Zugverkehr aus Ungarn bleibt unterbrochen
10. September 2015Für den deutschen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist es die "vermutlich größte nationale, europäische Herausforderung seit der Wiedervereinigung". Selten habe Deutschland so zusammengestanden. "Das tut uns gut und das tut den Flüchtlingen gut", sagte der SPD-Vorsitzende in der Haushaltsdebatte des Bundestages. Soweit die emotionalen Worte des Ministers. Zu den Fakten sagte er: 450.000 Flüchtlinge seien seit Anfang des Jahres nach Deutschland gekommen, allein in den ersten Septembertagen seien es 37.000 gewesen. Diese Beschreibung verband Gabriel mit der Forderung nach einem Einwanderungsgesetz. "Wir brauchen eine Alternative zu Schlepperbanden und Menschenhändlern", so Gabriel. "Migration lässt sich nicht verbieten oder verhindern." Es müsse einen legalen Zugang zu Europa geben.
Die Vorschläge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen in der EU hält Gabriel für unzureichend. Dies sei höchstens ein erster Schritt – "wenn man es freundlich sagt". Man könne aber auch sagen, "ein Tropfen auf den heißen Stein". Weitere Schritte müssten sich anschließen.
Ansturm in Ungarn und Österreich hält an
Unterdessen reißt der Flüchtlingsstrom auf der sogenannten Balkanroute nicht ab. Die ungarische Polizei teilte mit, sie habe am Mittwoch mehr als 3300 Flüchtlinge zeitweise in Gewahrsam genommen. Das sei in diesem Jahr die bislang höchste Zahl an einem Tag gewesen. Der Bahnverkehr zwischen Österreich und Ungarn bleibt einem ÖBB-Sprecher zufolge unterbrochen. Grund für die Sperre sei die Überlastung der Bahn durch den Zustrom Tausender Flüchtlinge. Ob der Verkehr am Freitag wieder anlaufen könne, sei noch nicht absehbar.
In Österreich sind am Grenzübergang Nickelsdorf und an den Wiener Bahnhöfen bis zum Mittag rund 6000 Flüchtlinge aus Ungarn angekommen. Weil das die Kapazitäten der österreichischen Bahn übersteige, würden zur Weiterfahrt Richtung Deutschland verstärkt auch Busse eingesetzt, sagt ein Sprecher des Innenministeriums in Wien.
Da die meisten Flüchtlinge weiter nach Deutschland reisen wollen, rechnet der Regierungspräsident von Oberbayern, Christoph Hillenbrand, für diesen Donnerstag mit 6000 neuen Flüchtlingen. Bis zum Vormittag kamen demnach 1300 Flüchtlinge in Bayern an.
Dänemark wieder offener
Die Situation an der deutsch-dänischen Grenze hat sich unterdessen wieder etwas entspannt. Seit dem Morgen ist der grenzüberschreitende Zugverkehr wieder freigegeben. Am Mittwoch hatten die dänischen Behörden Züge gestoppt, weil in ihnen Flüchtlinge saßen, die nach Schweden wollten. Der Fährverkehr bleibt allerdings noch teilweise eingeschränkt, die Fähren nehmen nur Autos auf, keine Züge mehr. Die Autobahn, die Dänemark mit Deutschland verbindet, ist wieder offen. Sie war ebenfalls am Mittwoch gesperrt worden, weil Hunderte aus Deutschland kommende Flüchtlinge über diesen Weg nach Norden strömten.
Die EU-Kommission kritisiert Dänemark indirekt für die Entscheidung, die Grenzübergänge zu Deutschland vorübergehend zu schließen. "Was EU-Kommissionspräsident Juncker gesagt hat, gilt weiterhin, nämlich dass die Flüchtlingskrise alle Mitgliedsländer betrifft und dies nicht die Zeit für Einzelmaßnahmen ist", sagt eine Sprecherin. Die Brüsseler Behörde sei in Kontakt mit den dänischen Behörden und beobachte die Situation genau.
Mazedonien erwägt Zaun
Mazedonien erwägt den Bau eines Zaunes wie ihn bereits Ungarn errichtet hat, um den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen. Sein Land denke über "eine Art physische Verteidigung" nach, sagt Außenminister Nikola Poposki in einem Interview: "Entweder Soldaten oder ein Zaun oder eine Kombination aus beidem." Allein am Montag waren 7000 syrische Flüchtlinge von Griechenland aus ins Nachbarland weiter gezogen.
Trendwende in Polen?
Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz erklärte, es sei "unsere europäische Pflicht", Flüchtlinge aufzunehmen. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters sagte Kopacz auch, Polen könne keine Wirtschaftsflüchtlinge akzeptieren, sei aber bereit Flüchtlinge aus Kriegsgebieten aufzunehmen. Polen gehört mit Ungarn, Tschechien und der Slowakei zu den sogenannten Visegrad-Staaten in der EU, die eine Quotenregelung bei der Verteilung von Flüchtlingen ablehnen.
fab/chr (rtr, dpa, afp)