"Es macht mir Spaß"
11. Mai 2012Seit März 2012 ist Wolfgang Niersbach Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), dem mit mehr als 6,8 Millionen Mitgliedern größten Sportfachverband der Welt. Er löste Theo Zwanziger ab. Als einen Schwerpunkt seiner Arbeit sieht der 61-Jährige die Talent- und Eliteförderung. Vor allem will er auch die Einheit zwischen den Amateuren und den Profis bewahren. Im Interview der Deutschen Welle spricht Niersbach über seine neue Arbeit, die Entwicklung im deutschen Fußball und die EURO 2012 in Polen und in der Ukraine.
Deutsche Welle: Borussia Dortmund ist wieder deutscher Meister geworden, Bayern München steht im Endspiel der Champions League (19. Mai). Beide Teams bestreiten zudem das DFB-Pokalfinale (12. Mai). Ist in Deutschland eine Klassengesellschaft entstanden - mit Dortmund und den Bayern an der Spitze?
Wolfgang Niersbach: Von einer Klassengesellschaft will ich nicht reden. Es hat immer mal wieder Phasen gegeben, da hieß es: Bayern und Gladbach, dann Bayern und HSV, Bayern und Bremen, Bayern und Stuttgart. Und jetzt ist es wieder Bayern und Dortmund. Das hatten wir ja auch schon einmal. Ich glaube, es ist die große Leistung der Bayern, dass die im Prinzip immer dabei waren, immer zu den führenden Clubs gehört haben. Die Dinge können sich auch schnell wieder ändern. Nicht viel hätte gefehlt und Borussia Mönchengladbach wäre in dieser Saison schon ganz nah herangekommen. Aber vor dem, was die Borussia aus Dortmund geleistet hat, kann man nur den Hut ziehen, auch als neutraler Beobachter. Wie die spielen, mit welcher Leidenschaft, mit welcher Frische, mit welchem Herz, das ist einfach Klasse.
"Fußball ist kein Planspiel"
Große Städte wie Hamburg Berlin oder Köln haben auch große Probleme. Ist das ein Trend?
Der Standort oder auch die Tradition eines Clubs sind eben keine Garantie dafür, dass man ein Abonnement in der 1. Liga hat. Das ist gerade in diesem Jahr deutlich geworden. Augsburg und Freiburg haben es geschafft. So ziemlich jeder Fußballexperte hat die schon wider in der 2. Liga gesehen. Das ist ja gerade das Schöne, dass es solche Wechsel gibt. Fußball ist kein Planspiel, gerade in Deutschland nicht mit der Ausgeglichenheit der Liga. Insofern wird es diese Überraschungen immer wieder geben. Das ist aber auch gut so.
Die Bayern sind im Finale der Champions League. Wie wichtig ist das für den deutschen Fußball?
Das ist ein Traum. Man kämpft jahrelang hinter den Kulissen, ein solches Spiel nach Deutschland zu holen. Und dann kommt es auch noch so, dass die Bayern im Endspiel sind. Es wird ein gigantisches Fest in ganz München, auch mit dem Champions-League-Finale der Frauen am 17. Mai zwischen dem 1. FFC Frankfurt und Olympique Lyon im Olympiastadion. Da hat ja seit ewigen Zeiten kein Fußballspiel mehr stattgefunden. Ich erwarte ein großes Happening. Da müssen wir nicht mehr neutral sein: Ich hoffe und glaube auch, dass die Bayern es gegen den FC Chelsea schaffen werden.
Kann man von einem Bayern-Sieg einen Schub für die Nationalmannschaft bei der EURO in Polen und der Ukraine erwarten?
Zumindest 2010 war es so, als die Bayern auch im Finale der Champions League waren. Da haben sie verdient mit 0:2 gegen Inter Mailand verloren. Damals sind die Spieler auch verspätet zur Vorbereitung der Nationalmannschaft gekommen. Und am Ende stand diese großartige WM in Südafrika. Natürlich sind es zusätzliche Belastungen, ist es zusätzlicher Stress. Aber die Motivation wird gigantisch sein. Das wird sie beflügeln. Für den Bundestrainer ist es natürlich nicht ideal. Bei dem Länderspiel am 26. Mai in Basel gegen die Schweiz wird man kaum einen Bayern-Spieler einsetzen können. Aber unsere Mannschaft ist auch so gewachsen, da sind die Abläufe klar. Da bleibe ich Optimist.
"Unsere Spieler sind im Ausland wieder begehrt"
Vier deutsche Spieler aus dem aktuellen EM-Kader spielen bei ausländischen Vereinen. Nun wechselt Lukas Podolski zum FC Arsenal. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Das ist gut, denn als wir 1990 Weltmeister geworden sind, haben bekanntlich fünf Spieler in Italien gespielt. Es ist der Beweis, wie begehrt unsere Spieler wieder im Ausland sind. Wenn sie nicht mehr in der Bundesliga spielen, was natürlich ein Verlust ist, hat das aber auch den Effekt, dass junge Spieler automatisch in der Bundesliga nachrücken. Den Effekt kennen insbesondre die Holländer, wo die besten Spieler seit Jahr und Tag in andere Länder gehen. Und der eigene Nachwuchs findet dann freie Plätze vor. Wir brauchen natürlich starke Nationalspieler in der Bundesliga. Wenn die aber im Ausland so begehrt sind, ist es einfach ein positives Zeugnis für den deutschen Fußball.
Die deutsche Mannschaft hat eine schwere Gruppe mit den Niederlanden, Portugal und Dänemark. Ist dennoch das EM-Finale möglich?
Es ist die schwerste Gruppe. Es kann alles passieren. Wir können durchaus nach der Vorrunde ausscheiden. Aber das wird nicht passieren. Wir können genauso Europameister werden. Das ist halt auch der große Unterschied zur Weltmeisterschaft. Dort haben sie in einer Vorrundengruppe doch mindestens einen Gegner, wo man schon vorher sagt: Da wird nichts schiefgehen, da könne sie die drei Punkte schon verbuchen. Das ist bei der EM total anders mit einem wahnsinnig ausgeglichenen Feld. Ich glaube, wenn wir die Vorrunde überstehen, dann wird es sogar ein bisschen leichter. Aber diese Aussage ist vielleicht auch direkt wieder zu korrigieren: Zumindest auf dem Papier könnte es dann leichter werden.
In der Diskussion ist ein EM-Boykott der Ukraine. Wie ist da Ihr Standpunkt?
Unsere Position ist seit vielen Tagen klar. Ich kann nur wiederholen, dass wir absolut gegen einen sportlichen Boykott sind. Das ist auch die einhellige Meinung der Bundesregierung. Falsch ist die Meldung, vor eineinhalb Jahren hätte es schon einen Plan B gegeben in der Gestalt, dass der DFB und Deutschland als Gastgeber einspringen. Das ist nie mit uns diskutiert worden, auch mit der UEFA nicht. Aber ich sage auch immer wieder: Überhöht den Sport nicht, überfordert uns nicht als Sportverband! Unsere Position ist klar, aber die Dinge müssen auf der politischen Ebene gelöst werden.
"Habe lange mit mir gerungen"
Sie sind als DFB-Präsident seit gut zwei Monaten im Amt. Haben Sie Ihre Arbeit so erwartet wie sie jetzt gekommen ist?
Die Felder sind ja keine Überraschung für mich. Ich kenne mich da gut aus und bin jetzt über 20 Jahre, seit 1988, beim DFB und kenne die Strukturen. Ich kenne die handelnden Personen sowie die meisten Manager und Trainer der Bundesliga persönlich noch aus ihrer Zeit, als sie Nationalspieler waren. Das ist etwas Gewachsenes. Mir macht es ganz einfach auch Spaß, muss ich auch sagen. Ich habe lange Zeit mit mir gerungen, weil mir bewusst ist, wie sehr man in dieser Position und Funktion dann auch im Blickfeld der Öffentlichkeit steht. Jede Äußerung zählt jetzt anders. Wenn der Präsident Niersbach etwas sagt, wird es anders wahrgenommen als früher, obwohl es der gleiche Satz gewesen wäre, den der DFB-Generalsekretär oder Pressechef gesagt hätte. Das ist mir schon bewusst. Aber ich traue mir die Aufgabe auch zu. Ich sage das auch mit dem Selbstbewusstsein, das hoffentlich nicht als Arroganz ausgelegt wird. Es ist nämlich keine Arroganz sondern Demut.
Gibt es einen Schwerpunkt, den Sie setzen möchten?
Die Schwerpunkte hatte ich beim DFB-Bundestag genannt. Wir müssen die Einheit bewahren zwischen dem professionellen Fußball und dem großen Amateurlager. In keinem anderen Verband der Welt funktioniert das so gut wie bei uns, es ist aber auch nicht konfliktfrei. Die Zusammenarbeit muss immer wieder neu bestätigt und auch ein Stück erarbeitet werden. Die Amateure haben es verdient, dass man sie viel stärker und positiver wahrnimmt und zwar im wahrsten Sinne des Begriffes: Denn der Amateur ist der Liebhaber. Das ist kein Zweitklässler, der irgendwie von oben herab angesehen werden muss. Ein Schwerpunkt wird auch immer die Talent- und Eliteförderung sein. Da müssen wir eher noch mehr machen. Ich habe schon einmal scherzhaft gesagt, wenn DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, ein ungeduldiger Mensch im positiven Sinne, morgen käme und sagen würde: 'Wir brauchen noch einen Eckball- oder Einwurftrainer'. Dann würden wir auch da sagen: Okay, wenn das zur Verbesserung beiträgt, dann machen wir das halt.