Wo bleibt die Impfung gegen HIV?
1. Dezember 2011Es könnte so einfach sein: Man nimmt abgetöte HI-Viren oder Teile von ihnen und spritzt sie dem Patienten. Dessen Immunsystem setzt sich mit den Fremdstoffen auseinander, speichert typische Merkmale ab und wappnet sich so für eine Begegnung mit dem echten Virus. So funktioniert es auch wunderbar bei anderen Viruserkrankungen wie Hepatitis A, Tollwut oder Kinderlähmung. Aber nicht bei HIV.
Denn das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) ist extrem wandlungsfähig: "Wir haben es nicht mit einem einzigen Virus zu tun, sondern mit einem Riesenschwarm von Viren, die sich zudem noch ständig weiter verändern", erläutert Klaus Überla, Virologe an der Ruhr-Universität Bochum, der seit 15 Jahren an einer Impfung gegen HIV forscht. Anders ausgedrückt ist die Evolutionsrate beim HI-Virus enorm hoch; dadurch verändert sich die Gestalt seiner Virushülle rasant schnell von einer Generation zur nächsten.
Die Virushülle besteht aus einem Eiweiß, das das Erbgut des Virus umgibt und ist damit der Angriffspunkt für das Immunsystem. Wenn die Virushülle sich aber ständig verändert, kann das Immunsystem das Virus bei der nächsten Begegnung nicht wiedererkennen - es hat quasi sein Gesicht innerhalb kürzester Zeit geändert. Zudem hat der Erreger Strategien entwickelt, dem Immunsystem zu entgehen. Es registriert das Virus oft überhaupt nicht als Krankheitserreger und greift die HI-Viren daher auch nicht an.
Klassisch ohne Erfolg
Die seit langem bewährte Methode des Totimpfstoffs greift bei HIV nicht, wissen Forscher seit längerem. Sie hatten die Eiweißhülle des Virus im Labor nachgebaut und es Probanden gespritzt. Diese gehörten zur Risikogruppe der Drogensüchtigen, die gemeinsam Spritzen benutzen und sich so anstecken könnten. Dann klärten die Wissenschaftler alle Probanden über HIV und seine Ansteckungsquellen auf und überprüften regelmäßig, welche der Probanden sich im Laufe der Jahre mit dem Virus infizierten und welche nicht. Das Resultat: Diese Art der Impfung schützt nicht vor einer Infektion. "Und das, obwohl die Geimpften Antikörper gegen das Virus gebildet hatten", sagt Überla. "Aber die Antikörper konnten nicht verhindern, dass das Virus in eine Zelle eindringt." Sie binden zwar, aber diese Bindung bleibt ohne Effekt.
Es ist also sehr schwer, von vorneherein zu beurteilen, welcher Impfstoff ein guter Kandidat ist. Vor kurzem berichtete eine spanische Forschergruppe von einem Impfstoff, der 95 Prozent der Probanden dazu brachte, Antikörper gegen HIV zu bilden. Ob er dann aber tatsächlich vor HIV schützt, weiß niemand - das kann nur eine klinische Wirksamkeitsstudie zeigen. Und die ist sehr zeitaufwändig, teuer und braucht eine große Zahl von Freiwilligen.
Jürgen Rockstroh, Immunologe und AIDS-Experte an der Universität Bonn, rät dazu, mehr Geld in die Grundlagenforschung zu stecken, um bessere Kandidaten für klinische Studien zu finden. "Der Schlüssel sind die Patienten, die das Virus unter Kontrolle haben", sagt er. Es gibt HIV-Infizierte, die weitgehend resistent gegen den Erreger zu sein scheinen, bei denen die Krankheit nicht ausbricht. "Wir müssen kopieren, was deren Immunsystem schafft", sagt Rockstroh.
Mitte dieses Jahres fanden US-amerikanische Wissenschaftler 17 neue Antikörper, die gleichzeitig gegen mehrere HI-Virenstämme wirkten. "Solche Antikörper helfen uns, neue Bereiche im Virushüllprotein zu finden, gegen die es sich lohnt, Impfstoffe zu entwickeln", sagt auch Klaus Überla.
Gefährlicher Fehlschlag
Da eine Impfung mit Totimpfstoffen beim HI-Virus nicht funktioniert, ersannen die Forscher bald darauf eine neue Strategie: die genbasierte Impfung. Dabei spritzen die Wissenschaftler nicht das Viruseiweiß, sondern nur das Erbgut für das Eiweiß. Verpackt ist es in ein Schnupfen- oder Pockenvirus, das die Forscher zuvor gentechnisch so verändert haben, dass es für den Menschen harmlos ist.
Die Idee: Das Schnupfenvirus überträgt das Gen für das Eiweiß in die Zelle eines Geimpften. Die Zellen stellen das Eiweiß selber her und das menschliche Immunsystem setzt sich dann mit dem fremden Protein besser auseinander. Eine solche Strategie kommt bisher bei keinem zugelassen Impfstoff zum Einsatz.
Große Hoffnung legten die Forscher auf eine klinische Studie, bei der die Firma Merck eine solche Impfung am Menschen ausprobierte. Zum Entsetzen aller ging der Versuch nach hinten los: Bei einer Untergruppe der Geimpften erhöhte sich sogar das Infektionsrisiko - sie steckten sich eher mit HIV an als die Nicht-Geimpften. Merck brach die Studie ab. Die Krux beim HI-Virus ist, dass es sich in Zellen des menschlichen Immunsystems vermehrt. Durch die Impfung waren die Zielzellen des Virus bestmöglich auf eine Infektion vorbereitet, das Virus konnte sich besonders gut vermehren. "Das Ergebnis hat uns natürlich sehr zurückgeworfen", sagt Überla. "Dass es in Geimpften häufiger zu Infektionen gekommen ist als in Nichtgeimpften, mahnt auch zur Vorsicht bei weiteren klinischen Studien."
Ein Lichtblick
Trotzdem haben HIV-Forscher vor gut zwei Jahren neue Hoffnung geschöpft: Forscher testeten in Thailand zwei miteinander kombinierte Impfstoffe - und konnten durch die Impfung die Wahrscheinlichkeit für eine HIV-Infektion um 30 Prozent senken. Das klingt zwar nicht nach viel, aber "zumindest hat man überhaupt mal einen Effekt gesehen", sagt Rockstroh. Die Forscher versuchen nun herauszufinden, warum und über welchen Mechanismus diese Impfstoffe vor HIV schützen - um dann die Impfstrategie noch weiter zu verbessern.
Aber trotz dieses kleinen Fortschritts "stehen wir noch immer am Anfang der Impfstoffentwicklung", sagt Jürgen Rockstroh: "Wir sollten uns deshalb nicht auf eine Impfung verlassen, denn die kann noch 100 Jahre dauern." Man müsse auch an den Alternativen weiterarbeiten, dazu zählen etwa Biozide, das sind chemische Stoffe, die Viren inaktivieren und etwa als vaginales Gel einsetzbar wären.
Eine andere Möglichkeit ist es, HIV-Infizierten einen früheren Zugang zu den antiviralen Medikamenten zu ermöglichen, welche die Krankheit in Schach halten und eine Weitergabe des Virus verhindern. "Auf nur ein Pferd zu setzen, ist jedenfalls keine gute Idee", sagt Rockstroh.
Autorin: Brigitte Osterath
Redaktion: Nicole Scherschun