Kampf ums Überleben
12. April 2014Man könnte den Herzschrittmacher eines verstorbenen Menschen ein zweites Mal im Körper eines anderen Patienten verwenden, lautete der Vorschlag eines Klinikleiters. Technisch sei das kein Problem. Es würde die Kosten einer Transplantation halbieren. Die Krankenkassen, die in Deutschland solche Operationen bezahlen, hätten sich über diese Sparidee freuen können. Doch sie lehnten den Exzess einer Kostenoptimierung ab. Experten für die Gesundheitsbranche rechnen aber damit, dass auch solche Maßnahmen nur noch eine Frage der Zeit sind. Derzeit gibt es bereits andere Fehlentwicklungen, die auch die 200.000 ausländischen Patienten betreffen, die jährlich in Deutschland behandelt werden.
Immer weniger Kliniken
"Die wirtschaftliche Lage der Kliniken verschlechtert sich weiter", beschreibt Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen (RWI) die Situation. Die Gesundheitsforscher am RWI beraten die Politik und fertigen daher auch jedes Jahr einen Rating-Bericht zu Klinken an. Dabei stellte das Institut fest, dass jede zweite Klinik in Deutschland Verluste verzeichnet und mittel- bis kurzfristig von der Pleite bedroht ist. Bundesweit schließen seit Jahren viele Kliniken ihre Pforten für immer, weil sie sich wirtschaftlich nicht mehr rechnen. "In vielen ländlichen Gebieten besteht die Gefahr einer Unterversorgung", sagt Boris Augurzky. Weil es viele Kliniken nicht mehr gibt, fährt man jetzt schon in einigen Regionen länger als die politisch angestrebten 20 Minuten zu einer Klinik. Im Fall eines Herzinfarktes können längere Fahrten den Tod bedeuten. Weniger Krankenhäuser bedeuten auch weniger schnell erreichbare Spezialisten, die im Zweifel lebensrettend tätig werden können.
Unnötige Operationen
Um wirtschaftlich zu überleben, gehen etliche Kliniken dazu über, Patienten bei zeitlich planbaren Behandlungen unnötige, aber sehr gut bezahlte Operationen zu empfehlen. Das wird zwar offiziell von der Deutschen Krankenhausgesellschaft bestritten, aber von Ärzten, die den Alltag in Kliniken kennen, immer wieder bestätigt. Die Ärzte Paul Brandenburg aus Berlin und Bernd Hontschik aus Frankfurt am Main stellten sich für eine Fernsehreportage sogar vor die Kamera und sagten unmissverständlich: "Ärzte in Kliniken werden täglich darauf getrimmt, Profit zu generieren." Wer die meist unter vier Augen geäußerten Anweisungen nicht erfülle, dem drohe die Schließung seiner Abteilung und damit der Arbeitsplatzverlust.
Also wird operiert, was im deutschen Gesundheitssystem Geld bringt. Dramatisch zugenommen hat zum Beispiel der Kaiserschnitt bei Geburten. Die Zahlen dazu verdeutlichen, warum das so verlockend ist: Eine Normalgeburt mit Hebamme kostet nur rund 800 Euro. Für eine solche Normalgeburt erhält die Klinik von der Krankenkasse bereits 2000 Euro, für einen Kaiserschnitt aber immerhin 3000 Euro. Richtig lukrativ sind auch Operationen an der Hüfte und an den Kniegelenken.
"Deutschland liegt bei der Zahl dieser Operationen an zweiter Stelle in der OECD", bestätigt Professor Volker Penter von der Beratungsgesellschaft KPMG, die die Kliniklandschaft bestens kennt. Penter rät Patienten daher: "Wenn man eine solche Operation empfohlen bekommt, ist es wichtig, sich noch mal eine Zweitmeinung einzuholen, ob das denn wirklich erforderlich ist. Das muss jeder sorgfältig abwägen, ob er eine solche OP durchführen lässt oder nicht."
Teufelskreis beenden
Die teuren Operationen sind zwar nicht immer schädlich, aber unnötig riskant für die Patienten. In etlichen Fällen kam es im Bemühen um Zuwachs bei lukrativen Operationen auch schon zu schlimmen Behandlungsfehlern. Ganz böse wird es, wenn auch noch dubiose Patientenvermittler mit am Werk sind, die aus dem Ausland Menschen für Behandlungen an deutschen Kliniken anwerben. In etlichen solcher Fälle ermitteln bereits Staatsanwaltschaften.
Eine ganze Reihe von Beratungsgesellschaften arbeitet für die Kliniken an "sauberen Überlebensstrategien". So auch Volker Penter. "In vielen Krankenhäusern beobachten wir erhebliche Ineffizienzen. Wenn Sie das mit anderen Industriezweigen vergleichen, dann ist das Krankenhauswesen zehn bis 20 Jahre hinterher - hinsichtlich der Prozessoptimierung."
Erfolgsfall Klinik Plettenberg
Was alles an Maßnahmen verbessert werden kann, um wirtschaftlich zu überleben und gleichzeitig eine optimale Gesundheitsbetreuung in der Region sicherzustellen, haben Barbara Bieding und Michael Kaufmann am Krankenhaus Plettenberg bewiesen. Die Verwaltungsdirektorin und der Geschäftsführer haben einige Abteilungen besser verzahnt. Laborergebnisse und Medikamentenvergabe sind vernetzt, um unnötige und teure Anwendungen zu vermeiden.
Oft geht es um ganz simple, aber effektive Dinge. Zum Beispiel setzen die beiden auf eine konsequente Bekämpfung von Krankenhauskeimen. "Jede Infektion, die neben der Hauptkrankheit kommt, ist nicht nur unnütz, sondern auch unwirtschaftlich." Denn die Behandlung der Infektionen bedeutet für das Krankenhaus viel Aufwand.
Das Entscheidende aber war die Anwerbung zusätzlicher, erstklassiger Ärzte. Profitiert hat die Klinikleitung ausgerechnet von dem Operationsdruck, den viele andere Kliniken auf ihre Ärzte ausüben. Michael Kaufmann freut sich: "Die meisten Ärzte wollen nicht mehr Planzahlen erfüllen müssen. Die sagen, ich will wieder nur Mediziner sein." Barbara Bieding ergänzt: "Wir sind besser geworden. Die hoch motivierten Ärzte haben Patienten mit ihren Behandlungen überzeugt und das hat sich herumgesprochen." Tatsächlich hat sich die Zahl der Menschen erhöht, die sich ganz bewusst für die Klinik Plettenberg entscheiden. Damit erhöhte sich auch die Zahl der Operationen. Die Verluste reduzieren sich deutlich. Sogar Gewinne zeichnen sich ab. Das war so noch vor Jahren nicht absehbar.
Eigentlich sollte die Klinik, nachdem sich die ehemaligen Betreiber zurückziehen wollten, geschlossen werden. Vermögende Bürger aber brachten Geld auf, gründeten eine Stiftung und überzeugten die Stadt, Beihilfen für eine Übergangszeit zu stellen. So wurde die Klinik gerettet.