"Übersetzen ist die Kunst der eigenen Sprache"
30. September 2015Deutsche Welle: Herr Sternagel, Sie haben einen in Deutschland recht seltenen Beruf: Sie sind Übersetzer für indonesische Literatur. Anders als bei Englisch oder Spanisch gibt es gerade mal eine Handvoll Menschen, die das machen. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich war 16 Jahre lang für das Goethe Institut in Indonesien tätig. Gegen Ende meiner Zeit dort fiel mir der Roman von Umar Kayam "Para Priyayi" in die Hände. Ich habe ihn gelesen und sofort gedacht: "Den musst du übersetzen!" Glücklicherweise ging der ein deutscher Verlag auf meinen Vorschlag ein. Das Buch "Ein Hauch von Macht" hat sich dann auch ganz gut verkauft - jedenfalls für ein indonesisches Werk. Denn Literatur aus Indonesien hat es nach wie vor schwer, in Deutschland genügend Leser zu finden.
Was hat Sie denn gerade an diesem Buch so fasziniert?
Das war die Sprache! Umar Kayam hat eine einprägsame, sehr anschauliche Sprache. Er hat einen großen Humor. Und das ist auch für einen deutschen Leser sehr anziehend. Es ist schade, dass es keine Neuauflage davon gibt. Ich hoffe, dass es noch irgendwann einmal dazu kommt, denn es wäre ein Gewinn für viele, die sich für Indonesien interessieren.
Da wäre jetzt ja eigentlich die richtige Gelegenheit mit Indonesien als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse...
Richtig. Aber da ist ja nicht alles wahrgenommen worden, was man hätte wahrnehmen können.
Das Übersetzungsprogramm zum Beispiel ist erst vor einem Jahr gestartet. Mussten Sie deshalb besonders schnell arbeiten?
Ich war mit meinen Übersetzungen ziemlich weit vorangekommen und ich habe in diesem Jahr nur noch ein paar Restarbeiten zu erledigen gehabt. Aber ich weiß von Kollegen und Kolleginnen, die arg unter Zeitdruck geraten sind.
Nun erscheint zur Buchmesse eine relativ überschaubare Anzahl von Titeln auf Deutsch. Welche Werke hätten aus Ihrer Sicht eigentlich unbedingt übersetzt werden müssen?
In erster Linie ist es Pramoedya Ananta Toer. Seine Tetralogie über die Geschichte Indonesiens im vergangenen Jahrhundert hätte es verdient, in einer guten Übersetzung in Deutschland zu erscheinen. Denn die erste Auflage war doch sehr schwach. Da bin ich mir mit meinen Kolleginnen und Kollegen einig. Übersetzen ist ja nicht etwa eine Kunst der Fremdsprache, sondern es ist vor allem die Kunst seiner eigenen Sprache, sich angemessen und gut ausdrücken zu können. Und das fehlt da.
Außerdem ist Putu Wijaya ein Autor von hervorragenden Kurzgeschichten. Der ist gar nicht in Erscheinung getreten.
Als Übersetzer befassen Sie sich aber natürlich auch mit der "fremden Sprache". Was lieben Sie an der indonesischen Sprache?
Indonesisch ist eine Sprache, die man relativ leicht lernen kann - allerdings nur auf Alltagsniveau. Sobald man in höhere Sprachebenen kommt, wird es sehr viel schwieriger. Mir gefällt es, wie man im Alltag miteinander spricht. Das ist sehr viel angenehmer und sympathischer als im Deutschen.
Wenn ich mir zum Beispiel überlege: In München fahren die Leute mit der U-Bahn und sitzen sich gegenüber, werden aber niemals ein Wort miteinander austauschen. In Berlin ist das schon eher üblich. Und in Indonesien könnten sie einander unmöglich gegenübersitzen, ohne ins Gespräch zu kommen.
Was ist die Herausforderung beim Übersetzen?
Indonesien hat eine ganz andere Grammatik. Sie haben keine Flexionsformen, keine richtige Pluralbildung - das geschieht nur durch Verdoppelung - und sie haben auch keine Kasusbildung. Also, ich weiß nicht, ob etwas Nominativ oder Akkusativ oder Dativ ist. Auch die Adjektivendungen fehlen im Indonesischen. Man kann also oft schwer einordnen, wie etwas gemeint ist. Man muss viel aus dem Kontext lesen. Und das ist eine schwierige Aufgabe.
Sie haben mit Ayu Utami und Andrea Hirata zwei der Bestsellerautoren aus dem Indonesischen übersetzt. Es sind zwei Autoren, die einen recht unterschiedlichen Stil haben -die eine eher radikal und explizit, der andere etwas einfacher. Wie wichtig ist für Sie der persönliche Kontakt zu den Autoren?
Ich nehme von Anfang an Kontakt zu den Autoren auf und versuche, ihn auch zu halten. Beim zweiten Buch von Andrea Hirata, "Der Träumer", war die Zusammenarbeit besonders eng. Wir haben ja eigentlich gemeinsam aus zwei Bänden einen gemacht. Wir haben die indonesischen Bände zwei und drei zusammengeworfen und haben dann gemeinsam "Der Träumer" entwickelt.
Ein Buch speziell für den deutschen Markt, was sich auch recht gut verkauft hat - für ein indonesisches Buch. Liegt das auch an den Verlagen, die sagen: Meine Güte, Indonesien, das ist so weit weg, das interessiert uns nicht?
Das sagen sie nicht so direkt. Sie lehnen nur die Manuskripte ab. Ich habe zum Beispiel mit "Saman" von Ayu Utami versucht, einen größeren Verlag zu finden. Das war damals vor gut zehn Jahren völlig unmöglich. Bei der "Regenbogentruppe" von Andrea Hirata war das genauso. Ich war völlig gescheitert. Ich hatte das Manuskript. Und niemand wollte es auf Deutsch haben. Dann kam zum Glück eine Agentur aus New York, die das Buch in Deutschland herausbringen wollte, auf mich und auf einen Verlag zu. Aber das war ein Glücksfall.
Durch die Werbemaßnahmen für Frankfurt haben jetzt aber auch einige Verlage angebissen. Ich hoffe, dass sich das für die kommenden Jahre fortsetzt, auch bei den Lesern.
Peter Sternagel, geboren 1933, hat mehrere Jahre für das Goethe Institut in Indonesien und Japan gearbeitet. Er ist promovierter Historiker und hat neben Ayu Utami unter anderem Umar Kayam und Andrea Hirata aus dem Indonesischen übersetzt.