Zwanziger bekräftigt Vorwürfe
25. Oktober 2015Die Affäre um mögliche Schmiergeldzahlungen und schwarze Kassen im Zuge der Vergabe der Fußball-WM 2006 an Deutschland gerät zu einer Schlacht um die Wahrheit zwischen dem selbsternannten "Kronzeugen" Theo Zwanziger und der DFB-Elite um Präsident Wolfgang Niersbach. Zwanziger feuertet über das gesamte Wochenende hinweg Vorwürfe ab und bezeichnete außerdem die Korruption vor der WM 2006 erstmals als alternativlos.
Zwei interessante neue Fakten brachte das Wochenende. Zum einen bezog Zwanziger seinen Schwarzgeld-Vorwurf in einem Spiegel-TV-Interview am Sonntag nun auf das WM-Organisationskomitee (OK) und nicht mehr wie zuvor auf die WM-Bewerbung. Zweitens veröffentlichte das Nachrichtenmagazin am Sonntagabend auf seiner Homepage eine Zahlungszusage des WM-OK vom 19. April 2005. Das Dokument legt nahe, dass eine Zahlung des OK von 6,7 Millionen Euro an die FIFA aus dem Jahr 2005 tatsächlich der Weiterleitung an den früheren adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus diente. Auf dem Schreiben ist das Kürzel "RLD" zu lesen.
"Das Organisationskomitee hatte 2002 einen eigenen Haushalt, der Geldtransfer, der da in Rede steht, ist heimlich und damit auch ein Stück illegal erfolgt. Das ist die Bezeichnung für eine schwarze Kasse", sagte Zwanziger Spiegel TV. Es gebe "überhaupt keinen Zweifel daran, dass dies eine schwarze Kasse ist". Der Ausgang dieser Geschichte liege für ihn "im richtig verrotteten System der FIFA, in das Franz Beckenbauer hineinstolpern musste, um überhaupt eine Chance zu haben, die WM nach Deutschland zu holen".
Widerspruch gegen Zwanziger
Der frühere WM-OK-Vize Horst R. Schmidt widersprach Spiegel-Darstellungen auf Basis von Zwanziger-Aussagen energisch, er habe in einem Telefonat mit dem ehemaligen DFB-Chef den Katarer Mohammed Bin Hammam als Empfänger einer Millionen-Überweisung von Dreyfus 2002 genannt. "Der Name Bin Hammam ist möglicherweise gefallen. Aber ich werde nicht behaupten, dass er der Empfänger des Geldes ist. Ich weiß es einfach nicht", sagte Schmidt der "Bild"-Zeitung. Auch der ehemalige Bundesinnenminister und WM-Aufsichtsrat Otto Schily hinterfragte Zwanzigers Glaubwürdigkeit. "Es ist äußerst fragwürdig, dass sich Herr Dr. Zwanziger in dieser Affäre als Ankläger gebärdet", sagte der 83-Jährige der "Bild am Sonntag". Nach allem, was bisher bekannt geworden sei, sollte Zwanziger sich "eher in der Rolle des Beschuldigten sehen".
Schily geht davon aus, dass Zwanziger "von vornherein wusste, für welchen Zweck er die Überweisung von 6,7 Millionen Euro freigezeichnet hat". Zwanziger hätte den Vorgang spätestens bei der Erstellung des Finanzabschlussberichtes zur WM aufklären müssen. Das jahrelange Stillschweigen des 70-Jährigen über angeblich korrupte Machenschaften im WM-OK sei denn auch "eine sehr seltsame Ruhepause seines Gewissens als Finanzverantwortlicher im Organisationskomitee des DFB".
So sehr Zwanziger über diesen Widerspruch seiner Rechtschaffenheit außerdem persönliche Motive für seine Attacken zurückwies ("Ich will Herrn Niersbach nicht sein Amt nehmen!"), so sehr scheint Schilys Kritik wegen der langen Zurückhaltung jedoch auch einen wunden Punkt zu treffen: Zwanziger, der für Montag eine Terminvereinbarung mit den extern eingeschalteten DFB-Ermittlern ankündigte, kann offenbar strafrechtlich für seine Freizeichnung der Überweisung von 2005 an die FIFA nicht mehr haftbar gemacht werden.
Niersbach, Beckenbauer und Netzer in Bedrängnis
Neben den Fragezeichen hinter Zwanzigers Beweisen sowie einer bisher unbekannten FIFA-Forderung ans WM-OK von 2003 nach weiteren sieben Millionen Euro "zum Zeichen der deutschen Solidarität mit Afrika" gibt auch das Verhalten des DFB weiter Rätsel auf. Trotz aller offiziellen Empörung von hohen Verbandsfunktionären lassen Reaktionen wie Klagen gegen Zwanziger beispielsweise auf Unterlassung oder ein Verbandsausschlussverfahren des Ex-Präsidenten auf sich warten. Dabei wären sie doch naheliegend, sollte Zwanziger tatsächlich im Unrecht sein und lediglich Behauptungen aufstellen.
Auch WM-Botschafter Günter Netzer, dem von Zwanziger im Spiegel ein Geständnis des Kaufs der vier Asien-Stimmen bei der WM-Vergabe zugeschrieben wird, belässt es weiterhin nur bei einem Dementi dieser Behauptung. Einen noch viel größeren Ansehensverlust als Netzer muss jedoch WM-Chef Beckenbauer fürchten. "Es ist im Moment nicht ausgeschlossen, dass auch die Person von Franz Beckenbauer massive Kratzer abbekommt", sagte die Bundestags-Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag im WDR2-Interview mit Blick auf die weiter im Dunkeln liegende Rolle der "Lichtgestalt".
Auch für den ehemaligen OK-Vize Niersbach, der inzwischen vom Sportausschuss zur Befragung eingeladen worden ist, hält Freitag Folgen für möglich. "Ungewiss ist Wolfgang Niersbachs Zukunft als Fußball-Funktionär im Moment auf jeden Fall. Es ist im Moment schwer vorstellbar, dass man aus solch einer Affäre, wenn es sich als solche herausstellt, unbeschadet herauskommen sollte." Zumal aus dem sportpolitischen Abseits auch der suspendierte FIFA-Boss Joseph Blatter Niersbachs Schilderungen von Beckenbauers Erinnerungen an den Deal über den 170-Millionen-Zuschuss des Weltverbands für die WM-Macher widersprach: "Ich habe niemals Geld von Beckenbauer verlangt. Nie im Leben. Auch nicht vom DFB. Das stimmt einfach nicht", sagte der 79-Jährige in einem Zeitungsinterview. Auch von der angeblichen Rückabwicklung der Dreyfus-Millionen will Blatter nichts wissen: "Ich war nicht involviert."
asz/sw (sid, dpa)