Ärger über AstraZeneca
24. Februar 2021EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen wischt die Sache quasi vom Tisch: "Die Impfstoffhersteller sind in dieser Pandemie unsere Partner, auch sie standen noch nie vor einer solchen Herausforderung", sagte sie im Interview mit der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Damit entschuldigt sie den Pharmahersteller AstraZeneca, der am Dienstag eingeräumt hatte, er könne auch im zweiten Quartal bestenfalls die Hälfte der vereinbarten Menge an Impfstoff in der EU produzieren. Der Konzern versprach dabei, man werde die Kürzung irgendwie durch Lieferungen aus internationalen Werken ausgleichen. Aber wie viel Glaubwürdigkeit haben solche Zusagen inzwischen?
Es fehlt an Vertrauen
"Wenn wir über Vertrauen sprechen, dann wird das inzwischen schwierig in Bezug auf AstraZeneca", sagt dagegen der Vorsitzende der EVP, größte Fraktion im Europaparlament. Man wolle das Beste hoffen, "aber die Skepsis ist da", fügt Manfred Weber hinzu. Und der Christdemokrat droht mit Vergeltung: "Wenn Unternehmen sich künftig nicht vernünftig und konstruktiv benehmen, dann sollten wir über den Marktzugang nachdenken und über künftige Forschungsmittel." Man habe Werkzeuge und alles sei auf dem Tisch. "Wir müssen Druck erzeugen."
Seine niederländische Kollegin Esther de Lange reagiert bissig: "Es gibt keine Transparenz bei den Zahlen, und alles fängt mit Transparenz und Vertrauen an. Vielleicht haben sie ihr Erzeugnis an mehrere Abnehmer zugleich verkauft und wussten dabei, dass sie nicht liefern können", mutmaßt die Abgeordnete.
Sie hatte in einer niederländischen Zeitung AstraZeneca mit einem windigen Gebrauchtwagenhändler verglichen und steht zu dem Zitat. Man würde lieber vertrauensvoll zusammen arbeiten, sagte die Abgeordnete, aber am Ende gebe es das Exportverbot. Man wisse eben auch nicht, wie viel Impfstoff in Belgien und den Niederlanden produziert worden sei und wohin er gehe. Aber durch den Genehmigungsprozess für die Ausfuhr von Impfstoff könne man Aufschluss über die echten Zahlen erhalten.
Dieses Verfahren gilt seit Ende Januar und wird von den Mitgliedsstaaten angewendet, in denen Produktionsstätten für Impfstoff stehen. Bisher wurden rund 140 Exportanträge gestellt, die allerdings alle genehmigt wurden. Die EU-Kommission betont, die Regelung habe nicht den Zweck, Verträge mit Drittstaaten zu unterlaufen. Auch gibt es in der Direktive eine lange Liste von Ausnahmen für die Lieferung von Impfstoffen aus der EU, so dass im Zweifel Knappheit innerhalb der Union schwer zu verhindern sein dürfte.
Guter Impfstoff, schwieriges Unternehmen
Der Impfstoff-Experte der Christdemokraten fasst seine Meinung in einem Satz zusammen: "Es ist ein guter Impfstoff, auch ich würde ihn nehmen. Aber das Unternehmen ist problematisch." Peter Liese fügt hinzu, wenn man sich benehme wie AstraZeneca, verliere man das Vertrauen der Menschen. Am Ende habe der Konzern seine Ankündigung nachgebessert und versprochen, die Fehlmengen aus internationalen Quellen auszugleichen. "Wir sind mit diesem Unternehmen nicht glücklich", fasst er zusammen.
Sein Parteikollege Christian Ehler glaubt, der Konzern sei "Opfer seines eigenen Ehrgeizes und des britischen Populismus" geworden. AstraZeneca hatte auch die Dosen nicht geliefert, die im 4. Quartal 2020 gemäß dem Vertrag mit der EU zugesagt worden waren. Diese Mengen wurden alle zunächst in Großbritannien verwendet. Die beiden dort ansässigen Impfstoffwerke aber seien ausdrücklich Teil des Liefervertrages mit der EU. Um die Nase vorn zu haben, hätte London aber zu einer problematischen "Notfall-Zulassung gegriffen", und alle eingelagerten Mengen für sich verwendet.
Ehler macht sich auch Gedanken über die Lieferungen an afrikanische und andere Länder, die am Mittwoch im Rahmen des Kovax Programmes begonnen haben. Trotz aller Bemühungen, neue Werke in Europa zu bauen, könne Europa nicht der "Drugstore für die Welt werden", weil die Produktion hier zu teuer sei. Man müsse über die massenhafte Herstellung von Impfstoffen in Ländern der Dritten Welt nachdenken, um sie billiger zu machen.
Werden die Europäer Ende des Sommers geimpft sein?
Für den MEP Peter Liese gilt das Versprechen weiter, dass die Mehrzahl aller Europäer zum Ende des Sommers geimpft sein könnten. Er teilt seinen Optimismus mit der Kommissionspräsidentin, die seit den Angriffen gegen ihre Strategie in dauernder Abwehrhaltung ist. Die Corona-Lage werde sich wegen der steigenden Zahl der Impfstoff-Lieferungen "spürbar bessern", sagt von der Leyen.
Mitte März steht mit Johnson & Johnson der nächste Hersteller vor der Zulassung durch die Arzneimittelbehörde in Amsterdam. Dieser Impfstoff soll den Vorteil haben, dass eine Dosis ausreicht. Allerdings gibt es unterschiedliche Meldungen über eine etwas geringere Wirksamkeit als bei den anderen Präparaten am Markt. Und es ist noch nicht bekannt, wie viel davon wie schnell nach Europa geliefert werden kann.
Probleme gibt es auch bei der Lieferung des Moderna-Impfstoffes in der EU. Er gehört zu der neuen Sorte der mRNA-Präparate mit hoher Wirksamkeit, wird aber sehr aufwendig an verschiedenen Standorten in Europa hergestellt. Italien hat sich bereits darüber beklagt, dass zu wenige Dosen ankämen. Der Hersteller räumte ebenfalls ein, rund 20 Prozent weniger liefern zu können als vereinbart.
Der Rat der EU-Regierungen hält sich derzeit bedeckt: "Transparenz und Klarheit sind der Schlüssel", erklärte ein EU-Diplomat. Einige Akteure würde es allerdings derzeit schwer machen, klare Informationen zu erhalten. Es sei nicht klar, "was mit den AstraZeneca Lieferungen los ist". Andererseits sei der Druck auf die Unternehmen hoch. Man müsse sehen, was aus den anstehenden Konsultationen heraus komme, aber die Unternehmen müssten ihre Verträge erfüllen. Am Donnerstag werden einige Vertreter der Pharmaunternehmen im Europaparlament Rede und Antwort stehen. Der Termin wird von vielen mit Interesse erwartet.