen, um an einem Lab der Bauhausakademie in Dessau teilzunehmen. Das Bauhaus sei heute ein beliebtes Ziel für Architektur-Pilger, sagt sie, auch wenn die Konstruktion längst nicht mehr heutigen Bauvorschriften entspräche. "Man muss diesen Ort länger erleben", meint Isbilen, dann lerne man die Vorzüge kennen. "Die großen Fenster passen zu diesem Ort. Man kann sie auf beiden Seiten öffnen. Es ist angenehm zu arbeiten, wenn es draußen heiß ist. Das Gebäude ist also in einem anderen Sinne effizient."
Forschen am eigenen Objekt
Die Akademie, die zur Bauhaus Stiftung Dessau gehört, bietet nicht nur Labs, sondern auch einjährige Masterprogramme in Kooperation mit der Hochschule Anhalt und der Berliner Humboldt-Universität an. Bereits zu DDR-Zeiten wurde das Bauhaus in Dessau als Mischung aus Kultur- und Forschungsinstitution wieder eröffnet. Die 1994 gegründete Stiftung führt diesen Ansatz fort.
Lange Zeit gab es noch Werkstätten am Bauhaus Dessau. Man engagierte sich auch sozial in der Region und brachte sich bis in die 2000er Jahre in Städtebauprojekte ein. In jüngster Zeit hat sich dieser Fokus verlagert hin zur kuratorischen Arbeit vor Ort, erklärt Regina Bittner, Leiterin der Akademie. "Mit den Bauhaus-Bauten und dem neuen Museum, das im Jubiläumsjahr eröffnet wird, versuchen wir aus den Hinterlassenschaften des Bauhauses Bezüge zur Gegenwart herzustellen und Objekte aus der eigenen Sammlung in die Designwissenschaft einzubringen."
Die Globalisierung ändert den Blick auf die Bauhausgeschichte
Man nehme etwa ein konkretes Objekt, das eine Wandlungsgeschichte habe, wie den Schreibtisch oder den Stuhl eines Bauhausdesigners. Diese Objekte würden dann im Kontext paralleler Entwicklungen untersucht. "Wir wollen zum Jubiläum in der heutigen Globalisierung einen anderen Blick auf das Bauhaus werfen. Es geht nicht mehr darum, die Bauhausgeschichte und seine Einflüsse auf die Welt zu sehen", erläutert Bittner. Das Bauhaus werde heute vielmehr im Zusammenhang einer kulturellen Moderne erforscht, bei der es einen fruchtbaren Austausch zwischen den Weltregionen gebe.
Regina Bittner erinnert sich an eine Gaststudentin aus Kolumbien, die sich mit den Textilien der Bauhauskünstlerin Anni Albers beschäftigt hat. "Sie hat das mit der Frage verknüpft, inwieweit heute das neue Interesse an der Handwerkstradition der Anden bei jungen kolumbianischen Designerinnen anknüpft an den Dialog, den Anni Albers in den 40er und 50er Jahren geführt hat. Also was kann man im heutigen Leben von den andinen Handwerkstraditionen lernen?"
Die Faszination Bauhaus
Eci Isbilen hat sich auf standardisierte Bausysteme und Massenproduktion spezialisiert. Ihre Doktorarbeit schreibt sie über den Architekten Konrad Ludwig Wachsmann, der in den 40er und 50er Jahren mit Walter Gropius in den USA die Industrialisierung des Bauens vorangetrieben hat. Wachsmann hat ein universelles Bausystem mit industriell vorgefertigten Bauteilen entwickelt. Seine Baukonstruktion war Thema des Labs 2018 in Dessau. "Es lohnt sich, in diesem Kontext hier in Dessau zu sein, denn man kann Wachsmann nicht nur als amerikanisches Phänomen betrachten", meint Isbilen. "Es ist eine der Geschichten, die hier startete, über den Atlantik ging und dann hierher zurückgekommen ist. Die Orte zu wechseln hilft, die Perspektiven zu ändern."
Dass die Ideen und Produkte der Bauhausschule derzeit wieder hoch im Kurs stehen, liege nicht nur am Jubiläum 2019, meint die Leiterin der Akademie, Regine Bittner. Es sei die Erkenntnis, dass wir in einer globalisierten Welt anders mit natürlichen Ressourcen umgehen müssen und nicht mehr weiter konsumieren und produzieren können wie bisher. "So eine Krisenerfahrung hat es in den 1920er Jahren schon einmal gegeben. Damals haben die Bauhäusler nach Lösungen gesucht, wie man in einer von der Industrialisierung veränderten Gegenwart überhaupt leben und diese human gestalten kann." Der Optimismus, mit dem die Bauhaus-Pioniere versucht haben, ihre Gegenwart human zu gestalten, habe heute Vorbildcharakter. Deshalb, so meint Bittner, schaue man heute wieder mit einem frischen Blick auf das Bauhaus.