Ökonomen werben für CO2-Preis
29. Mai 2017Manche unternehmerische Revolution hat in Berlin ihren Ursprung genommen: Da mag es nicht verwundern, dass auch 13 Top-Ökonomen aus der ganzen Welt nach Berlin gereist sind, um genau hier für eine neue Revolution zu werben. Treffpunkt: der Think20-Gipfel, ein Stelldichein globaler Meinungsführer im Kampf gegen Hunger, Klimawandel und Ungleichheit, organisiert von der deutschen G20-Präsidentschaft.
Die Mission der Wirtschaftswissenschaftler: CO2 soll einen realistischen, relevanten und globalen Preis bekommen. Bislang gibt es in einzelnen Staaten und Regionen zwar Emissionshandelssysteme, doch der Preis für den Schadstoff ist meist zu gering, um tatsächliche Veränderungen herbeizuführen. Das muss sich ändern, sind der amerikanische Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Lord Nicholas Stern überzeugt.
Der britische Ökonom Stern hatte vor über zehn Jahren im gleichnamigen Stern-Report die Folgen der globalen Erderwärmung durchgerechnet. Jetzt legten die beiden Vorsitzenden der "High-Level Commission on Carbon Prices" in Berlin ein Papier vor, das für politischen Zündstoff sorgen dürfte. Sie fordern von der Politik mehr Einsatz und ein Preismodell, das wirkliche Anreize setzt, um in erneuerbare Energien zu investieren. Dafür benennen sie erstmals ganz konkret, wie hoch der Preis für Kohlendioxid sein müsste, damit die globalen Klimaschutzziele aus dem Pariser Abkommen erreichbar sein könnten.
2030 zwischen 50 und 100 Dollar pro Tonne
Ein Preis, der sich in Entwicklungs- und Schwellenländern zwar je nach Wirtschaftskraft unterschiedlich entwickeln dürfe, aber stets innerhalb einer festgelegten Preisspanne bleiben müsse, um effektiv zu sein, erläuterte Lord Stern, Professor an der London School of Economics. "Um die Klimaerwärmung unter dem in Paris definierten Ziel von zwei Grad Celsius zu halten, muss Kohlendioxid bis 2020 einen Preis von mindestens 40 bis 80 US-Dollar pro Tonne bekommen." Bis zum Jahr 2030 sollte dieser Preiskorridor dann schrittweise auf 50 bis 100 US-Dollar steigen, um Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien attraktiver zu machen, so Stern weiter.
Welche Eile geboten sei, verdeutlichte Stern mit Verweis auf die vielen neuen Kraftwerke, die in den kommenden Jahren ans Netz gehen werden, um den steigenden Energiebedarf der Menschheit zu decken. "Die Infrastruktur wird sich in zwei Jahrzehnten verdoppeln, und passiert das auf der Basis der heutigen und sehr dreckigen Technologien, dann ist das Zwei-Grad-Ziel unerreichbar fern."
"Wachstums-Geschichte des 21. Jahrhunderts"
Statt über die Kosten des Klimawandels zu streiten, wollen die Ökonomen um Stiglitz und Stern deshalb auf das Wachstumspotential von effektivem Klimaschutz schauen. Und zu gewinnen gebe es viel, sagte Nobelpreisträger Joseph Stiglitz mit Blick auf US-Präsident Donald Trump, der beim G7-Gipfel auf Sizilien einen Konsens beim Klimaschutz verhinderte. "Der Abschied von der fossilen Wirtschaftswelt ist die Wachstums-Geschichte des 21. Jahrhunderts", gab der Professor von der Columbia University in New York seinem viel kritisierten Landsmann im Weißen Haus zu verstehen. Und Ökonom Stern fügte hinzu, dass auch nach einem möglichen Ausscheren der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen der weltweite Trend weg von der Kohle und hin zu Wind- und Solarkraftwerken anhalten werde.
Das zeige ihm der Blick auf Schlüsselländer wie China oder Indien, so Stern. Der Wettbewerb von fossilen Kraftwerken mit erneuerbaren Energien habe dort die Preise für die Stromproduktion purzeln lassen - auf unter 3,5 US-Cent pro Kilowattstunde. Wind und Sonne könnten bereits heute mit Kohlekraftwerken mithalten, sie seien in den jüngsten Ausschreibungen sogar deutlich günstiger, so Stern. In Indien habe dies zu einer völligen Überarbeitung der Neubaupläne für Kraftwerke geführt. Die indische Regierung sagte neue Kohlekraftwerke zugunsten von Wind- und Solarparks ab.
Joseph Stiglitz, der in Berlin ein flammendes Plädoyer für die globale Energiewende hielt, verwies auch auf die vielen Vorteile, die eine Abkehr von der fossilen Energiewelt ebenfalls mit sich bringen würde. "Diese Transformation bietet ein riesiges Potential, nicht zuletzt was technische Innovation, lebenswerte Städte, bessere Luftqualität und gesündere Menschen angeht", so Stiglitz. Klimaforscher Ottmar Edenhofer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung ergänzte, dass die staatlichen Mehreinnahmen aus der CO2-Besteuerung in Schwellen- und Entwicklungsländern auch für gezielte Armutsprävention genutzt werden können. Ein besonders vorbildliches Programm habe die kanadische Regierung aufgelegt. Zudem habe sich am Beispiel Deutschlands gezeigt, dass eine auf Energieeffizienz getrimmte Wirtschaft auch eine besonders wettbewerbsfähige Wirtschaft sei.
"Wirkliche ökonomische Anreize" erforderlich
Klimaforscher Edenhofer ließ allerdings keinen Zweifel daran, dass es zur Verteuerung von Kohlendioxid kommen müsse. Andere politische Instrumente könnten einen solchen CO2-Preis ergänzen und dessen Wirkung verstärken. "Aber ersetzen können andere Instrumente einen solchen Schritt nicht", so Edenhofer. Die deutsche Bundesregierung bekannte sich ausdrücklich zu dem Vorstoß der Ökonomen. "Auch wir sind überzeugt, dass Kohlendioxid einen Preis braucht, einen Preis, der hoch genug ist, um wirkliche ökonomische Anreize zu bieten", betonte Karsten Sach, Direktor für Klimaschutzfragen beim Umweltministerium, im Namen der Bundesregierung. Ob diesem Bekenntnis allerdings auch Taten folgen werden, die zu einer CO2-Steuer führen, wird sich in Deutschland erst nach der Bundestagswahl zeigen.
Ein Vertreter der Weltbank kündigte auf dem Treffen an, dass die internationale Organisation mit Sitz in Washington schon bald nur noch Entwicklungsprojekte finanzieren wolle, deren CO2-Fußabdruck zumindest intern mitgerechnet werde. "Noch hat ein hoher CO2-Ausstoß aber keine Konsequenzen für die Bewilligung von Weltbank-Projekten", räumte der Klimaschutz-Direktor der Weltbank, John Roome, auf Nachfrage ein. Es bleibt also noch viel zu tun für das Klimaschutznetzwerk der "Carbon Pricing Leadership Coalition". Das Bündnis von 25 staatlichen, 150 privatwirtschaftlichen und über 30 Akteuren aus der Zivilgesellschaft wurde am Rande der Klimakonferenz in Marrakesch 2016 gegründet. Und besonders von der deutschen G20-Präsidentschaft erhofft man sich, dass aus dem CO2-Preis ein Stück mehr Realpolitik wird.