Zypern-Verhandlungen: Die Fronten sind verhärtet
27. April 2021Giannos Ioannou nimmt selten ein Blatt vor den Mund. Der 59-jährige Zyperngrieche ist Geschäftsmann in Nikosia, der geteilten zyprischen Hauptstadt. Sein Spitzname ist "Strovolitotis", benannt nach dem Bezirk, aus dem er stammt. Auf dem gleichnamigen Blog schreibt er über alles, was ihm wichtig ist - auch über seine Heimat Zypern und die verzwickte politische Situation dort.
Ioannou wünscht sich, dass die Mittelmeerinsel 47 Jahre nach ihrer Teilung wieder ein gemeinsamer Staat der zyprische Griechen und Türken wird; ein Staat, der die Existenz und Bedürfnisse beider Seiten anerkennt. Das gefällt vielen seiner Landsleute nicht. Auf seiner Facebookseite nennen ihn zyprisch-griechische Nationalisten verächtlich "Türkenfreund". Dafür hat der Blogger kein Verständnis: "Es muss alles auf den Tisch kommen. Wir brauchen endlich einen Rahmen, der Lösungen für beide Bevölkerungsteile enthält."
Im Zentrum des griechischen Teils der Insel-Hauptstadt wird die derzeitige politische Lage deutlich: Auf den Plätzen wehen hunderte von blau-weißen griechischen Flaggen zur 200-Jahrfeier der griechischen Revolution gegen das Osmanische Reich. Hinter dem mit Stacheldraht bewehrtem Zaun, der sich durch die Stadt zieht, liegt der Nordteil von Nikosia, der als Hauptstadt der türkischen Seite fungiert. Dort wehen die roten Flaggen mit dem weißen Halbmond in greifbarer Ferne.
Eigentlich erinnert nur die "grüne Linie" daran, dass man sich auf Zypern befindet - nicht auf dem griechischen Festland und auch nicht in der Türkei. Fast könnte man vergessen, dass die Insel eigentlich ein eigenständiger Staat ist, in dem griechische und türkische Zyprer leben.
Die Wunden der Geschichte
1963, drei Jahre nach der Unabhängigkeit von Großbritannien, kam es zu Konflikten zwischen beiden Bevölkerungsgruppen. Der Grund: der damalige Präsident wollte per Verfassung den Einfluss der Zyperntürken in der Regierung eindämmen. Elf Jahre später, am 20. Juli 1974, landeten türkische Truppen im Nordteil der Insel. Dem vorausgegangen war ein Putsch der Nationalgarde Zyperns, der durch die damals in Athen herrschende Militärjunta unterstützt wurde. Das Ziel: der Anschluss Zyperns an Griechenland.
Obwohl der scheiterte, zog die türkische Armee sich nicht zurück, sondern setzte die Invasion fort. Es kam zu Massakern und Blutvergießen auf beiden Seiten. Knapp 200.000 Menschen mussten ihre Heimatorte verlassen. Etwa 1500 Zyperngriechen gelten bis heute als verschwunden, 200 Zyperntürken wurden von paramilitärischen Truppen der griechischen Seite ermordet.
Fünf Jahrzehnte Teilung
Seit 1974 teilt die Demarkationslinie die Insel in den griechischen Süden - die international anerkannte Republik Zypern, die seit 2004 EU-Mitglied ist - und die "Türkische Republik Nordzypern", die einzig von Ankara anerkannt wird. Dazwischen sind Friedenstruppen der Vereinten Nationen (UNO) stationiert, die dafür sorgen, dass es nicht wieder zu militärischen Auseinandersetzungen kommt.
Am 23. April 2003 änderte die türkische Verwaltung ihre Einreisebestimmung. Seitdem war die "grüne Linie" passierbar und die Verbindungen zwischen den Bewohnern wurden intensiver. Es gab Annäherungen. Dann kam Corona und die Grenze wurde erneut geschlossen.
Vereinte Nationen wollen Lösung
Nun hat UN-Generalsekretär António Guterres beide Seiten für den 27., 28. und 29. April 2021 nach Genf eingeladen. Er will abschätzen können, ob eine Basis für eine Lösung besteht. An der hatte sich schon sein Amtsvorgänger Kofi Annan versucht. Das Ziel: eine föderale Republik mit weitgehender Autonomie für beide Seiten - und einer gemeinsamen Regierung.
Bei einer Volksabstimmung 2004 hatte der türkische Norden für diesen Plan gestimmt - aber der griechische Süden dagegen. Der Grund: die türkische Militärpräsenz. Die wollte Annan von 40.000 auf 6000 Soldaten reduzieren. Doch für viele Zyperngriechen reicht das nicht aus, denn die Türkei hätte so ihre Rolle als Garantiemacht beibehalten. Von 2014 bis 2017 fanden alljährlich erneut Gespräche statt - ohne Ergebnisse.
Ein oder zwei Staaten?
"Wir wollen versuchen, einen Weg zu finden, damit beide Volksgruppen sich sicher fühlen - ohne Garantiemächte, ohne Besatzungstruppen und vor allem ohne Abhängigkeiten von dritten Parteien", erklärte der griechische Präsident Zyperns, Nikos Anastasiades, vor seiner Abreise in die Schweiz. Er hält an der Lösung fest: ein vereinter Staat Zypern mit zwei Bundesstaaten.
Für den im Oktober 2020 gewählten türkisch-zyprischen Führer Ersin Tatar ist das keine Alternative mehr. Er werde nach Genf gehen, um "seine neue Vision von zwei nebeneinander lebenden souveränen Staaten" vorzuschlagen. Diese Position hatte zuvor bereits der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu zum Ausdruck gebracht.
Es geht nicht nur um Zypern
Trotz der offensichtlich unüberwindbaren Kluft zwischen den Positionen scheinen UNO und insbesondere Generalsekretär Guterres entschlossen zu sein, einen weiteren Misserfolg zu verhindern. Denn bei Zypern geht es nicht allein um eine Insel. Vielmehr ist die Lage im östlichen Mittelmeer schon seit geraumer Zeit kritisch.
Im vergangenen Jahr drohte Ankaras Außenminister Çavuşoğlu Griechenland mit dem Casus Belli, sollte Athen die Hoheitszone der griechischen Inseln vor der türkischen Küste auf zwölf Seemeilen ausweiten und die türkischen Ansprüche auf die Rohstoffvorkommen im östlichen Mittelmeer somit zunichtemachen. Vor der Küste Zyperns werden große Mengen Erdgas vermutet, die Griechenland, Zypern und Israel bereits für sich beansprucht haben.
Konflikte zwischen Ankara und Athen
Hinzu kommt der ohnehin anti-europäische Kurs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Früher war die Zypern-Frage noch ein Druckmittel gegen die Türkei, das zwischen Ankara und den EU-Beitrittsverhandlungen stand.
Von einer Mitgliedschaft in der europäischen Staatengemeinschaft aber hat sich die Türkei schon vor einiger Zeit verabschiedet. Verhärtet scheinen die Fronten also nicht so sehr zwischen Nord- und Südnikosia, sondern zwischen Ankara und Athen.
Eine Aufgabe der EU
Alexandros Sarris macht sich keine großen Hoffnungen auf eine Lösung in Genf: "In meinen Augen wäre es schon ein Erfolg, wenn sich die Parteien zum Schluss keine Hahnenkämpfe liefern." Der gebürtige Grieche und leitende Dozent für Internationales Recht an der Universität Rotterdam stellt klar: "Die Insel ist das einzige EU-Territorium unter illegaler, militärischer Besatzung. Das ist keine Angelegenheit bilateraler Unstimmigkeiten, sondern von Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei."
Ankara mangle es derzeit an internationaler Unterstützung. Die USA hätten sich gegen Erdoğan positioniert und auf Moskau sei kein Verlass. Ein Einlenken im Fall Zyperns könne sich hingegen positiv für die Türkei auswirken: "Eine Lösung dieses Streits könnte Wege ebnen für bessere Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel."