1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schwellenländer fürchten Zinswende

Zhang Danhong26. August 2015

Notenbanker und Top-Ökonomen kamen in Jackson Hole zu ihrem Jahrestreffen zusammen. Die Themenliste war lang, aber die ganze Welt interessiert nur eine Frage: Erhöht die Fed im September den Leitzins?

https://p.dw.com/p/1GJTh
Jackson Hole
Bild: picture-alliance/chromorange/A. L. Thornton

Eine Antwort auf diese Frage haben wir in Jackson Hole, einem malerischen Ort im US-Bundesstaat Wyoming, nicht bekommen. Denn die einzige Frau, die in dieser Sache Auskunft geben könnte, hat das Jahrestreffen der Notenbanker geschwänzt. Vielleicht weil Janet Yellen, Präsidentin der US-Notenbank Fed, es einfach satt hat, ständig mit der einen und selben Frage konfrontiert zu werden: Kommt die Zinswende im September oder doch erst am Jahresende?

An dieser Situation ist sie selber nicht ganz unschuldig: Monatelang ging es hin und her. Mal hieß es: Die Zeit sei reif; mal kam wieder ein Dämpfer: Die Erholung der US-Wirtschaft sei nicht robust genug. Doch nun brummt der Konjunkturmotor, die größte Volkswirtschaft der Welt steuert sogar auf die Vollbeschäftigung zu. So geht Martin Hüfner, Chefvolkswirt der Assenagon-Gruppe, davon aus, dass die US-Notenbanker im September die Zinswende einläuten werden: "Erstens, weil sie die Märkte richtig vorbereitet haben; zweitens, weil es notwendig ist, wieder zu vernünftigen Bedingungen an den Kapitalmärkten zu kommen."

Martin Hüfner Chefökonom von Assenagon
Dr. Martin HüfnerBild: Assenagon

Zinswende wirkt wie Drogenentzug

Seit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise Ende 2008 liegen die Leitzinsen in den USA auf dem Rekordtief von null bis 0,25 Prozent. Andere Zentralbanken folgten dem US-Beispiel. Da der Zins noch niedriger ausfällt als die Inflation, klagen die Sparer über schleichende Enteignung. Und die Finanzmärkte haben sich so sehr an das viele, billige Geld gewöhnt, dass eine erwartete Zinserhöhung wie eine Art Drogenentzug wirkt, der panische Reaktionen auslöst.

Ähnliches geschah bereits vor zwei Jahren. Damals reichte ein Hinweis des Fed-Präsidenten Ben Bernanke auf ein mögliches Ende der Anleihekäufe aus, um Währungen und Finanzmärkte einiger Schwellenländer massiv unter Druck zu setzen. Am schlimmsten betroffen waren Brasilien, Südafrika, die Türkei, Indonesien und Indien, seitdem unter dem wenig schmeichelhaften Namen die "Fragilen Fünf" (Fragile Five) zusammengefasst. "Anfällig machte sie insbesondere ihr hohes Leistungsbilanzdefizit, dessen Finanzierung viele 2013 wegen höherer US-Zinsen und eines festen US-Dollars gefährdet sahen", schreibt Commerzbank-Experte Lutz Karpowitz in einer Analyse. Seitdem hat sich nur in Indien das Leistungsbilanzdefizit deutlich verringert. Auch in Indonesien hat sich einiges getan. Die anderen Drei bleiben aber weiterhin fragil.

Brasilien und die anderen fragilen

"Brasilien macht mir am meisten Sorgen", sagt Martin Hüfner gegenüber der Deutschen Welle. Die Produktion bricht ein, der Konsum schwächelt, die Inflation nähert sich dem zweistelligen Bereich. Auch Russland sei in einem bedenklichen Zustand. Der Rubel verliert wegen der sinkenden Ölpreise weiter an Wert. Die türkische Lira steht wegen der politischen Unsicherheit im Lande unter Druck. In Mexiko, quasi vor der Haustür von Jackson Hole, droht ein neuer Krisenherd. Der Kreis der instabilen Schwellenländer hat sich also erweitert.

Als ob das alles noch nicht genug wäre, breitet sich seit einiger Zeit ein China-Virus aus. Die Wirtschaft wächst langsamer als erwartet, der Export geht zurück, die Aktienkurse stürzen ins Bodenlose. Die Zentralbank in China wertete die Landeswährung Yuan zweimal hintereinander um vier Prozent ab, dann senkte sie am Dienstag (25.08.2015) die Zinsen. Der Virus hat bereits die gesamten Schwellenländer erfasst. So flossen nach Angaben des niederländischen Vermögensverwalters NN Investment in den vergangenen 15 Monaten fast eine Billion Dollar aus den Emerging Markets ab. Die Probleme in China oder in Brasilien hätten zwar mit den amerikanischen Zinsen nichts zu tun, sagt Martin Hüfner, aber eine Zinswende würde den negativen Trend beschleunigen und die Lage verschlechtern.

Dann kann es ganz schnell gehen, "dann bekommen wir vielleicht so etwas wie die Asienkrise Ende der 1990er Jahre, wo man möglicherweise zu Kapitalverkehrskontrollen schreiten muss und protektionistische Maßnahmen ergreift", sagt Martin Hüfner.

Zwar steht Europa diesmal nicht im Auge des Sturms, im Gegenteil, vom starken Dollar hat die Eurozone bisher profitiert, aber wenn die Turbulenzen in den Schwellenländern zu groß werden, bleibt auch Europa nicht verschont.

Der Pulver ist verschossen

Eine globale Krise ist aber im Moment das Letzte, was die Welt gebrauchen kann. Denn die Welt von heute hat kaum noch etwas in der Hand, um eine Krise zu bekämpfen. "Anders als 2008 haben wir diesmal keinen geldpolitischen Spielraum, um gegenzusteuern", so Assenagon-Chefvolkswirt Hüfner. Schließlich liegen die Zinsen bereits im Null-Bereich." Große Konjunkturpakete wie 2008 können die Länder auch kaum stemmen, denn die meisten sind heute überschuldet.

Angesichts solcher Horrorszenarien überlegen sich die US-Währungshüter vielleicht doch noch, ob sie tatsächlich im September anfangen, zum ersten Mal seit 2006 die geldpolitischen Zügel wieder zu straffen. In Jackson Hole konnten die Notenbanker (allerdings ohne Yellen und auch ohne EZB-Chef Draghi) beraten, wie man die Geister wieder los wird, die man durch die lockere Geldpolitik gerufen hat.