Pasewalk: Rechts wählen liegt im Trend
15. September 2017Ivonne Dittmann führt ihr Hündchen in der Oststadt von Pasewalk Gassi; zwischen heruntergekommenen Plattenbauten und einem leerstehenden Einkaufszentrum. Die Oststadt ist die typische Plattenbausiedlung am Stadtrand, die man fast überall im Osten Deutschlands findet. Offenherzig bekennt sie: "Ich habe AfD gewählt, weil die mehr für uns Deutsche tun." In ihrem Viertel sind ihr außerdem zu viele Asylbewerber unterwegs. "Die kriegen halt mehr wie wir; wir Deutschen."
In Pasewalk wählt jeder Dritte rechts
Diese Haltung ist in Pasewalk, im Süden von Mecklenburg-Vorpommern, weit verbreitet. "Es ist natürlich kein schönes Gefühl, dass hier jeder Dritte rechts wählt - AfD oder die rechtsradikale NPD", sagt Bürgermeisterin Sandra Nachtweih nüchtern. Sie ist parteilos, wird von SPD und der Linken unterstützt.
Nachtweih ist Bürgermeisterin einer schrumpfenden Stadt mit vielen Problemen: Vor der Wende hatte Pasewalk - nahe der Grenze zu Polen - 16.000 Einwohner. Jetzt sind es noch 10.500. Die Arbeitslosigkeit ist mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt: 12 Prozent. Die Stadt ist überaltert, 35 Prozent der Einwohner sind älter als 65 Jahre. Und das alles in der Kulisse einer Stadt, die am Ende des Zweiten Weltkrieges zu 85 Prozent zerstört wurde, die mit der Wende ihre industrielle Basis - vor allem nach dem Weggang des Militärs mit allen Zulieferfirmen - nahezu vollkommen einbüßte.
Die Jungen sind schon lange weg. "Das macht sich natürlich schon bemerkbar, weil gerade die Jugend oder die, die vor 20 Jahren die Jugend waren, weggezogen sind. Und da fehlt natürlich der Nachwuchs in der Stadt", bekennt Bürgermeisterin Nachtweih unumwunden.
Vor allem die Wendeverlierer wählen Frust
Nachtweih machen vor allem die Wahlergebnisse in ihrer Stadt Sorgen. Bei der Landtagswahl im vergangenen September hat der Kandidat der AfD, Jürgen Strohschein, mit 27 Prozent der Erststimmen das Direktmandat für den Wahlkreis errungen, zu dem auch Pasewalk gehört.
Bürgermeisterin Nachtweih erklärt sich die traditionell guten Ergebnisse der rechten Parteien in ihrer Stadt so: "Viele wählen AfD, weil sie sich verloren und vergessen fühlen, als die Zurückgelassenen der Wende. Sie wissen sich selbst nicht zu helfen. Und wegen dieses Frusts - auch über die aktuelle Politik - wählen sie dann AfD."
Nachtweih steht auf dem Marktplatz in der Innenstadt von Pasewalk, der in den vergangenen Jahren adrett hergerichtet wurde. Von hier aus schaut sie direkt auf das AfD-Wahlkreisbüro. Am Markt 1 residiert nun die AfD, da wo bis vor kurzem noch die SPD ihr Büro hatte.
Jahrzehnte für die CDU – jetzt AfD
Jürgen Strohschein sitzt hinter seinem Schreibtisch. 42 Jahre lang war er Mitglied der CDU, rechter Flügel, "ein Mahner", wie er selbst sagt. Seit September sitzt Strohschein für die AfD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Seine Partei hatte im Wahlkampf vor allem auf ein Thema gesetzt: die Flüchtlingspolitik. Und die Partei hatte Erfolg damit, obwohl es in keinem Bundesland weniger Flüchtlinge gibt wie in Mecklenburg-Vorpommern. In Pasewalk, einer 10.000-Einwohner-Stadt, sind es lediglich 50 bis 60.
"Die Asylpolitik von Frau Merkel war unser bester Wahlhelfer", sagt Strohschein rückblickend. Und Enrico Komning, der für die AfD in den Bundestag einziehen möchte, sekundiert: "Die Bürger hier, in dieser Region, fühlen sich schlicht abgehängt. Die Landeshauptstadt Schwerin ist weit weg und Berlin noch weiter", sagt der AfD-Landtagsabgeordnete. Die Flüchtlingspolitik ist für ihn - neben mehr Elementen der direkten Demokratie und der Eurokritik - das Hauptthema der AfD. "Die Bürger haben Angst davor, dass fremde Menschen zu uns kommen. Sie wollen ihre Identität hier behalten."
Angst vor dem Fremden, den Ausländern und Asylbewerbern
Es ist wohl auch die Angst vor dem, was man hier nicht kennt, weil es ihn hier kaum gibt: den "Ausländer". Aber auch das Gefühl, dass die Wende von 1990 einen einfach überrollt hat. Viele Menschen in Pasewalk haben seitdem nicht wieder Tritt gefasst, sind in den Frust abgerutscht, die Arbeits- und Perspektivlosigkeit.
Der "Holzhof" der Caritas am Stadtrand von Pasewalk bietet solchen Menschen Halt und Hilfe. In einem sogenannten Zuverdienstprojekt spalten hier vor allem Männer große Holzscheite, die dann als Feuerholz verkauft werden. Andreas Gehrke ist froh, dass er überhaupt noch lebt, nach schlimmster Alkoholabhängigkeit. Er hat durch das Projekt wieder eine Perspektive für sein Leben bekommen, in einer Stadt, deren Niedergang er schon lange beobachtet: "Jetzt gehen wieder zwei Kaufhallen in der Innenstadt weg. Wie sollen alte Leute eigentlich noch zum Einkauf kommen? Es sind die kleinen Dinge, die das Leben hier immer schwieriger machen."
Genau diese Kleinigkeiten sind auch Teil des Erfolges der AfD, analysiert Brit Buß, die Caritas-Sozialpädagogin, die das Projekt "Holzhof" betreut. "Es ist eine Mischung aus dieser Perspektivlosigkeit, einfachen Lösungen, Abgegessenheit der Leute, und ein bisschen DDR-Mentalität auch."
Bürgermeisterin Nachtweih lässt sich von alledem nicht entmutigen. Die energische Frau mit der Kurzhaarfrisur tut, was sie kann, um das Ruder für ihre Stadt - die Hochburg der AfD - herumzureißen: Investorengespräche, die Umgestaltung des Problemviertels Oststadt, Bürgersprechstunden. Der Glaube stirbt zuletzt!