Zwischen Politik und Pipeline
8. April 2005Indien sieht sich als kommende Großmacht. Daher gibt man sich auch gegenüber den USA selbstbewusst. "Wir bemühen uns um die Sicherung unserer Energieversorgung, auf welchem Weg auch immer. Dabei suchen wir uns unsere Partner selber aus", erklärte der indische Ölminister Mani Shankar Ayiar. Er lehnte die amerikanische Kritik, die US-Außenministerin Condoleezza Rice kürzlich bei ihrem Indien-Besuch äußerte, ab. Seit zwischen Indien und Pakistan politisches Tauwetter eingesetzt hat, ist dieses Projekt, das Gas vom Iran über Pakistan nach Indien führen soll, von allen Beteiligten ernsthaft ins Auge gefasst worden.
Riesiger Bedarf
Indiens Wirtschaft hat eine Wachstumsrate von knapp acht Prozent jährlich und damit einen rasant steigenden Energiebedarf. Da die eigenen Öl- und Gas-Ressourcen nicht ausreichen, ist das Land in Zukunft immer stärker von Importen abhängig. Ähnlich wie China hat Indien begonnen, sich rund um den Globus Zugang zu Öl- und Gasreserven zu verschaffen. Seit über zehn Jahren verhandelt Delhi bereits mit Teheran über Erdgaslieferungen. "Indien hat massives Interesse an den Beziehungen zum Iran", sagt Christian Wagner, Südasienexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. "Nicht nur wegen der Pipeline, sondern vor allem auch, weil über den Iran der Handelsweg nach Zentralasien gesichert werden soll. Die indisch-iranischen Beziehungen sind daher von großem wirtschaftlichem Stellenwert."
Der Iran verfügt - nach Russland - über die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt. Hinzu kommen rund elf Prozent der weltweiten Ölreserven. Diese Ressourcen will das Land auf den internationalen Markt bringen, und es ist auch daran interessiert, seine Transportwege zu öffnen. Daher hat es sich bereit erklärt, 60 Prozent der Finanzierung der 2600 Kilometer langen Gasleitung nach Indien zu übernehmen. Doch die USA haben jetzt gegenüber Indien die Bremse gezogen - schließlich soll nach US-Doktrin der Iran isoliert werden. "Dann macht es sich natürlich schlecht, wenn zeitgleich einige ihrer wichtigen Verbündeten, wie Indien oder Pakistan, ein großes Energiegeschäft mit dem Iran machen", sagt Wagner.
Auf der Schurkenliste
Die USA werfen Teheran vor, heimlich an Atomwaffen zu arbeiten und halten den Iran für eine Bedrohung des Friedens. US-Präsident George W. Bush verlängerte daher Anfang März 2005 die bereits vor zehn Jahren von Ex-Präsident Bill Clinton verhängten Iran-Sanktionen. Somit ist weiterhin US-Firmen und -Bürgern untersagt, Ölgeschäfte mit dem Iran abzuschließen.
Die USA wollen den Iran von den wirtschaftlichen Entwicklungen der Region ausschließen, erklärt Jochen Hippler, Professor für internationale Politik an der Universität Dortmund und Politikforscher am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF). "Die amerikanische Politik, bezogen auf die Pipeline-Systeme in der Region, zielt zuerst mal darauf, den Iran zu isolieren, zu umgehen und so ziemlich jede denkbare andere Verlaufsform einer Pipeline vorzuziehen, nur nicht gerade durch dieses Land."
Geostrategischer Brennpunkt
In den vergangenen Jahren ist den USA, Indien und China bewusst geworden, dass die Region um das Kaspische Meer so reiche Öl- und vor allem Gasvorkommen hat, dass sie sich zur zweitwichtigsten Energiequelle der Welt nach dem Arabischen Golf entwickeln könnte. Da gleichzeitig in den bisherigen Förderregion die Rohstoffvorkommen abnehmen, gewinnt dieser Faktor eine große Bedeutung. "Die Energieabhängigkeit der USA hat in den letzten dreißig Jahren massiv zugenommen. Man war früher fast Selbstversorger mit Energie - das ist jetzt nicht mal mehr ansatzweise der Fall."
Bei Amerikas Ablehnung der iranisch-pakistanisch-indischen Gas-Pipeline geht es weniger darum, die Inder und die Pakistaner aus dem Machtspiel in Zentralasien auszuschließen, sagen die Experten. Es liege auch im Interesse der USA, dass Indien seine hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten aufrecht erhalten kann. Denn: Die Amerikaner sind der größte Auslandsinvestor in der Indischen Union, die indische Community in den USA ist wirtschaftlich und politisch mittlerweile relativ einflussreich, amerikanische Firmen betreiben ein extensives Outsourcing von Arbeitsplätzen nach Indien und die ganze Computerindustrie in den USA hängt maßgeblich an der Kooperation mit den indischen Software-Spezialisten. Vor diesem Hintergrund empfiehlt Asienforscher Wagner eine pragmatische Vorgehensweise: Auf der einen Seite den Iran isolieren, auf der anderen aber auch die Interessen der befreundeten Staaten berücksichtigen. "Man könnte sich vorstellen, dass man vielleicht die Pipeline um ein, zwei, drei Jahre verschiebt und in diesem Zeitraum sich in der Frage des Nuklearprogramms des Irans eine Lösung ergibt", sagt Wagner. "Wenn die Amerikaner und der Iran wieder vernünftige Beziehungen haben, dann kann natürlich diese Pipeline-Sache auch wieder weiter vorangetrieben werden."