Wolf Biermann: "Ich will ihr beistehen"
5. Oktober 2021Am 5. Oktober wird der Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt mit dem Ovid-Preis für sein dichterisches Lebenswerk geehrt. Er werde den Preis "im Handumdrehen" an die seit 2020 inhaftierte belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa weitergeben, hat der 84-Jährige angekündigt.
Kolesnikowa ist eines der bekanntesten Gesichter der belarussischen Protestbewegung und wurde Anfang September in Minsk zu elf Jahren Haft in einem Straflager verurteilt. Stellvertretend für die Oppositionspolitikerin wird daher ihre Anwältin Lyudmila Kazak den Preis in Empfang nehmen. Das Urteil erging fast ein Jahr nach Kolesnikowas Festnahme im Zuge der Proteste gegen Machthaber Lukaschenko und lautet auf versuchte illegale Machtergreifung. Die Bundesregierung hat wiederholt die Freilassung der früheren Stuttgarter Kulturmanagerin gefordert.
Die DW sprach mit Biermann über die Weitergabe des Ovid-Preises und über seine Sicht auf die Lage in Belarus.
"Inspirierende Ikone des Widerstands"
DW: Herr Biermann, was hat Sie dazu bewegt, die Auszeichnung für Ihr Lebenswerk an Maria Kolesnikowa weiterzugeben?
Wolf Biermann: Maria Kolesnikowa ist eine inspirierende Ikone des Widerstandes gegen den Diktator in Weißrussland und zugleich ist sie ein kleiner schwacher Mensch, der in einer Zelle sitzt und den Schergen von Alexander Lukaschenko hilflos ausgeliefert ist.
Sie steckte in dem Dilemma wie auch ihre mutigen Freunde: da bleiben oder weggehen, und hat sich dafür entschieden, den schwereren Weg zu gehen. Ich werde sie nicht retten können, aber ich will ihr beistehen. Wenn ich sie verteidige, verteidige ich auch uns alle, die an ein freies demokratisches Europa glauben. Auf die gute Idee, den Preis an Mariya Kolesnikowa weiter zu geben, hat mich übrigens der Historiker Ilko Sacha Kowalzcuk gebracht.
Es scheint ja geradezu eine Renaissance totalitärer Regime zu geben, wenn wir uns die weltweiten Entwicklungen der vergangenen Jahre ansehen. Was empfinden Sie dabei - insbesondere im Hinblick auf Ihre eigene Biografie?
Sie drücken das sehr vornehm aus. Sagen wir dazu: die Renaissance der Schweinehunde auf der ganzen Welt. Wenn die Belarussen nicht wüssten, dass Putin mit seiner Armee seinem Freund Lukaschenko zu Hilfe käme, wenn das Volk dafür sorgte, dass er abtreten müsste, dann wäre der schon längst von der historischen Bühne gefegt.
Es gab schon immer in den verschiedenen Diktaturen, auch schon vor dem Zusammenbruch des Ostblocks, eine tiefe Verbindung zwischen den Rebellen und Freiheitskämpfern. Sie sind immer beides: sehr einsam und doch miteinander solidarisch verbunden. Nur so hält man die Einsamkeit als Kämpfer gegen die Dikatur aus.
Wirklicher Mut kommt aus Verzweiflung
Sie werden bei der Verleihung Ihr Lied "Ermutigung" vortragen, auch auf Belarussisch. Was macht Ihnen selbst gerade Mut?
Der wirkliche Mut, das wissen Sie aber auch ohne mich, kommt im Grunde aus tiefer Verzweiflung. Nur in solcher existentieller Not ist er ja auch von Nöten. Und da wir uns ja in Deutschland unterhalten, möchte ich Sie daran erinnern: Es ging uns Deutschen noch nie auch nur annähernd so gut, wie es uns jetzt geht. Den Deutschen geht es geradezu gefährlich gut, gemessen am Zustand der Menschheit, zu der wir nebenbei ja immer auch noch gehören. Frieden, Freiheit, Wohlstand. Das vergessen manche Zeitgenossen allzu gern.
Ich wünsche dem belarussischen Volk, dass es schafft, sich von dem brutalen Diktator Lukaschenko zu befreien. Meine Hochachtung gilt den Frauen. Der Diktator Lukaschenko fürchtet die Frauen noch mehr als die Männer. Das ist was wunderbar Neues im ewigen Freiheitskampf der Menschheit.
Hier der Text von "Ermutigung" auf Deutsch und Belarussisch:
Ermutigung
Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich
Und brechen ab sogleich
Du, lass dich nicht verbittern
In dieser bitt'ren Zeit
Die Herrschenden erzittern
Sitzt du erst hinter Gittern
Doch nicht vor deinem Leid
Auch nicht vor deinem Leid
Du, lass dich nicht erschrecken
In dieser Schreckenszeit
Das woll'n sie doch bezwecken
Dass wir die Waffen strecken
Schon vor dem großen Streit
Schon vor dem großen Streit
Du, lass dich nicht verbrauchen
Gebrauche deine Zeit
Du kannst nicht untertauchen
Du brauchst uns und wir brauchen
Grad deine Heiterkeit
Grad deine Heiterkeit
Wir woll'n es nicht verschweigen
In dieser Schweigezeit
Das Grün bricht aus den Zweigen
Wir woll'n das allen zeigen
Dann wissen sie Bescheid
Dann wissen sie Bescheid
Вольф Бірман
Падтрымка
Пэтэру Хухелю
Гэй, ня дай сабе зрабіцца жорсткім
У гэтыя суворыя часы.
Занадта цьвёрдыя, каб зламацца.
Занадта вострыя, каб стачыцца
І каб разьбіцца.
Гэй, ня дай сябе атруціць горыччу
У гэтыя горкія часы.
Гаспадары краіны дрыжаць.
Ты сядзіш за кратамі,
Але не перад сваёй пакутай.
Гэй, ня дай сябе запужаць
У гэтыя страшныя часы.
Яны гэтага й дабіваюцца.
Каб мы склалі зброю
Перад вялікай бітвай.
Гэй, ня дай сябе скарыстаць.
Скарыстай свой час.
Ты ня можаш проста так патануць.
Табе патрэбныя мы. І нам патрэбная
Твая бадзёрасьць.
Мы ня хочам нічога замоўчваць
У гэтыя маўклівыя часы.
Зялёныя парасткі прабіваюцца з галінак.
Мы хочам паказаць гэта ўсім.
Каб яны даведаліся, у чым рэч.
Das Gespräch führte Philipp Jedicke.
Der Ovid-Preis des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland wird alle zwei Jahre vergeben. Die Auszeichnung war Wolf Biermann bereits 2020 zuerkannt worden, konnte aber coronabedingt bisher nicht übergeben werden.