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Zwischen Rückzug und Besetzung

Christian Ignatzi29. Juli 2014

Seit Tagen fährt die israelische Armee eine Bodenoffensive im Gazastreifen. Inzwischen sind ihr strategisch wichtige Operationen gelungen. Ob weitere folgen, hängt von mehreren Faktoren ab.

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Gaza Bodenoffensive Israel Soldaten 20.07.2014
Bild: Reuters

Obwohl sich noch keine Entscheidung des Konflikts abzeichnet, hat die israelische Armee aus ihrer Sicht erste Erfolge bei ihrer Bodenoffensive im Gazastreifen erzielt. "Viele Tunnel sind bereits zerstört worden", sagt der Publizist und Historiker Michael Wolffsohn. Die Durchgänge, die Hamas-Mitglieder von Häusern, Kindergärten, Krankenhäusern, Moscheen und Schulen aus errichten, um versteckt nach Israel zu kommen und dort Terroranschläge zu verüben, seien ein wichtiges Ziel für die Israelis. Zwischen 30 und 60 solcher Tunnel habe es laut Wolffsohn im Gazastreifen gegeben. Etwa die Hälfte sei nun vernichtet. Er geht davon aus, dass die Soldaten versuchen werden, die übrigen zu zerstören - unabhängig von einem Waffenstillstand. "Das ist ein ganz entscheidender, militärisch-strategischer Punkt."

Professor Michael Wolffsohn Historiker
Michael Wolffsohn: "Die Tunnel sind ein entscheidender, strategischer Punkt."Bild: picture alliance / ZB

Auch die Nahost-Expertin Ivesa Lübben vom Centrum für Nah- und Mittelost-Studien an der Universität Marburg ist sicher, dass die Vernichtung der Anlagen die Kämpfer im Gazastreifen hart trifft. "Sie sind ein sehr wichtiger Teil ihrer Strategie", sagt sie. "Es gibt nicht nur Tunnel nach Israel und Ägypten, um Handelssperren zu umgehen, sondern auch ein komplettes Tunnelsystem unter dem Gazastreifen, das als Verteidigungsmechanismus gilt." Abgeschaut hätten sich die Kämpfer dieses Vorgehen bei den Vietcong, die im Vietnamkrieg schon solche Guerillataktiken anwandten, um die technisch überlegenen Gegner zu überraschen. "Wenn jemand aus einem Haus auf einen Panzer schießt, sieht man ihn sofort, deshalb ist die Taktik, sich in Tunneln zu verstecken, viel effektiver", sagt Lübben.

Hamas kämpft nicht allein

Doch nicht nur die Hamas nutzt die Tunnel. Auch Familienclans schmuggeln Waren durch die Tunnel. Zudem dürfe man nicht nur von einer Gruppe ausgehen, die sich gegen Israel stellt. "Der Gazastreifen war schon immer militanter als etwa das Westjordanland", sagt Lübben. "Dort gibt es viele Gruppen, die bewaffnet gegen Israel kämpfen, wie die al-Aqsa-Brigaden, die Quds-Brigaden oder die immer wieder als moderat angesehene Fatah."

Israel Gaza Tunnel
Ein Einblick ins Tunnelsystem der Hamas.Bild: picture alliance/landov

Für diese Kämpfer sei jeder erschossene israelische Soldat ein Erfolg. Und auch die Israelis zählen die Tötung von Kämpfern im Gazastreifen zu ihren bisherigen militärischen Leistungen. Eigenen Angaben zufolge hat die Armee inzwischen 300 bis 400 Hamas-Kämpfer getötet, sagte der israelische Terrorismusexperte Ely Karmon der DW. Die Armee habe zudem fast 50 Prozent des Raketenarsenals der Hamas zerstört. "Israel wird nun versuchen, auf politischem Weg zu erreichen, dass der Gazastreifen unter internationaler Überwachung entmilitarisiert wird", sagt Wolffsohn.

Zwischen Rückzug und Besetzung

"Die Armee muss ihre Operation nun auf einige strategische Punkte ausweiten und weitere Raketen der Hamas zerstören", sagt Karmon. Einfach wird das aber nicht, glaubt der Terrorismusforscher und Leiter des Instituts für Krisenprävention in Essen, Rolf Tophoven. "Im letzten großen Konflikt 2012 hat Israel die Untergrund-Strukturen der Hamas nicht komplett zerstören können. Seitdem sind sie weiter gewachsen." Während die Bevölkerung als menschlicher Schutzschild herhalten muss, ziehen sich die Kommandeure der Terroristen in ihre Bunker zurück, die "teilweise bis zu einer Million Euro gekostet haben müssen". Die israelischen Soldaten könnten solche Konstruktionen kaum einnehmen.

Gaza Bodenoffensive Zerstörungen Zivilisten 20.07.2014
Israel zerstörte viele Straßen und Häuser im Gazastreifen.Bild: AFP/Getty Images

Ivesa Lübben glaubt deshalb, dass es besser wäre, wenn Israel die Truppen abziehen und einen Waffenstillstand akzeptieren würde. Dass die Kämpfer aus dem Gazastreifen weiterhin Raketen auf Israel abfeuerten, sei kein Argument: "Nach Berichten palästinensischer Nachrichtenagenturen gab es in den vergangenen Jahren auch während Feuerpausen immer wieder Angriffe der Israelis", sagt sie. Das Problem sei nicht die Hamas, sondern festgefahrene Meinungen. "Beide Parteien hegen einen Anspruch auf ganz Palästina." Das müsse sich unter internationaler Vermittlung ändern. "Ein Teilerfolg, den die Palästinenser durch den aktuellen Konflikt errungen haben, ist, dass die Blockade des Gazastreifens durch Israel nun endlich auch in den Vereinigten Staaten thematisiert wird", sagt Lübben.

Kein baldiges Ende des Konflikts in Sicht

Nach einer baldigen Waffenruhe sieht es nicht aus. "Unser Militär ist genügend ausgerüstet, sodass man sich über die Frage, wann die Ressourcen ausgehen, keine Sorgen machen muss", sagt Ely Karmon. Auf der anderen Seite gerate die Hamas mehr und mehr in Bedrängnis. Sie habe militärische Unterstützung vor allem aus Syrien und dem Iran erhalten. "Syrien ist aber mit dem Bürgerkrieg im eigenen Land beschäftigt. Der Regierung dort steht das Wasser bis zum Hals, sie wird keine neuen Waffen liefern", sagt Wolffsohn. "Und sofern die Entmilitarisierung des Gazastreifens ernsthaft überwacht wird, kann der Iran der Hamas auch nicht helfen."

Noch dürfte das aber dauern. Trotz der vielen zerstörten Raketen habe die Hamas einen großen Waffenvorrat in ihren Tunnelsystemen. "Sie haben über Jahre viele Waffen angehäuft, die sie geschmuggelt oder selbst nachgebaut haben", sagt Rolf Tophoven. Die israelische Regierung fürchte nun, dass die Hamas in einigen Jahren wieder eine große Welle der Gewalt startet, sollte die Armee ihre Offensive stoppen, glaubt Ely Karmon. "Es gibt islamistische Gruppen in unserer Nachbarschaft, wie die Hisbollah, die viel besser ausgerüstet sind als die Hamas und Mittelstreckenraketen haben", sagt er. "Deshalb müssen wir die Hamas besiegen, um zu zeigen, dass es sich nicht lohnt, uns anzugreifen."