Agrar-Boykott: Kaum Folgen für Deutschland
8. August 2014Moskaus Sanktionsliste ist lang: Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch, Milchprodukte - all das darf ab sofort nicht mehr aus der EU, den USA, Norwegen, Australien und Kanada nach Russland eingeführt werden. Nach Angaben des Moskauer Analysten Dmitri Polewoj betrifft der Einfuhrstopp etwa ein Zehntel der russischen Agrarimporte.
Deutschland ist neben den Niederlanden der wichtigste europäische Lebensmittellieferant für Russland. Im vergangenen Jahr lieferte die deutsche Agrarwirtschaft Waren im Wert von 1,6 Milliarden Euro. "Es wird deutliche Einbußen für unsere Hersteller und Exporteure geben", warnte der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer, Michael Harms, im Deutschlandfunk. Und auch der Deutsche Raffeisenverband ist alarmiert: "Ich appelliere an das Bundeslandwirtschaftsministerium, dass zeitnah alle Exportkompetenzen gebündelt werden", äußert sich Manfred Nüssel, Präsident des Verbandes, in einer Pressemitteilung. Bestehende Drittlandmärkte müssten erweitert und neue Märkte gemeinsam erschlossen werden. "Nur so wird verhindert, dass die negativen Auswirkungen für die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft ins Uferlose steigen."
Deutscher Agrarminister bleibt gelassen
Der betreffende Minister sieht das deutlich entspannter: Er rechne nicht mit Marktturbulenzen und größeren Preissteigerungen, sagte Christian Schmidt im ZDF-Morgenmagazin. Als Alternativmarkt für die Obst- und Gemüseproduzenten brachte der Landwirtschaftsminister China ins Spiel, wohin er demnächst zu Gesprächen reisen werde. Wichtig sei, dass alle EU-Staaten an einem Strang zögen, damit der deutsche Markt nicht in Schieflage gerate. Schmidt deutete an, dass es "in absehbarer Zeit" zu einem, vorgezogenen Treffen der EU-Agrarminister kommen dürfte.
Die Palette der aus Deutschland nach Russland gelieferten Produkte im Agrar-Bereich ist groß. Am wichtigsten war im vergangenen Jahr weiterhin das Geschäft mit Fleisch und Fleischerzeugnissen, mit großem Abstand gefolgt von Milch und Milchprodukten. Auch bei Backwaren und Kakaoerzeugnissen wie Schokolade lag der Exportwert bei mehr als 100 Millionen Euro. Deutsches Obst und Gemüse werden in sehr viel geringerem Umfang nach Russland verkauft. So wurden 2013 zum Beispiel Kartoffeln und Kartoffelerzeugnisse für zehn Millionen Euro in das Land gebracht. Bedeutsamer als der Handel mit Lebensmitteln ist für Deutschland der Export von Industriegütern wie Maschinen, Fahrzeugen und Chemieerzeugnissen nach Russland. Insgesamt entfallen auf Russland aber nur 3,3 Prozent der deutschen Ausfuhren.
Russland schottet seinen Markt ab
Bereits vor dem russischen Boykott haben die deutschen Agrarexporte nach Russland einen markanten Rückgang verzeichnet: Die Ausfuhren von Gütern aus der Land- und Ernährungswirtschaft sackten im vergangenen Jahr um 14 Prozent ab. Lieferten die Deutschen 2011 noch rund 80.000 Tonnen Käse nach Russland, so waren es im Folgejahr gerade noch 40.000 Tonnen. 2013 halbiert sich die Zahl erneut. Insgesamt exportierte Deutschland im vergangenen Jahr Milch und Milchprodukte im Wert von 165 Millionen Euro nach Russland - halb so viel wie noch 2012. Auch das Geschäft mit Fleisch und Fleischerzeugnissen ist eingebrochen: Hatten die Exporte 2012 noch einen Wert von 346 Millionen Euro, so waren im folgenden Jahr 30 Prozent weniger. Schweinefleisch darf seit Ende Januar dieses Jahres überhaupt nicht mehr aus der EU nach Russland eingeführt werden - offiziell aus Sorge vor der Schweinepest.
"In den letzten Jahren ist Russland in den Protektionismus zurückgefallen", sagte Reimer Böge, CDU-Agrarexperte im Europaparlament, der Süddeutschen Zeitung. Auch der Deutsche Bauernverband (DBV) beobachtet die "Tendenz zur Marktabschottung" schon länger. Angesichts der bereits früher verhängten Einfuhrverbote würden sich die die russischen Sanktionen deshalb nur begrenzt auf die deutsche Landwirtschaft auswirken. Zu einem erheblichen Teile zahle der russische Verbraucher für das politische Vorgehen seiner Regierung, heißt es vom DBV. Schweinefleisch etwa sei bereits deutlich teurer geworden.