Zum 50. Todestag ist Adorno hochaktuell
6. August 2019In dem berühmten Werk "Dialektik der Aufklärung", das er zusammen mit Max Horkheimer 1947 in den USA veröffentlichte, suchten die Verfasser eine Antwort auf die Frage, "warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt". Der 1903 als Sohn eines jüdischen Weinhändlers geborene Theodor W. Adorno hatte allen Grund, diese Frage zu stellen. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 war dem Musiktheoretiker und Philosophen, der sich mit einer Arbeit über Kierkegaard habilitiert hatte, im Zuge der Amtsenthebung jüdischer Dozenten die Lehrbefugnis entzogen worden. Über eine Dozententätigkeit in Oxford emigrierte er in die USA, wo er 1938 offizielles Mitglied des nach New York übergesiedelten Instituts für Sozialforschung wurde.
1949 kehrte Adorno nach Frankfurt zurück. Seine Themen könnten von heute sein: Er arbeitete über den Zusammenhang von Autoritätsgläubigkeit und Faschismus, sprach 1952 über "Die kulturelle und soziale Strukturveränderung im geeinten Deutschland". 1967, in einer Zeit, in der die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)" in sechs Landesparlamente eingezogen war, hielt er vor Studenten in Wien eine Vorlesung über die "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus".
Diesen Vortrag, der bisher nur als Audio-Aufzeichnung existierte, hat der Suhrkamp-Verlag jetzt als Buch veröffentlicht. Der Historiker und Rechtsextremismus-Forscher Volker Weiß hat das Nachwort geschrieben. Mit der Deutschen Welle sprach er darüber, warum sich Adornos Vortrag wie eine Rede zur Gegenwart liest.
DW: Der Kapitalismuskritiker Theodor W. Adorno erlebte seine Hoch-Zeit in den frühen Sechziger Jahren. 50 Jahre nach seinem Tod gehört der philosophische Patriarch plötzlich wieder zu den öffentlich wahrgenommenen Intellektuellen. Welcher seiner Denkansätze ist für unsere globalisierte Gesellschaft heute noch wesentlich?
Adornos Philosophie war nicht alleine eine Kritik des Kapitalismus, sondern eine Bestandsaufnahme der Moderne insgesamt. Besonders galt sein Augenmerk den Auswirkungen der zivilisatorischen Entwicklung der Gesellschaften auf die einzelnen Subjekte, also der Frage, wieviel Befreiung der Fortschritt schafft und wieviele neue Bedrohungen. Als kluger Marxist wusste er, dass es weder möglich noch wünschenswert war, die technische Entwicklung aufzuhalten. Er verfiel jedoch nicht in einen simplen Fortschrittsoptimismus, der in der Linken ja lange dominierte. Für ihn war die Erfahrung bedeutend, was passierte, wenn sich das Wissen in den Dienst der Herrschaft, nicht der Befreiung stellt. So konnte Aufklärung gewissermaßen auf dem höchsten Stand der Technik in eine neue Barbarei umschlagen. Das 19. und das 20. Jahrhundert boten dafür genug Anschauungsmaterial. Auch wenn "die Moderne" mittlerweile zu Grabe getragen wurde, sich diversifiziert hat, von mehreren "Modernen" in verschiedenen Erscheinungsformen gesprochen wird, so bleiben die Kernfragen Adornos doch über einen langen Zeitraum hin aktuell.
Adorno war ein Denker, kein Aktivist. Doch sein Satz "Es gibt kein wahres Leben im falschen" ist zu einem populären Slogan geworden. Welche Analyse verbirgt sich hinter dieser Formel?
Dieser Aphorismus aus der "Minima Moralia" bezog sich auf die Unmöglichkeit, sich angesichts der katastrophischen Entwicklung irgendwo ein privates Glück einzurichten. Moderne Gesellschaften tendieren zur Totalität, ihre Auswirkungen erfassen alles, jedes Lebewesen, jeden Lebensbereich – da schwinden die Nischen. Ein Freibrief aber, das Richtige gar nicht erst zu versuchen, ist das nicht. Zudem dürfte es Adorno fern gelegen haben, seine Aphorismen als Kalendersprüche wiederzufinden.
20 Jahre nach dem Untergang des sogenannten Dritten Reichs zogen Rechtsradikale wieder in die Parlamente ein, in Deutschland die NPD. Wie erklärte Adorno den Erfolg rechtsextremistischer Philosophie?
Bemerkenswerterweise sieht Adorno als Ursachen mehr die Defizite der westlichen Demokratien und weniger das Treiben der alten Nazis, die in den sechziger Jahren noch sehr präsent waren. Er wusste, dass die Rechte von jeher ihre Kraft aus der Enttäuschung der Menschen über die uneingelöste Emanzipation zog. Seit dem 19. Jahrhundert wird ihnen gesagt, sie seien ihres Glückes Schmied, und doch stoßen sie stets an unsichtbare Grenzen. So kann er die faschistischen Bewegungen als "Wundmale der Demokratie" identifizieren.
Der Vortrag, den Adorno 1967 vor Wiener Studenten hielt, "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus", ist jetzt im Suhrkamp Verlag als Buch erschienen. Das Buch steht inzwischen sogar auf den Bestsellerlisten. Was macht ihn - nach mehr als 50 Jahren - so aktuell?
Diese "Wundmale" finden sich ja bis heute, wenn man z.B. die Demokratiedefizite in bürokratischen Apparaten wie der EU beachtet. Inzwischen mehren sich die Stimmen, lieber mit einer überschaubaren Autorität wie einem illiberalen Nationalstaat konfrontiert zu sein, als mit schwer verständlichen, abstrakt wirkenden Apparaten. Auch sozialpsychologisch hat uns Adorno noch etwas zu sagen. Die wirtschaftliche und technologische Entwicklung – Adorno bezieht sich hier auf Kapitalkonzentration und Automatisierung – schafft das Gefühl der eigenen Überflüssigkeit. Tatsächliche oder gefühlte Krisen bewirken den Wunsch nach einem Ende des Ganzen. Dieser katastrophische Zug, halb als Furcht, halb als Sehnsucht, kennzeichnet diese Bewegungen bis heute. Und die von ihm bei der NPD beobachteten Methoden sind bis heute im Einsatz. Die Kombination von technischer Perfektion und völliger Abstrusität des Inhaltes kann im Internet jeden Tag beobachtet werden.
Was empfiehlt er, um rechtsextremer Politik entgegenzuwirken?
Er macht sich keine Illusionen, die Führer der Rechten im Gespräch zu bekehren. Dieser Gedanke hätte bei der Generation, die den Zweiten Weltkrieg erlebte, sicher nur Stirnrunzeln erzeugt. Er empfiehlt, deutlich auf die Folgen der rechten Politik hinzuweisen, ihren destruktiven Zug und dessen Konsequenzen. Vor allem aber will er ihnen die Jugend abspenstig machen – was, wie sich heute sagen lässt, damals durchaus gelungen ist.
Die Gründungsfigur der "Frankfurter Schule" war ein scharfsinniger Kulturkritiker. Er kritisierte eine laute, propagandistische Kultur. Worin erkannte er sie?
Er war ja nicht "die" Gründerfigur, mit dem Autorenkreis der Kritischen Theorie sind ja noch mehr Namen verbunden: Horkheimer, Pollock, Löwenthal, Benjamin, Marcuse, Fromm, Kracauer, um nur die bekanntesten Namen zu nennen.
An der modernen Kultur kritisierte Adorno das Serielle, Schematische. Ein recht typischer Diskurs dieser Kreise, bei Walter Benjamin finden sich ja auch Überlegungen über den Verlust des Einzigartigen, "Auratischen" der Kunst unter den Bedingungen der Massenproduktion. Heute arbeitet Kunst selbst längst mit dem Motiv ihrer industriellen Fertigung. Solange sie die Bedingungen ihres Entstehens reflektieren, lässt sich nichts gegen serielle Schöpfungen einwenden. Kritisch wird es, wenn Authentizität vorgetäuscht wird, wo nur Schema ist. Da betreten wir den Bereich von Kitsch – und von Propaganda.
Theodor W. Adorno: "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus - Ein Vortrag". Mit einem Nachwort von Volker Weiß, Suhrkamp Verlag, Juli 2019, 86 Seiten.
In seinem 2017 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Buch "Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes" liefert Volker Weiß eine Zeitdiagnose zu den rechtspopulistischen Phänomenen Pegida, AfD & Co. Das Buch mit 304 Seiten erschien im Verlag Klett-Cotta.
Das Gespräch führte Sabine Peschel.