1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die deutsche Kolonialgeschichte in Namibia

Cai Nebe
21. September 2021

Obwohl die deutsche Kolonialherrschaft nicht lange andauerte, hat sie mehr als 100 Jahre später noch Auswirkungen auf das heutige Namibia. Ein Blick in die Geschichte.

https://p.dw.com/p/3uMpl
Theodor Leutwein, Herero-Führer Samuel Maharero, ua
    

Weitere Einzelheiten
Theodor Leutwein, Zacharias Zeraua und Manasse Tyiseseta  1895
Aufnahme von 1895: Gouverneur Theodor Leutwein (links) unter anderem mit Herero-Führer Samuel Maherero (rechts)Bild: public domain

1840er-Jahre: Missionare der Rheinischen Missionsgesellschaft aus Deutschland treffen in dem Gebiet ein, das heute Namibia ist.

1883: Adolf Lüderitz, einer der ersten bekannten deutschen Kolonialisten, unterzeichnet einen Vertrag mit dem Kaptein, dem traditionellen Führer, Josef Fredericks von Bethanie im heutigen südlichen Namibia. Der Vertrag gibt dem deutschen Geschäftsmann Rechte an dem Gebiet um einen strategisch wichtigen natürlichen Hafen namens Angra Pequena, den er in Lüderitz umbenennt.

1884/85: Nach der Berliner Konferenz wird das Gebiet des heutigen Namibia ein Schutzgebiet des Deutschen Reiches, genannt Deutsch-Südwestafrika. Die einheimische Bevölkerung ist an diesen Entscheidungen der europäischen Mächte nicht beteiligt.

1890: Der deutsch-britische Helgoland-Sansibar-Vertrag tritt in Kraft. Deutschland erhält Zugang zum Sambesi-Fluss in Südwestafrika. Dazu wird ein rund 30 Kilometer breiter Landstreifen geschaffen, der als Caprivi-Streifen bekannt ist - benannt nach dem deutschen Reichskanzler Leo von Caprivi.

Hendrik Witbooi, a strategic political fighter

1893: Zwischen deutschen Soldaten, die zum Schutz der deutschen Siedler entsandt wurden, und lokalen Herero-, Nama- und Witbooi-Clans nehmen Gefechte zu. Die Männer des deutschen Gouverneurs Curt von Francois greifen den Nama-Anführer Hendrik Witbooi und das Dorf Hornkranz an und massakrieren Frauen, Kinder und alte Menschen. Witbooi übt Vergeltung und unterbricht vorübergehend die Transportwege von der Küstenstadt Swakopmund ins Zentrum von Windhuk.

1894: Theodor Leutwein löst von Francois als Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika ab. Er handelt Schutzverträge mit Gemeinden aus, greift aber diejenigen an, die sich weigern, sich dem Deutschen zu unterwerfen.

Leutwein unternimmt einen Großangriff auf Hendrik Witbooi in den Naukluft-Bergen. Als die Deutschen Witbooi besiegen, unterschreibt er einen Schutzvertrag.

Vernichtungsbefehl als Vergeltung 

1895: Die deutsche Schutztruppe wird gegründet. Diese Kampftruppe soll die deutschen Interessen in Südwestafrika verteidigen und jeden Widerstand gegen die Kolonialverwaltung unterdrücken. Die Schutztruppe, die oft nach dem Prinzip der "verbrannten Erde" vorgeht und kaum zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheidet, umfasst zeitweise über 15.000 deutsche Soldaten.

Zeichnung, die gefangene Herero zeigt
Zeitgenössisches Sammelbildchen: Die Kolonialverbrechen wurden in Deutschland selbst weitgehend beschönigt

August 1904: In der "Schlacht am Waterberg" erringen deutsche Truppen unter Generalleutnant Lothar von Trotha einen entscheidenden Sieg über den lokalen Führer Samuel Maharero und Herero-Rebellen. Von Trotha erlässt daraufhin einen Vernichtungsbefehl. Jeder Herero, der in dem von den Deutschen besetzten Land angetroffen wird, solle hingerichtet werden. Es folgen Massaker an Herero und Nama durch deutsche Siedler und die Schutztruppe. Unbewaffnete Herero werden routinemäßig erschossen oder erhängt, ihr Vieh wird entweder gestohlen oder getötet und deutsche Siedler übernehmen das Land.

Dies ist die Reaktion auf die Ermordung von etwa 120 deutschen Siedlern und Soldaten durch Einheimische. Die Herero werden in die raue Omaheke-Region im Osten des heutigen Namibias vertrieben, wo Tausende verhungern und verdursten.

Eine Gruppenaufnahme von sehr stark abgemagerten Menschen
Diese Menschen hatten die Flucht durch die wüstenähnliche Region überlebt - Tausende andere nichtBild: public domain

1904-1908: Die Zusammenstöße zwischen den deutschen Truppen und den Herero- und Nama-Rebellen gehen weiter, aber der Widerstand der Herero ist weitgehend gebrochen und die Schutztruppe treibt die Überlebenden zusammen. Die verbliebenen Flüchtlinge, darunter auch Frauen und Kinder, werden gezwungen, in Konzentrations- und Arbeitslagern für deutsche Unternehmen und für Infrastrukturprojekte zum Aufbau der deutschen Kolonie zu arbeiten. Das Land der Herero wird beschlagnahmt und unter den deutschen Siedlern verteilt.

Deutsche Wissenschaftler nehmen einige Schädel der Opfer mit nach Deutschland, um sie zu studieren und die inzwischen diskreditierte Theorie der Eugenik weiterzuentwickeln. Sie versuchten, wissenschaftliche Belege für die Überlegenheit der Europäer gegenüber anderen Rassen zu finden.

Während die Zahlen umstritten bleiben, sagen konservative Schätzungen, dass etwa 65.000 von 80.000 Herero - also bis zu 75 Prozent der damaligen Bevölkerung - und mindestens 10.000 von 20.000 Namas unter deutscher Herrschaft getötet wurden. Insgesamt sollen bis zu 100.000 Menschen durch die Hand der deutschen Truppen gestorben sein. Dieser Abschnitt der Geschichte wird heute weithin als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts angesehen.

Nahaufnahme eines Reliefs, drei Menschen wurden an einem Baum erhängt, zwei Soldaten mit Gewehren stehen daneben
In Windhuk erinnert heute ein Denkmal an den Völkermord an den Herero und NamaBild: Jürgen Bätz/dpa/picture alliance

Deutschland verliert seine Kolonien

1907: Berlin ruft Generalleutnant von Trotha zurück, dessen brutale Methoden in Afrika und Europa verurteilt wurden.

Juli 1915: Deutschland verliert die Kontrolle über Südwestafrika an alliierte und südafrikanische Truppen.

1919: Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg zwingt der Versailler Vertrag Deutschland seine Kolonien aufzugeben.

1923: Chief Samuel Maharero stirbt im Exil im heutigen Botsuana.

Eine Gruppe von Menschen in festlicher Kleidung auf einem Hügel
Herero-Führer prangern heute weiter die Enteignung ihres Volkes durch das koloniale Deutschland anBild: picture-alliance/dpa/J. Bätz

Zögerliche Aufarbeitung der Vergangenheit

März 1998: Der deutsche Bundespräsident Roman Herzog besucht Namibia. Die Herero fordern Reparationen für deutsche Gräueltaten in der Zeit von 1904 bis 1908.

14. August 2004: Die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul erkennt nach 100 Jahren die historische und moralische Verantwortung Deutschlands für den Völkermord am Volk der Herero und Nama an. Die Verantwortung Deutschlands soll durch Entwicklungshilfe umgesetzt werden.

30. September 2011: Deutschland gibt erstmals Schädel aus Tötungen in der Kolonialzeit an Namibia zurück. Weitere Rückgaben von Gebeinen folgen 2014 und 2018.

29. März 2014: Vertreter der Nama und Herero fordern erneut Reparationen von Deutschland für den Völkermord während des Kolonialkrieges 1904-1908.

Zwei Personen gehen an zwei mit Blumen dekorierten Glaskästen, in denen Schädel liegen, vorbei und zollen Respekt
Deutschland gab im Jahr 2018 menschliche Gebeine, die in der Kolonialzeit verschifft wurden, an Namibia zurückBild: AFP/J. McDougall

2015: Verhandlungen zwischen der namibischen und der deutschen Regierung über eine offizielle Entschuldigung und Hilfsgelder beginnen.

7. Juli 2016:  Erstmals erkennt die deutsche Regierung den Massenmord an Herero und Nama durch deutsche Truppen in einem offiziellen Dokument als Völkermord an.

28. Mai 2021: Nach sechs Jahren Verhandlungen verkündet der deutsche Außenminister Heiko Maas eine Vereinbarung, laut der Deutschland die Gräueltaten an den Herero und Nama in den frühen 1900er-Jahren als Völkermord anerkennt. Berlin verpflichtet sich, 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre für Infrastruktur und Entwicklungshilfe in Namibia auszugeben. Die Zahlungen beinhalten keine Reparationen und werden von einigen Herero- und Nama-Führern als "inakzeptabel" verspottet.

Adaptiert aus dem Englischen von Uta Steinwehr.