AfD-Provokation in Namibia bleibt ohne Folgen
2. August 2024Seit 2015 verhandeln Deutschland und Namibia über die Wiedergutmachung für das dunkelste Kapitel der gemeinsamen Geschichte: den - laut Historikern - ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts an Herero und Nama durch die deutsche Schutztruppe. Eine sogenannte "Gemeinsame Erklärung" beider Regierungen soll Versöhnung bringen. Sie wird von einigen Herero- und Nama-Vertretern in Namibia jedoch scharf kritisiert.
Inmitten dieser schwierigen Ausgangslage reisten kürzlich Abgeordnete des Landtags des westlichen deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen nach Namibia, um sich über verschiedene Themen zu informieren. Ganz oben auf der Agenda: die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia.
Teil der Delegation: der Abgeordnete Sven Tritschler von der rechtspopulistischen Partei AfD. Am Rande dieses Besuches legte Tritschler mit einem Mitarbeiter einen Kranz am Grab deutscher Kolonialsoldaten in der Küstenstadt Swakopmund nieder. Damit löste er zunächst in Deutschland eine Welle der Entrüstung aus - die nun auch nach Namibia geschwappt ist.
Mit Verzögerung: Eklat auch in Namibia
"Für mich war die Kranzniederlegung eine Huldigung für Mörder, für Menschen, die Namas und Hereros getötet haben!", sagt Ellison Tjirera, Dozent für Soziologie an der Universität von Namibia. Er sei geschockt, so Tjirera zur DW.
Auch das namibische Außenministerium wird deutlich: "Dieser Akt ist nichts weniger als verachtenswert und unehrenhaft", erklärte Exekutivdirektor Penda Naanda. "Aber er beschwört auch Schmerz und Leid für die Opfer herauf und verhöhnt alle Versuche der laufenden Verhandlungen, die auf Versöhnung abzielen."
So sieht es auch Tjirera. Es mache in gewisser Weise zunichte, was man bisher zwischen beiden Gesellschaften aufgebaut habe, um die Vergangenheit zu bewältigen. "Das ist ein echter Rückschritt."
Was bewegte Tritschler?
Sven Tritschler beteuert derweil, dass es sich um eine rein private Aktion im Anschluss an das offizielle Programm gehandelt habe. Die Delegationsmitglieder hatten am 10. Juli auf dem Herero-Friedhof in Swakopmund Kränze niederlegt.
Im DW-Gespräch erzählt Tritschler: Es habe ihn gestört, dass man nur Kränze für Herero-Opfer niedergelegt habe. Im Sinne der Versöhnung sollte aber aller Toten gedacht werden, so Tritschler. "Deswegen haben wir gedacht, wir legen noch einen Kranz nieder am Grab der deutschen Soldaten in Swakopmund."
Er habe dabei nicht erwartet, dass sein Bild davon auf Instagram so hohe Wellen schlagen würde. Tritschler lehnt gegenüber der DW auch den Begriff Genozid in Bezug auf die Gräueltaten in Namibia zwischen 1904 und 1908 ab.
Die deutsche Schutztruppe tötete geschätzt mehr als 80.000 Angehörige der Volksgruppen Herero und Nama gezielt. Tritschler spricht stattdessen von Kriegsverbrechen.
Noch einen anderen Effekt hat der Vorfall: Viele in Namibia erfahren zum ersten Mal, dass es in Deutschland auch eine rechte Gruppierung gibt, die zum Thema Versöhnung eine ganz andere Position hat als die Bundesregierung.
So sieht es das Forum Deutschsprachiger Namibier (FDN). Der Vorsitzende der Interessensvertretung, Harald Hecht, befürchtet im DW-Gespräch: "Herr Tritschler hat uns als deutschsprachigen Namibiern einen Bärendienst erwiesen mit seiner Aktion."
Auch Dozent Ellison Tjirera findet, der Versöhnungsprozess wird mit dieser Aktion untergraben. Er fordert eine starke Reaktion von der Regierung in Berlin.
Keine Auswirkung auf die anhaltenden Verhandlungen
Auf DW-Anfrage verurteilt das deutsche Außenministerium das Vorgehen Tritschlers. Man stehe fest hinter dem Prozess des Versöhnungsdialogs mit Namibia: "In den letzten Wochen haben wir in konstruktiven und ergebnisorientierten Gesprächen wichtige Fortschritte erzielt, darauf wollen wir weiter aufbauen", heißt es.
Die linke Fraktionsgruppe BSW im deutschen Bundestag forderte von der Bundesregierung mehr Details zum Stand der Verhandlungen. Die Antwort auf diese sogenannte "kleine Anfrage" liegt der DW exklusiv vor.
Daraus geht hervor, dass sich namibische und deutsche Vertreter zwischen dem 19. September 2023 und dem 17. Juli 2024 mindestens neun Mal getroffen haben. Gesprochen wurde demnach "primär" über den "deutsch-namibischen Versöhnungsprozess".
Zu den Inhalten oder dem Fortschritt der Gespräche will sich die Bundesregierung nicht äußern. Man strebe eine Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zum nächstmöglichen Zeitpunkt an, heißt es lediglich.
Die namibische Seite zeigt sich offener. Im November stehen Wahlen an. Inmitten des Wahlkampfes kündigte Vize-Präsidentin Netumbo Nandi-Ndaitwah Ende Juni an, dass es in einigen Streitpunkten einen Konsens gibt. Das betrifft etwa den festgelegten Geldbetrag - bisher hat sich die deutsche Regierung verpflichtet, Hilfen im Wert von 1,1 Milliarden Euro zu leisten.
Und auch bei der viel kritisierten Formulierung des "Völkermords nach heutigem Verständnis" sollen sich beide Seiten geeinigt haben. Dieser Abschnitt ist einigen Opferverbänden in Namibia und Oppositionspolitikern in Deutschland ein Dorn im Auge.
Die BSW-Abgeordnete Sevim Dağdelen spricht gegenüber der DW von "abenteuerlichen Pirouetten", mit denen sich die Bundesregierung weigere, den Völkermord juristisch anzuerkennen.
Gemeinsame Erklärung "lediglich ein Anfang"
Laut Vize-Präsidentin Nandi-Ndaitwah ist Deutschland jedoch bereit, den Völkermord voll umfassend anzuerkennen und zusätzliche Mittel für Versöhnungsprogramme bereitzustellen, sollte der bisher festgelegt Betrag ausgeschöpft sein.
Auch der jüngste Zwischenfall in Swakopmund dürfte daran nichts ändern. "Ich habe keinen Zweifel, dass das Abkommen kommen wird, weil es auch im gegenseitigen Interesse ist," sagt AfD-Landtagsabgeordneter Tritschler zur DW.
Ob die Diskussionen damit beendet sind, darf allerdings bezweifelt werden. Die Gemeinsame Erklärung sei lediglich ein Anfang, unterstreicht Dozent Tjirera. "Aber es ist noch nicht der Abschluss, wir sind noch nicht am Ziel."