"Heulen mit den Wölfen"
15. Juli 2014DW: Herr Zimmermann, wie schätzen Sie zu diesem Zeitpunkt die Stimmung in Israel ein?
Moshe Zimmermann: Die Stimmung ist selbstverständlich bedrückt. Doch bis auf die ungefähr eine Million Israelis, die in direkter Nähe zum Gaza-Streifen leben, sind die meisten von den Raketen-Attacken nur bedingt betroffen. Selbstverständlich nervt es sehr, wenn die Sirenen heulen. Doch die Leute haben mittlerweile gelernt, damit zu leben.
Das Abwehrsystem "Iron Dome" fängt nach Angaben des israelischen Militärs 90 Prozent der auf Israel abgefeuerten Raketen ab. Verliert der Krieg für viele Israelis seinen Schrecken?
Durch das Abwehrsystem sind die Raketeneinschläge tatsächlich seltener geworden. Man hat eher Angst vor dem Ungewissen, vor dem Lärm, vor den Sirenen, aber das war es auch schon. Und das erzeugt am Ende doch eine gewisse Gelassenheit. Nach dem Motto: Wir haben mehr Ausdauer und Kraft als die andere Seite. Man denkt weniger über eine echte Lösung nach, sondern nur über die Frage: Wie lange dauert das noch?
Geht diese Haltung auch mit einer Art Resignation einher? Hat man die Hoffnung auf eine echte Lösung des Konflikts aufgegeben?
Das Wort Hoffnung ist hier problematisch: Die israelische Linke hat die Hoffnung nie verloren. Die israelische Rechte, und dazu gehört auch die Regierung, hat aber paradoxerweise eher Angst vor einem dauerhaften Frieden. Ein Frieden würde nämlich bedeuten, dass Israel zu großen Teilen auf das Westjordanland verzichtet. Das wollen die Nationalisten und die israelischen Siedler um jeden Preis verhindern.
In Ihrem Buch "Die Angst vor dem Frieden" schildern sie genau diese Problematik und vertreten die These, dass ein extremer Sektor der israelischen Gesellschaft, der kein Interesse am Frieden hat, der Mehrheit im Land seine Politik aufdrängt.
Das kann man sogar noch extremer formulieren: Die Mehrheit in Israel ist Geisel in der Hand der Siedler. Sie haben die Oberhand, wenn auch indirekt, und betreiben innerhalb der Regierung Netanjahus ihre Politik. Den Gedanken, jetzt Friedensgespräche mit den Palästinensern zu führen, gibt es in ihren Köpfen nicht. Sie haben sich eher darüber gefreut, dass die von den USA geführten Friedensgespräche im April gescheitert sind und dachten, sie könnten jetzt mit der Siedlungspolitik weitermachen.
Sie gehören schon lange zu den warnenden Stimmen in Israel, die sich für die Aussöhnung mit den Palästinensern und gegen die Besatzung aussprechen. Wo sind Ihre Mitstreiter?
Die israelische Rechte attackiert die Intellektuellen stets als Handlanger der Linken. Wenn man genau hinschaut, gibt es einige linke Intellektuelle in Israel, die laut sind und sich auch im Ausland bemerkbar machen. Doch der Großteil derer, die man als gebildet und intellektuell bezeichnen kann, tendiert dazu, mit den Wölfen zu heulen. Wenn die Mehrheit erwartet, dass man draufhaut, dass man Stärke zeigt, dann versuchen die Intellektuellen nicht, gegen den Wind zu schreien, sondern passen sich an. Das ist eine Entwicklung, die uns Sorgen machen sollte.
Gibt es denn von Seiten der Kulturschaffenden in Israel konkrete Initiativen für eine Beendigung des Konflikts?
Diese Bemühungen gibt es bei uns auf jeden Fall. Sehr viele Künstler aus den verschiedensten Bereichen engagieren sich und das oft mit sehr direkten Aktionen. Aber sie wissen auch: Sobald sie sich für einen Frieden mit den Palästinensern aussprechen, kommt von der anderen Seite die Anschuldigung, man sei ein Verräter am eigenen Volk.
Sie lehren Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Glauben ihre Studenten noch an die Friedensbewegung oder geht der Rechtsruck auch durch die Studentenschaft?
Früher gab es mehr linke Studenten als heute. Heute sind die Mehrheit derer, die sich zu Wort melden, eher dem rechten Flügel zuzuordnen. Auf der anderen Seite sind zehn Prozent der Studenten an meiner Universität arabisch-stämmig und es gibt auch studentische Vertreter der linken Parteien. Doch die Mehrheit ist entweder indifferent oder unterstützt die politischen Falken. Es gibt sogar rechts-orientierte Organisationen auf dem Campus, die genau aufpassen, dass die Dozenten keine links-gerichteten Botschaften in die Hörsäle tragen.
Moshe Zimmermann ist Historiker an der Hebräischen Universität in Jerusalem. In seinem 2010 veröffentlichen Buch "Die Angst vor dem Frieden: das israelische Dilemma" vertritt er die These, dass die Israelis den Frieden mehr zu fürchten scheinen, als den Kriegszustand.
Das Interview führte Jan Bruck.