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Der Medizin-Cannabis Hype ist vorbei

10. März 2019

Seit zwei Jahren ist Cannabis als verschreibungspflichtiges Medikament in Deutschland zugelassen. Palliativmediziner Henning Cuhls sagt im DW-Interview, die Nutzung in der Praxis sei überschaubar geblieben.

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Handblatt mit einem Feuerzeug und Apotheken-Zeichen mit einem Rezept im Hintergrund
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online/Ohde

Deutsche Welle: Herr Cuhls, am 10. März jährt sich zum zweiten Mal die Zulassung medizinischen Cannabis in Deutschland. Als Palliativmediziner am Universitätsklinikum Bonn verwenden Sie dieses Medikament auch. Wie häufig kommt das in der Praxis vor?

Henning Cuhls: Es gab einen sehr großen Hype direkt nach der Zulassung. Das hat sich mittlerweile deutlich gelegt. Bei uns in der Palliativmedizin hatten wir schon vor der Zulassung Cannabis eingesetzt, allerdings nur bei Übelkeit, Erbrechen oder Schwäche. Damals ging es weniger um Schmerzen.

Wer leidet denn in der Palliativmedizin besonders unter Übelkeit und Erbrechen?

Viele Patienten, die eine Chemotherapie bekommen, oder auch solche die Tumoren im Darmbereich haben, leiden darunter. Dann wirkt Cannabis manchmal sehr gut, wenn andere Medikamente nicht mehr so gut greifen.

Wie hilft das Cannabis da?

Meistens ist es so, dass Patienten, die unter Übelkeit leiden, auch keinen Appetit mehr haben. Man muss zuerst die Übelkeit beseitigen, damit der Appetit zurückkommt und die Patienten wieder genügend Kalorien zu sich nehmen. Wir haben sehr viele schwerkranke Patienten, die häufig gar keinen Appetit mehr haben und deshalb sehr schnell an Gewicht verlieren. 

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Dr. Henning Cuhls, Leiter der Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Dr. Cuhls empfiehlt seinen Patienten Cannabis, wenn andere Wirkstoffe nicht mehr weiterhelfen. Bild: Universitätsklinikum Bonn

Warum hilft dabei ausgerechnet Cannabis?

Wie Cannabis genau funktioniert, ist noch nicht richtig bekannt. Aber wir wissen seit langem, dass Cannabis häufig zu einer Gewichtszunahme führt.

Cannabis ist auch als Mittel zur Behandlung der Magen-Darmerkrankung Morbus Crohn bekannt. Haben Sie damit Erfahrungen?

Nein, ich weiß aber, dass Cannabis zur Behandlung von Morbus Crohn nicht sehr häufig beantragt wird. Bei einer Fortbildung der Ärtzekammer, an der ich kürzlich teilgenommen habe, wurde zusammengefasst, für welche Indikationen Cannabis überhaupt beantragt wurde. Interessant dabei war, dass es zu 57 Prozent für die Schmerzbehandlung beantragt wurde. Zum Beispiel bei zehn Prozent wurde es zur Behandlung von Spastiken beantragt und bei fünf Prozent für Appetitlosigkeit. Darmerkrankungen spielen nur bei etwa drei Prozent aller Anträge eine Rolle. Das ist sehr wenig.

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Kommen wir zum Thema Schmerzen: Jemand, der einmal Kontakt mit Cannabis hatte, würde sagen, dass Cannabis Gefühle verstärkt oder verändert – also die Wahrnehmung intensiver macht. Es tötet Schmerzen nicht ab. Wieso setzt man also Cannabis als Schmerzmittel ein?

Das ist richtig. Bei Schmerzen wirkt Cannabis auch nicht sehr gut. Es ist keine gute Indikation dafür. Geschätzt wird, dass nur einer von 15 Patienten wirklich davon profitiert. Aber manche entzündungshemmende Schmerzmittel greifen manchmal nicht mehr sehr gut. Dann kann mit dem Cannabis ein zusätzlicher schmerzstillender Effekt erzielt werden.

Man muss aber ganz klar sagen: Bei Übelkeit ist die Chance, dass Cannabis wirklich hilft und der Patient davon profitiert, vielleicht eins zu zehn, bei Schmerzen ist es noch schlechter. 

Wie oft wird Cannabis überhaupt in der Praxis verschrieben?

Es ist eher die Ausnahme. Meistens passiert es nur, wenn Patienten selbst mit dem Wunsch in die Beratung kommen. Ich würde Cannabis als Palliativmediziner von mir aus nur dann vorschlagen, wenn ich merke, dass die anderen Medikamente nichts mehr helfen.

Aber ich habe auch eine sehr spezielle Patientengruppe, der es sehr schlecht geht. Da bleibt es dann meistens bei dem Versuch – ob es hilft oder nicht. Ausprobieren kann man das, solange die Nebenwirkungen gering sind. Wenn es hilft ist es gut, und wenn es nichts hilft, hat man sich auch nichts vergeben und dem Patienten sicher auch nicht geschadet. 

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Wie nehmen die Patienten das Cannabis ein? Müssen sie es rauchen?

Rauchen ist die schlechteste Variante, weil der Patient dann in sehr kurzer Zeit einen sehr hohen Wirkstoffspiegel hat, der auch relativ schnell wieder abfällt. Ziel ist es, den ganzen Tag über eine entsprechende Wirkung zu haben.

Es gibt spezielle Vaporen, die Cannabisblüten erhitzen und so die Wirkstoffe freisetzen – ohne Tabak. Das ist nicht so schädlich wie Rauchen. Es gibt den Cannabis-Wirkstoff auch als Spray oder Tropfen. Die kann man auf ein Stück Brot oder auf Zucker träufeln und so einnehmen. Als dritte Variante gibt es Tabletten.

Bei Cannabisblüten war kurz nach der Freigabe der Markt komplett leergefegt. Sie waren in Apotheken kaum noch zu beziehen.

Cannabisöl, das den berauschenden Bestandteil des medizinischen Cannabis – das Tetrahydrocannabiol (THC) - nicht enthält, gibt es in Deutschland in Drogerien und Supermärkten. Hilft es auch gegen Übelkeit oder Magenprobleme?

Das Cannabisöl, das Sie frei kaufen können, enthält Cannabidiol (CBD). Es gilt nicht als Medikament, sondern als Nahrungsergänzungsmittel. Es bewirkt im Gegensatz zum THC kein Delir, Halluzinationen oder Verwirrtheitszustände.

Das CBD ist bei weitem nicht so gut erforscht. Es gibt nicht ausreichend Studien und ich kann es als Arzt auch nicht verschreiben. Patienten können es sich aber selber kaufen.

Einige Patienten haben mir persönlich berichtet, dass sie nicht unbedingt das THC-haltige Medikament brauchen, um eine Verbesserung zu bemerken. Einige haben mir sogar berichtet, dass sie CBD besser als THC-Tropfen vertragen hätten. Das ist aber nur ein subjektives Empfinden, das mir drei bis vier Patienten geschildert haben und keine wissenschaftliche Aussage.

Dr. Henning Cuhls ist leitender Oberarzt der Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn (UKB).

Das Interview führte Fabian Schmidt.