Energie durch Supraleiter
27. Oktober 2014Im Supraleiter-Labor für die Energietechnik am Karlsruhe Institut für Technologie (KIT) hat man viel Vorarbeit geleistet: Hier hat auch Mathias Noe dazu beigetragen, dass Supraleiter den Sprung von den Forschungslaboren in die industrielle Anwendung geschafft haben.
Mathias Noe steht bei unserem Besuch vor einem Versuchsaufbau: Streifen von Supraleitern sind wie ein Schlauch um einen Kern geflochten. An den Enden des Experiments gehen die Leiterstreifen auseinander und sind an eine Stromquelle angeschlossen. Würde Noe die Anlage in Betrieb nehmen, müsste er sie zuerst in eine Isolationskiste packen - ähnlich einer überdimensionierten Pizza-Box aus Styropor - und das ganze mit flüssigem Stickstoff füllen.
Die supraleitenden Streifen erreichen nämlich erst in dem Moment ihre supraleitenden Eigenschaften, wenn sie tiefgekühlt werden. Und der Stickstoff erreicht mit -196 Grad Celsius die dafür nötige Temperatur.
"Hier probieren wir unsere energietechnischen Entwicklungen aus", erklärt der Direktor am Institut für Technische Physik. "Solche Kabeldemonstratoren, aber auch Transformatoren, oder kleine Strombegrenzer-Typen. Wir können hier praktisch alles vom Leitertest bis zum vollständigen Komponententest machen. Wir haben hier die Infrastruktur, um Strom, Spannung, Kälte und Charakterisierung vorzunehmen. Das ist sehr praktisch."
Keramik, eingebettet in Silber und Stahl
Jetzt nimmt der Physiker einen einzelnen, supraleitenden Streifen in die Hand: "Im Unterschied zu einem normalen Leiter hat er eine vielfach höhere Stromdichte."
Sichtbar wird der Unterschied, als der Professor ein vergleichbares Kupferkabel daneben hält. Es wirkt geradezu klobig und ist etwa so dick wie ein Ringfinger. "Der Supraleiter kann mehr als 100 Mal so viel Strom im selben Querschnitt übertragen."
Und nur ein Teil des schmalen Supraleiter-Streifens kommt überhaupt bei der Stromübertragung zum Einsatz: Nämlich der innere Kern des Streifens. Der besteht aus einem keramischen Material, das die supraleitenden Eigenschaften hat: Eine Bismut-Strontium-Kalzium-Kupferoxid-Verbindung.
Zwar glänzt der Supraleiter metallisch - was man von außen sieht, ist aber nur Ummantelung und Trägermaterial: Schichten aus Silber und Edelstahl, die dafür sorgen, dass der eigentliche spröde Supraleiter als biegbares und flexibles Kabel industriell nutzbar wird.
Ein Kilometer Kabel in der Innenstadt von Essen
Seit dem April 2014 sind solche Supraleiter-Streifen im täglichen Einsatz. Der Energieversorger RWE hat in Essen eine Stromleitung aus diesem Material installiert, einen Kilometer lang.
Wie in dem Versuchsaufbau am KIT, sind in dem Kabelstrang viele dieser schmalen Supraleiter-Streifen miteinander verwebt - wie drei Schläuche mit unterschiedlichen Durchmessern stecken sie ineinander. Jeder Gewebeschlauch bedient eine Phase des Drehstrom-Netzes.
Der kühlende Stickstoff umspült ständig die Supraleiter-Schichten. An einem Ende des Kabels wird er durch den innersten Supraleiter-Schlauch herein geleitet, am anderen Ende umgeleitet und dann außerhalb der Leiterschichten wieder zurückgeleitet. Nur hin und wieder muss frischer Stickstoff nachgefüllt werden.
Hundert Meter lange Thermoskannen
Damit sich das ganze nicht erwärmt, ist der komplette Kabelstrang außen durch zwei Schichten Superisolation geschützt: Dazwischen liegen zwei Zentimeter Vakuum. Wie bei einer Thermoskanne, hält die Isolierung den Inhalt schön kalt.
Einen thermischen Verlust gibt es natürlich trotzdem. Der beträgt etwa ein Watt pro Meter Kabel. Das ist aber - angesichts der im Kabel übertragenen Energiemenge - noch recht wenig. Und eine weitere Eigenschaft des Stickstoffs führt dazu, dass die Kühlung über lange Zeit stabil bleibt: "Sollte Wärme eingetragen werden, verdampft natürlich der Stickstoff", sagt Kosta Schinarakis, der sich für die Öffentlichkeitsarbeit am KIT mit innovativen Techniken befasst. " Der Verdampfungsprozess nimmt auch wieder Wärme mit. Auch wenn da Verluste sind, kann der Tank über lange Zeit die Kühlung aufrechterhalten: Über Wochen und Monate, die notwendig sind."
Die dafür nötige Technik hat längst in der Industrie Einzug gehalten. "Kühlung, Vakuumtechnik, das sind alle Sachen, die gibt es schon, und die nutzt man jetzt im Gesamtpaket mit der Supraleitung für innovative Anwendungen", sagt der Physiker.
Wirtschaftlichkeit durch schlankere Netzarchitektur
Das macht Supraleitung heute wirtschaftlich nutzbar. Die Gründe dafür liegen allerdings nicht in der erzielten Materialersparnis beim Verzicht auf dicke Kupferkabel. Der Bau eines supraleitenden Kabels ist immer noch mehr als doppelt so teuer, wie ein vergleichbares konventionelles Kabel. Auch die geringeren Energieverluste, die im Supraleiter auftreten, machen ihn deshalb noch nicht zwangsläufig wirtschaftlich.
Die Supraleiter spielen bei der Stromübertragung ihre Vorteile vielmehr dadurch aus, dass die Architektur der Netze eleganter gestaltet werden kann als bisher: "Ich muss das System als Ganzes betrachten: Der Supraleiter erlaubt Bauformen und Konzepte, die es vorher nicht gab. Damit optimiere ich das Gesamtsystem", erklärt Schinarakis.
Ein Beispiel: Bisher findet die Übertragung vom Kraftwerk mit Hochspannung statt. Die Hochspannung wird durch Transformatoren auf Mittelspannung und weiter auf Hausspannung reduziert. Mit Supraleitern kann man aber von Anfang an - also bereits bei der Herstellung des Stroms - auf der Mittelspannung bleiben. Supraleitende Kabel können nämlich viel höhere Ströme verkraften als konventionelle Kabel. Diese hohen Ströme sind aber bei der Mittelspannung nötig, um auch weiterhin die gewünschten Leistungen übertragen zu können.
"Deshalb können Sie über neue Netze nachdenken und die vielen innerstädtischen Umspannstationen deutlich reduzieren", macht Institutsdirektor Noe deutlich. "Und da erzielen Sie einen Gewinn." Das gilt in urbanen Räumen noch mehr als auf dem Lande weil Umspannstation nicht nur Geld kosten, sondern auch wertvollen Platz beanspruchen.
Kommt die Energie-Super-Pipeline?
Für die Zukunft kann sich der Professor vorstellen, dass noch viel mehr Strom durch Supraleiter fließt. Sollte es eines Tages gar Pipelines für flüssigen Wasserstoff geben, könnte man diese gleich zur Stromübertragung mit nutzen - auch über längere Distanzen. Denn flüssiger Wasserstoff ist mit - 252 Grad Celsius noch viel kälter als Stickstoff.
Visionäre könnten sich vorstellen, dass Supraleiter sogar einmal Einzug in der Gleichstromfernübertragung halten. Dafür sind sie theoretisch sogar noch besser geeignet als für den Wechselstrom: Während es beim Wechselstrom auch bei Supraleitern noch geringe Verluste gibt, haben diese beim Gleichstrom praktisch überhaupt keinen Widerstand mehr.
Derzeit besteht das Hauptproblem bei Fernleitungen darin, dass mindestens alle fünf Kilometer eine Kühlung gebaut werden müsste. In Mittelgebirgen ist das Pumpen des Stickstoffs, wegen der Höhenunterschiede allerdings schwierig zu bewerkstelligen. Da sind klassische Hochspannungsleitungen einfacher zu bauen.
Eine Sicherung, die nicht durchbrennen kann
Supraleiter können in Stromnetzen noch eine ganz andere Aufgabe übernehmen: Als Sicherung gegen Überströme. Nicht nur höhere Temperaturen führen nämlich dazu, dass sie ihre supraleitenden Eigenschaften verlieren, sondern auch zu hohe Ströme oder äußere Einflüsse eines Magnetfeldes. Kommt es nun zu einem Kurzschluss, verliert der Supraleiter schlagartig seine Leitfähigkeit. Der Strom kann dann nicht mehr fließen, trotzdem brennt die Sicherung nicht durch. .
Diese Eigenschaft machen sich Professor Noel und seine Kollegen am KIT zu Nutze, und haben eine supraleitende Sicherung entwickelt, die auch bereits im industriellen Einsatz ist.
Kleinere Trafos, Generatoren und Motoren
Supraleiter eignen sich auch hervorragend zum Bau leistungsfähigerer und relativ kleiner Transformatoren. Denn jeder herkömmliche Transformator hat eine Spule für höhere Spannung und eine für die niedrigere Spannung. Auf der Niederspannungsseite fließen immer höhere Ströme. Nutzt man dort nun Supraleiter anstatt stärkerer Kupferkabel, kann man Transformatoren bauen, die bei gleicher Leistungsübertragung viel kleiner sind als herkömmliche.
Auch bei Generatoren lässt sich eine erhebliche Gewichtsersparnis erzielen. In Windkraftanlagen könnten diese etwa halb so schwer werden, wie bisher. Damit könnten die Türme leichter, die Fundamente kleiner und die Stromausbeute größer werden.
Genauso ist es bei Motoren: Sie werden kleiner, leistungsfähiger und effizienter, sodass einige Visionäre schon überlegen, Schiffe mit Strom anzutreiben. Der könnte mit einer Gasturbine und einem supraleitenden Generator erzeugt werden. Der Antrieb wäre dann ein entsprechender Motor.
Und sogar Flugzeuge könnten eines Tages mit Strom fliegen. Möglich könnten das neben bionischen Leichtbaukonstruktionen, supraleitende Motoren und innovative Batterien machen. Ein Konzept dafür hat die Firma Airbus sogar schon entworfen.