Ein Bürgermeister kämpft gegen die Stagnation
14. Dezember 2015Eigentlich sieht Obren Petrović aus wie der Hauptdarsteller eines Mafia-Films: Violettes Hemd, schwarze Lackschuhe, gefärbte Haare. Sein Outfit passt zum Kitsch-Dekor des Cafés in dem wir uns treffen. Vor der Tür sitzt sein Bodyguard.
Petrović ist seit 2002 Bürgermeister von Doboj, einer Kleinstadt 160 Kilometer nördlich der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Ihm gelingt seit Jahren, was im Rest des Landes kaum möglich scheint. Als serbischer Christ bindet er die muslimischen Bürger aktiv ein.
In einem Land, das seit der Unterzeichnung des Dayton-Abkommens vor 20 Jahren entlang ethnisch-religiöser Grenzen aufgeteilt ist, schafft das Feinde: "Das Zusammenleben zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen ist in unserer Gemeinde sehr gut. Aber von außen werden immer wieder Probleme herangetragen", so Petrović ernüchtert. "Meine Politik, sich auch mit dem muslimischen Teil unserer Bevölkerung gut zu stellen, wird nicht gerne gesehen. Vor allem der SNSD, der Partei der Serben, und ihrem Vorsitzenden Milorad Dodik ist es ein Dorn im Auge, dass wir hier alle zusammenarbeiten. Deswegen versuchen sie, das Gleichgewicht zwischen den Bürgern durcheinander zu bringen."
Geteilt und am Boden
Diese Vorbehalte stehen symbolisch für die Situation im ganzen Land. Doboj mit seinen knapp 35.000 Einwohnern liegt in dem Teil Bosnien-Herzegowinas, der seit dem Dayton-Abkommen vom 14. Dezember 2015 "Republika Srpska" gennant wird. Dies ist der mehrheitlich christliche Teil des Landes mit der Hauptstadt Banja Luka. Der andere Teil mit der Hauptstadt Sarajevo heißt "Föderation von Bosnien und Herzegowina" und ist primär muslimisch geprägt. Beide Landesteile bilden zusammen das Land "Bosnien und Herzegowina". Beide "Entitäten" genannten Landesteile verfügen über parallele Verwaltungsstrukturen wie Polizei, Bildungs-, oder Gesundheitswesen. Kindern aus der "Republika Srpska" ist es beispielsweise nicht erlaubt, in eine Schule der "Föderation Bosnien und Herzegowina" zu gehen und umgekehrt.
Karsten Dümmel ist der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sarajevo. Er ist ein nachdenklicher Mann, in der DDR hat er als Bürgerrechtler gegen den ostdeutschen Unrechtsstaat opponiert. Dümmel ist niemand, dem man undifferenzierte Urteile zutrauen würde. Die Situation des Bosnien-Herzegowinas skizziert er schonungslos: "Das Dayton-Abkommen hatte seinen Zweck elf Monate nach dessen Unterzeichnung erfüllt. Spätestens im zwölften Monat hätte es erneuert werden müssen." Dadurch, dass nichts passiert sei, so Dümmel weiter, läge vieles im Argen: "Es gibt hier keine Visionen, keine Hoffnung, es gibt ewige Blockaden, dadurch dauert alles viel zu lange." Hinzu komme die viel zu hohe Arbeitslosigkeit.
Schwache Wirtschaft und schwacher Zentralstaat
Die Zahlen geben ihm Recht. Das Land mit seinen knapp vier Millionen Einwohnern steht am Rande der Stagnation. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum sieht zwar mit zwei Prozent in den vergangenen Jahren auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus. Aufgrund der strukturellen Probleme wirkt sich das jedoch kaum auf dem Arbeitsmarkt aus. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 70 Prozent und internationale Konzerne wie Daimler oder RWE haben in den vergangenen Jahren aufgrund der Korruption ihre Investitionsvorhaben entnervt gestoppt.
Die Analyse des Experten wiegt noch schwerwiegender, wenn man die Rolle des "Zentralstaats" in Betracht nimmt, der in Bosnien-Herzegowina selbstverständlich ebenfalls existiert - trotz der strikten Teilung in zwei Entitäten. Mit Ausnahme der Außen,- und Außenwirtschaftspolitik haben dessen Vertreter aber kaum etwas zu sagen. Das einzige übergeordnete Organ mit weitreichenden Machtbefugnissen ist im Inland das Verfassungsgericht. Und dessen Urteile werden laut Karsten Dümmel großenteils von den Behörden ignoriert.
Realität schlägt auf die Psyche
Tiefes Misstrauen, schwächelnde staatliche Institutionen. Das hat auch Auswirkungen auf die Psyche der Gesellschaft. Semsa Ahmetspahic betreut seit Jahren traumatisierte Kriegsflüchtlinge. Obwohl der Krieg mit Unterzeichnung des Dayton-Abkommens offiziell als beendet galt, attestiert die Psychologin der gesamten bosnischen Gesellschaft auch heute noch tiefsitzende Folgeschäden.
"Wie jedes Land, das einen so schrecklichen Krieg hinter sich hat, sind weitreichende Traumata bei großen Teilen der Bevölkerung zu beobachten." Ahmetspahic erlebt täglich in ihrer Praxis, wie sehr die katastrophale ökonomische Lage die Situation noch weiter verschlimmert: "Die Menschen sind tief verunsichert. Sie sehen einfach kein Licht am Ende des Tunnels."
Nur gemeinsam aus der Krise
In einem Land, in dem staatliche Strukturen aufgrund von Vetternwirtschaft und Korruption nicht mehr funktionieren, müssen andere ran. Hilfsorganisationen wie "Islamic Relief" (IR) versuchen, die Lücken zu füllen. Als beispielsweise nach heftigen Regenfällen im Frühjahr 2014 Bäche und Flüsse über die Ufer traten, waren die IR-Leute mit als erste zur Stelle, halfen in der Flutkatastrophe, wo sie konnten.
Erdin Kadunic ist bei IR für Bosnien zuständig. Das Land seiner Eltern beschäftige sich immer noch viel zu sehr mit sich selbst anstatt nach vorne zu schauen, meint Kadunic. Für ihn ist Dobojs Bürgermeister Obren Petrović daher eine leuchtende Ausnahme und Vorbild für das gesamte Land: "In gewisser Weise erzieht er die Leute vor Ort, um ihnen zu zeigen: 'Leute, nur so geht es und nicht anders.' Wir können in Bosnien nicht in getrennten Welten leben, mit einer serbischen, einer bosniakischen, oder einer kroatischen'", sagt Kadunic. "Es gibt nur eine bosnische Welt. Und dazu gehören alle Ethnien."
Ein hehres Ziel. Und dennoch: Wie weit die Lebensrealität in Bosnien davon auch nach zwei Jahrzehnten Frieden entfernt ist, macht Obren Petrovic zum Schluss des Treffens noch einmal ganz deutlich. "Während der Flutkatastrophe hat Banja Luka einen Generalbevollmächtigten eingesetzt, um in Doboj die Geschäfte zu leiten. Das Erste, was der gemacht hat, ist die Nothilfe aus den muslimischen Nachbargemeinden zu kappen."