Ähnliche strategische Interessen von Iran und USA
14. Juni 2005Ein Zeichen dieser behutsamen Neuorientierung ist im Streit um die iranische Atompolitik zu erkennen: Akbar Haschemi Rafsandschani, der Favorit der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am Freitag (17.6.2005), ließ in einem Interview wissen, die Atomfrage sei einer der Hauptgründe für seine erneute Kandidatur. Rafsandschani, der von 1989 bis 1997 bereits zwei Mal Präsident war, betonte er wolle das Problem lösen - "für mich selbst und für die Welt - wegen meiner Erfahrung in der internationalen Diplomatie".
Gleichzeitig wird offenbar auch in Washington die Rhetorik gegen Teheran heruntergeschraubt: Die USA haben ihren langjährigen Widerstand gegen einen Beitritt des Iran zur Welthandelsorganisation WTO aufgegeben und Präsident Bush soll sogar einer "begrenzten und kontrollierten" Uran-Anreicherung durch den Iran zugestimmt haben. Dies wurde zwar später dementiert, nicht dementieren aber kann man den Vorschlag von Patrick Clawson, stellvertretender Leiter des Washingtoner Instituts für Nahost-Politik: Clawson schlug vor, dass der Atomstreit bilateral zwischen Washington und Teheran gelöst werde, und das besonders auf dem Weg einer weitreichenden Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet.
Orientierung am "großen Satan"
Solche Ideen aus einem Washingtoner "Think-Tank" sind noch nicht US-Politik, sie könnten es aber werden. Und der Iran würde damit wieder zur geostrategischen Bedeutung zurück finden, die ihm jahrelang - zur Zeit des Schahs - beigemessen wurde und die nur unter dem Dauerstreit mit Washington abhanden kam.
Die Iraner orientieren sich ohnehin seit langem wieder am "großen Satan" - wie die USA immer noch von den Erzkonservativen genannt werden - und auch konservative Pragmatiker wie Rafsandschani gestehen uneingeschränkt ein, dass die USA nun einmal die einzige Supermacht seien und der Iran sich damit besser abfinde.
"Nachbar" USA
Solche Einsicht wird verstärkt durch die Tatsache, dass die USA nicht mehr ein ferner Feind, sondern in den letzten Jahren zum Nachbarn geworden sind: US-Truppen stehen im Irak, in Afghanistan, in den zentralasiatischen Republiken, und auch die Zusammenarbeit zwischen den USA und Pakistan ist heute enger als in den vergangenen Jahren.
Hatte dies zunächst iranische Politiker mit Argwohn erfüllt, ihr Land sei umzingelt und werde nächstes Ziel der Amerikaner sein, so scheint man in Teheran eingesehen zu haben, dass man solch ein Szenario am besten verhindern kann, wenn man sich auf die strategischen Gemeinsamkeiten besinnt, die es zwischen den USA und dem Iran gibt: Beide Länder sind gleichermaßen an einer Beruhigung und an einer demokratischen Entwicklung im Irak interessiert, Washington, weil es den Erfolg der US-Strategie demonstrieren will, Teheran, weil Demokratie im Irak die dortigen Schiiten stärkt und der Nachbar dann wohl endgültig aufhört, eine Bedrohung darzustellen.
In Afghanistan hatte der Iran die Taliban-Gegner unterstützt, die dieses radikal-islamistische Regime mit Hilfe der Amerikaner stürzten. Der Iran war auch - neben Pakistan - größtes Auffangbecken afghanischer Flüchtlinge, die jetzt wieder in ihre Heimat zurückgeführt werden. Und weder der Iran noch die USA sind an neuen radikal-islamischen Tendenzen in Zentralasien oder in Pakistan interessiert.
Gemeinsame Interessen
Schließlich wollen beide die Unversehrtheit der arabischen Kleinstaaten am Persischen Golf bewahren, die durchaus in den Sog radikaler Strömungen geraten könnten, derer sie sich nicht erwehren können. Und auch im Libanon gibt es ein gemeinsames Interesse: Der Iran unterstützt die schiitische Hisbollah-Miliz, die aus dem gegenwärtigen Wahlprozess als eine der stärksten Gruppen hervorgehen wird. Und in Washington ist man dabei - die "Partei Gottes" trotz aller Terrorvorwürfe immer klarer als politische Realität zu betrachten und nach Wegen zu suchen, den Politisierungsprozess und die Abkehr vom Terrorismus zu stärken.
Uneins ist man sich nur noch in der Einschätzung des Konflikts zwischen Palästinensern und Israelis: Teheran ist weiterhin unversöhnlich anti-israelisch, während Washington den jüdischen Staat fast uneingeschränkt unterstützt. Aber auch hier gibt es Aufweichungserscheinungen: George W. Bush scheint in seiner zweiten Amtszeit eine etwas distanziertere und auch mehr pro-palästinensische Haltung einzunehmen und in Teheran versichert man nicht erst seit heute, dass man eine Regelung zwischen Israel und den Palästinensern nicht torpedieren werde - selbst wenn man Israel gegenüber weiterhin in kritischer Ablehnung verharre.
Konzessionen
Auch auf wirtschaftlichem Gebiet haben der Iran und die USA eine Reihe gemeinsamer Interessen, die - zusätzlich zu den genannten geopolitischen Gründen - für eine Erneuerung der Beziehungen und auch der Wiederaufnahme der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern sprechen. Bleibt das Problem, dass Washington nicht mit einem klerikalen Regime umgehen kann, das nicht unbedingt westlichen oder amerikanischen Wertvorstellungen entspricht. Ein Problem, das überwunden werden kann, wenn sonst alles stimmt und dem man sich auch in Teheran bereits zu stellen beginnt: Wenn die USA gewisse Zugeständnisse machten, so meint Haschemi Rafsandschani, dann könne auch der Iran positiv darauf reagieren.