Deutsche Wirtschaft bleibt pragmatisch
30. Juli 2014Die Europäische Union macht ernst. Nach den USA setzen nun auch die Mitgliedsländer der EU auf Handelsbeschränkungen für ganze Industriezweige. 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges wird die Wirtschaft als Waffe gegen Moskau gerichtet. Die Maßnahmen sollen auf ein Jahr begrenzt werden, eine erste Überprüfung soll nach drei Monaten erfolgen. Bis zum Donnerstag muss das Paket noch von den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten gebilligt werden. Laut Diplomaten soll das Sanktionsmodell vier Bereiche umfassen.
1. Russland wird es erschwert, sich an den EU-Finanzmärkten Geld zu beschaffen.
2. Die EU verbietet den Export von Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können.
3. Verträge über den Export von Rüstungsgütern dürfen nicht mehr abgeschlossen werden.
4. Hochtechnische Anlagen zur Förderung von Energie unterliegen strikter Ausfuhrbeschränkungen.
Schon vor dem Sanktionsbeschluss sagte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy: "Das wird eine starke Wirkung auf Russland und nur mäßige Folgen für die europäische Wirtschaft haben." Ob das stimmt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Für den europäischen Gesamtraum ist Russland der drittwichtigste Handelspartner. In der deutschen Handelsbilanz steht Russland an elfter Stelle.
Der Deutsche Industrie und Handelskammertag (DIHK) hat aufgrund der Ukraine-Krise seine Erwartungen an die deutsch-russischen Geschäfte stark nach unten korrigiert: Demnach sollen die Ausfuhren nach Russland im Jahr 2014 um mindestens 17 Prozent sinken. Harte Wirtschaftssanktionen hatte der DIHK aber in seiner Studie noch nicht eingerechnet. Wenn die nun greifen "könnte das einen wesentlich größeren Einbruch geben", sagt Tobias Baumann, Referatsleiter für Ost- und Südosteuropa am DIHK.
Maschinenbauer unter Druck
Vor allem der Maschinenbau ist von den Sanktionen betroffen, da viele hochtechnische Anlagen unter die Sanktionsbestimmungen fallen könnten. Laut dem Lobbyverband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) ist Russland der viertgrößte Markt weltweit für die deutsche Maschinenbauindustrie. Allein im Zeitraum von Januar bis Mai 2014 seien die Maschinenexporte nach Russland um rund 20 Prozent zurückgegangen. Nur die Androhung von Sanktionen hätte schon jetzt dazu geführt, dass viele Aufträge bereits am deutschen Maschinenbau vorbeigehen. Dennoch stellt sich der VDMA nicht gegen die Sanktionen. Diese seien "bitter, aber nötig".
Rechenspiele und Pragmatismus
Einen Schritt weiter geht das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). In seinem Szenario geht das wirtschaftsnahe Institut von einem Exportstopp aller Güter nach Russland und einem Importstopp aller Güter aus Russland nach Deutschland aus. Sollte es so kommen, könnte sich das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 0,6 Prozent reduzieren, so das IW. Das entspräche einem Verlust von rund 16,4 Milliarden Euro.
Doch in der deutschen Wirtschaft überwiegt der Pragmatismus: Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) unterstützt härtere Sanktionen. BDI-Präsident Ulrich Grillo schrieb in der Zeitung "Handelsblatt", dass Sanktionen als Druckmittel nicht ausgeschlossen werden dürften, so schmerzhaft diese auch für die europäische Konjunkturentwicklung, die deutschen Exporte und einzelne Unternehmen seien.
Keine Rezession
Der Anteil der deutschen Exporte nach Russland beträgt aktuell 3,3 Prozent an den gesamten deutschen Ausfuhren weltweit. Deshalb ist sich Tobias Baumann vom DIHK auch sicher: "Selbst wenn alle Exporte nach Russland eingestellt werden sollten - was ja nicht der Fall sein wird - wird die deutsche Wirtschaft nicht untergehen." Weder für die deutsche noch für die europäische Wirtschaft sieht er die Gefahren einer Rezession. Treffen könnte es aber vor allem Mittelstandsbetriebe, die sich stark auf Russland konzentrieren. "Unternehmen, die 20 Prozent oder mehr Russlandanteil an ihrem Geschäft haben, könnte es existenziell treffen. Das sehe ich bei großen Unternehmen nicht."
Doch auch große Konzerne wie E.ON oder BASF sind über Tochterfirmen im russischen Energiegeschäft tätig. Wintershall, eine Tochter von BASF mit Geschäften in Russland, wollte die Sanktionen nicht kommentieren. Man beobachte die Situation sehr sorgfältig. Insgesamt rechnet der DIHK mit 300.000 Arbeitsplätzen, die in Deutschland an den russischen Export gekoppelt sind. Doch auch hier ist Tobias Baumann vom DIHK zuversichtlich "Eine solche Krise führt jetzt nicht direkt dazu, dass alle Arbeitsplätze verloren gehen." Auch wegfallende Märkte könne man kompensieren. "Die Welt ist ja groß und rund."