Zukunftsbaustellen der katholischen Kirche
23. Oktober 2013Die deutschen Katholiken gelten in der Weltkirche als streitbar - nicht die obersten Hierarchen, sondern zahlreiche Pfarrer, Theologen und Laienorganisationen, die bestimmte traditionellen Dogmen und Strukturen der Amtskirche in Frage stellen. Sie sehen die katholische Kirche als antiquierte Institution, die mit der heutigen Lebenswirklichkeit in Deutschland und anderen Industriegesellschaften nicht mehr in Einklang steht.
Kirche in der Krise
Dass es tatsächlich Reformbedarf gibt, dafür sprechen viele Fakten: Die Zahl der Austritte in Deutschland ist seit Beginn der 1990er Jahre konstant hoch. Weit mehr als 100.000 Gläubige kehren der katholischen Kirche pro Jahr den Rücken. Nur jeder siebte Gläubige besucht regelmäßig den Gottesdienst. Und immer weniger Katholiken entscheiden sich für den Priesterberuf. In Folge dessen werden Kirchenhäuser geschlossen, Gemeinden zusammengelegt und Gottesdienste gestrichen. Die jüngsten Skandale - sexueller Missbrauch durch Geistliche oder nun der luxuriöse Lebensstil des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst - beschleunigen diese fatale Entwicklung.
Was tun? An Visionen mangelt es hierzulande nicht. Die Liste der Reformforderungen ist lang.
Forderung 1: Modernes Selbstverständnis
Eine kirchliche Erneuerung hatte das 2. Vatikanischen Konzil (1962-65) begonnen, etwa eine zeitgemäße Liturgie, aber auch eine Hinwendung zu anderen christlichen Kirchen, also ein Bekenntnis zur Ökumene, und eine Aufwertung der Gemeinschaft der Gläubigen.
Die damalige Aufbruchsstimmung ist, so beklagt die Laienbewegung "Wir sind Kirche", von den Nachfolgern des Reformpapstes Johannes XXIII. konterkariert worden. Konservative Kräfte hätten lange alle Reformbemühungen blockiert, erst durch den neuen Papst Franziskus wehe ein neuer Wind. "In den letzten Jahrzehnten", sagt Verbandspräsident Christian Weisner im DW-Interview, "sind wir katholisch geblieben - trotz Joseph Ratzinger, trotz Papst Benedikt. Jetzt ist die Hoffnung, dass wir wieder gerne katholisch sind - mit Franziskus."
Forderung 2: Mehr Mitsprache
Gläubige sollen mehr mitentscheiden, zum Beispiel wenn es darum geht, Kirchenobere zu bestimmen. Das fordern Theologen, Kleriker und Laienorganisationen unisono. Alle bisherigen Vorstöße in dieser Richtung sind jedoch an den starren Kirchenstrukturen gescheitert. Bischöfe werden vom Vatikan ernannt - was die Katholiken im betroffenen Bistum dazu meinen, spielt keine Rolle.
"Man muss dafür sorgen", sagt Klaus Kempter von der Pfarrer-Initiative Deutschland, "dass in den Fragen, die auch alle - das gesamte Gottesvolk - angehen, möglich alle in den Kommunikations- und Entscheidungsprozess mit einbezogen werden." Laien und Pfarrer müssten "mitwirken, Wünsche äußern und Kriterien benennen können, welche Qualitäten und Kompetenzen ein neuer Bischof haben muss".
Forderung 3: Mehr Mitwirkung
Auch Gläubige ohne Priesterweihe sollen das Recht erhalten zu predigen. Denn "wir alle sind dazu aufgerufen, den christlichen Geist in die Welt zu tragen", fordert die Bewegung "Wir sind Kirche". Das würde auch helfen, den allgegenwärtigen Priestermangel auszugleichen. In manche Gemeinden werden schon Geistliche aus dem Ausland geholt, damit Gottesdienste für die Gläubigen stattfinden können.
Forderung 4: Frauen an die Altäre
Anders als beispielsweise in der evangelischen Kirche, in der Frauen Pfarrerin werden können, ist Frauen bei den Katholiken eine Weihe verwehrt. Wenn schon das Priesteramt verschlossen ist, sollen sie doch zur Diakonin geweiht werden können, fordern zahlreiche Organisationen wie die "Initiative Kirche von unten". Mitbegründerin Magdalena Bußmann meint: "Es müsste passieren, dass man Frauen zu diesen Positionen ohne Weihe zuließe, aber das ist eine Utopie, oder dass Frauen geweiht werden, aber das halte ich in diesem Äon genauso für unwahrscheinlich."
Eine spektakuläre Aktion sorgte im Sommer 2002 für Aufregung: Auf einem Donauschiff empfingen sieben Frauen die Priesterinnenweihe - und wurden daraufhin vom Vatikan exkommuniziert.
Forderung 5: Offenheit für Wiederverheiratete
Weil die katholische Kirche Scheidungen nicht anerkennt, dürfen Wiederverheiratete keine kirchlichen Sakramente wie Kommunion oder Krankensalbung empfangen. Bereits vor 20 Jahren machten sich drei deutsche Bischöfe für eine Abkehr von dieser Kirchenregel stark, erhielten aber aus Rom ein deutliches Nein. Dennoch setzen sich nicht wenige deutsche Geistliche darüber hinweg - inoffiziell natürlich.
Anfang Oktober hat eine Handreichung des Freiburger Bistum für Seelsorger erneuten Unmut im Vatikan verursacht, wonach Wiederverheirateten die Kommunion gespendet und die Beichte abgenommen werden können. Magdalena Bußmann sieht hierin "ein Einfallstor, durch das das rigide Gebot der Sexualmoral gelockert würde, dass Sexualität auch außerhalb der kirchlich geschlossenen Ehe möglich sein könnte". Wenn denn der Vatikan dem Freiburger Vorstoß nicht doch noch einen Riegel vorschiebt.
Forderung 6: Moderne Sexualmoral
Die strikte Ablehnung von Anti-Baby-Pille und Abtreibung hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Katholiken gegen die Amtskirche aufgebracht. Im Februar dieses Jahres sorgte der Fall einer vergewaltigten Frau für einen Skandal, der zwei katholische Krankenhäuser in Köln die "Pille danach" verweigert hatten. Unter dem öffentlichen Druck ruderte der Kölner Kardinal Joachim Meisner zurück und erlaubte die Verschreibung des Medikaments in derartigen Fällen.
Auch Homosexuelle fordern seit Jahren eine liberalere Haltung der katholischen Kirche. "Sie kann von uns nicht verlangen, dass wir auf Sexualität verzichten, weil das Sünde sei", sagt Markus Gutfleisch von der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche. Das gleiche müsse auch für homosexuelle Kirchendiener gelten: "Das muss enttabuisiert werden, das ist etwas ganz Normales. Die Leute dürfen nicht mehr gezwungen werden, so ein Doppelleben zu führen."
Forderung 7: Aufklärung der Missbrauchsfälle
2010 erschütterten Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute die katholische Kirche. Die Bischofskonferenz erließ zwar daraufhin neue Leitlinien für Kirchenbedienstete; doch ein angestoßenes Forschungsprojekt zur Aufklärung der Skandale scheiterte, weil sich das beauftragte kriminologische Institut zurückzog - die Bischofskonferenz habe versucht, die Nachforschungen zu zensieren, so die Begründung.
Kirchliche Gruppen drängen jedoch weiter auf eine rückhaltlose Aufklärung der Missbrauchsfälle. Es dürfe keine "Grabesruhe" geben, wie es in einem Memorandum von Theologieprofessoren heißt.
Aus dem Fall Limburg gelernt?
Seit dem Bekanntwerden der verschwenderischen Amtsführung des Bischofs Tebartz van-Elst ist auch der Druck gewachsen, die kirchlichen Finanzen transparent zu machen. In den vergangenen Tagen haben mehrere Bistümer Angaben zu ihren Besitztümern gemacht - hier ist Bewegung in die katholische Kirche gekommen.
Ob es zu einer Runderneuerung reicht? Mit Papst Franziskus weht ein neuer Wind im Vatikan. Zu mehreren Reformvorschlägen hat er bereits Offenheit signalisiert - von der Rolle der Frauen bis hin zur Sexualmoral. Viele deutsche Gläubige drücken ihm die Daumen.