Renzis neue Medienwelt
11. August 2016Bianca Berlinguer fiel der Abschied als Leiterin der Hauptnachrichtensendung im landesweiten dritten Fernsehprogramm der RAI sichtbar schwer. Die wohl bekannteste Nachrichtenmoderatorin des staatlichen Fernsehens sparte nicht mit harten Worten: “In der letzten Zeit gab es enormen Druck von oben, plumpe und vulgäre Attacken aus höchsten Kreisen der Politik. Doch unsere 'Tagesschau' hat standgehalten, und ich hoffe, dass das so bleibt.“ Ohne die populäre Chefin wird das nicht einfach sein. Wie ihr ging es auch anderen nicht linientreuen Mitarbeitern. "Renzismus" nennen die Kritiker die von der Regierung verordneten personellen Veränderungen in den wichtigsten Hörfunk- und Fernsehprogrammen der RAI.
Renzi will durch massive Propaganda das im Herbst geplante Referendum zur Verfassungsreform durchpeitschen. Nach Darstellung der Regierung dient sie der dringend nötigen Modernisierung Italiens. Ein Teil des Parlaments soll abgeschafft werden, wodurch die Verabschiedung von Gesetzen erleichtert und außerdem viel Geld gespart werde. Die Gegner befürchten, dass das Parlament dagegen geschwächt und alle Macht künftig in die Hände des Regierungschefs gelangt. Die Säuberungsaktion in den öffentlichen Medien sei gleichzeitig ein Mittel, um dieses Ziel zu erreichen wie auch ein Vorgeschmack auf die künftigen Verhältnisse.
"Der Renzismus ist eine Diktatur"
An die direkte Einflussnahme von Parteien und der jeweiligen Regierung in den staatlichen Medien ist man in Italien längst gewöhnt. Traditionell gaben Rechte, Mitte und Linke die politische Linie in den drei landesweiten Fernsehsendern vor. Statt journalistischer Unabhängigkeit gab es zumindest eine politische Ausgewogenheit und die Zuschauerzahlen der Programme spiegelten die Machtverhältnisse im Parlament wider. Änderten sich dort die Mehrheiten fielen die Köpfe in der RAI.
Carlo Freccero gilt als einer der genialsten Fernsehmacher des Landes. Er begann seine Karriere in Berlusconis Privatsendern, wechselte dann zur RAI, wo er mit kritischen und flotten neuen Sendungen das hausbackene Programm revolutionierte. Als Silvio Berlusconi an die Macht kam, musste er seinen Sessel räumen, gab seinen Kampf gegen das Einheitsfernsehen aber nie auf. Heute weniger denn je: "Renzi betreibt die Gleichschaltung in der gesamten RAI. Nicht mal unter Berlusconi hat es so etwas gegeben. "
Freccero beklagt einerseits die permanente Jubelberichterstattung über die angeblich so erfolgreiche Politik der Regierung, andererseits die systematische Ausschaltung kritischer Stimmen in den öffentlichen Medien, die nach wie vor entscheidend seien bei der Meinungsbildung der Wähler. "Auch die Minderheiten müssen wieder zu Wort kommen. Es ist Zeit, auf die Barrikaden zu gehen und zu sagen, wie es wirklich in den Medien aussieht. Der Renzismus wird zur Diktatur", erklärte Freccero im einzigen unabhängigen TV-Sender LA 7. In der RAI würde solche Kritik längst zensiert.
Wird die Einflussnahme zum Boomerang?
Die Journalisten der RAI seien inzwischen Untertanen der Regierung, sie könnten sich ihre Gesprächspartner für die Polit-Talkshows nicht selbst aussuchen, außerdem müssten alle Fragen vorher schriftlich eingereicht werden, berichtet vertraulich einer der Leiter der Informationsprogramme der RAI der Deutschen Welle unter der Bedingung, dass sein Name nicht veröffentlicht werde. Die RAI befinde sich in einer heiklen Phase. Viele Strukturen seien veraltet, die Mitarbeiter demotiviert. Der Nachwuchs arbeite unter extrem prekären sozialen Bedingungen, die jede kritische Haltung von vorneherein unmöglich machten.
Bereits am Tag nach ihrem Abschied als Nachrichtenchefin wurde Bianca Berlinguer als mögliche Gegenkandidatin bei den nächsten Parlamentswahlen gehandelt. Einerseits, weil auch in Italien der Wunsch nach einer weiblichen Führung wächst, anderseits, weil Berlinguer die Politik sozusagen im Blut liegt. Sie ist die Tochter des legendären und heute noch verehrten Kommunistenführers Enrico Berlinguer und als Erbin der italienischen Linken heute für viele Linke glaubwürdiger als der allzu machtbesessene Matteo Renzi.