Der indische Bildhauer Anish Kapoor wird 65
12. März 2019"Schwarzes Loch verschlingt Museumsbesucher" - diese Meldung vom Sommer 2018 hatte mit Astrophysik nichts zu tun. Es ging um eine in Portugal ausgestellte Installation des britisch-indischen Künstlers Anish Kapoor. Ein Besucher betrat die vermeintlich begehbare schwarze Fläche, die sich indes als zweieinhalb Meter tiefes Loch offenbarte. Der Mann landete laut Medienberichten leicht verletzt im Krankenhaus.
"Descent into Limbo" ("Abstieg in die Vorhölle") heißt die fürwahr abgründige Arbeit Anish Kapoors. Die Wände des Lochs hatte der Bildhauer mit einer HighTech-Acrylfarbe gestrichen, die das Licht derart absorbiert, dass der Abgrund suggerierte, ein auf den Boden gemalter Kreis zu sein. Das mag man für hinterlistigen Schabernack halten, über den Unfall zeigte sich Kapoor jedoch bestürzt. Die Betrachter vor überall lauernden Illusionen zu warnen, ist vielmehr ein zentrales Thema von Anish Kapoors Arbeiten. Was ihn interessiere sei "die Idee, dass Objekte nicht zwingend so sind, wie sie sich zunächst zu erkennen geben", sagte Anish Kapoor unlängst in einem Interview.
Verknotete Stahlkathedrale
Und so fordern seine Skulpturen und Installationen den Betrachter auch zumeist heraus, ohne dabei gleich physisch gefährlich werden zu müssen. Sicherer fühlen darf sich, wer die Arbeit betrachtet oder betritt, die Kapoor über die Kunstwelt hinaus bekannt machte: sein blutroter "Orbit"-Turm, den er für die Olympischen Spiele 2012 im Londoner Olympiapark aufstellte. Zunächst hielt sich die Freude der Londoner über die mit 115 Metern Höhe größte öffentliche Skulptur Großbritanniens in engen Grenzen.
Kapoor selbst beschrieb sein Werk in einem Interview so: "Es ist asymmetrisch, kippt, ein Durcheinander an Knoten, die Ellbogen ragen heraus." Zugleich verglich er den Turm mit einer Kathedrale. Für einen Sakralbau, nämlich das Gewölbe der Dresdener Frauenkirche, gestaltete er einen massiven Block aus schwarzem Kalkstein zum Altarstein.
Von Turner-Preis bis Ritterschlag
Der am 12. März 1954 in Bombay, dem heutigen Mumbai, geborene Kapoor hat es zu einem der höchst dekorierten Künstler der Gegenwart gebracht. In Mumbai wuchs der Sohn eines Hindu und einer aus Bagdad stammenden jüdischen Mutter auf. Später lebte Kapoor einige Zeit in einem Kibbuz in Israel, bevor er Anfang der 1970er-Jahre zum Kunststudium nach London ging. Hier begann eine steile Karriere, die buchstäblich in den britischen Kunstadel und den Olymp der Kunst führte. Kapoor vertrat Großbritannien auf der Biennale 1990 und nahm 1992 an der Documenta IX in Kassel teil. Bereits ein Jahr zuvor hatte er den renommierten Turner-Preis erhalten. 2013 schließlich wurde er für seine Verdienste um die visuelle Kunst zum Ritter geschlagen.
Und tatsächlich war Kapoor vielleicht zu einer Art Commonwealth-Künstler prädestiniert, indem er aus der spirituellen Tradition seiner indischen Heimat und den Ideen westlicher Kunsttradition gleichermaßen schöpft. Kapoors Umgang und sein Spiel mit allerlei kräftigen, brillanten Farben werden als Verweise auf die Farbenpracht des indischen Subkontinents gesehen.
Streit um die Finsternis
Doch ist es eine Nicht-Farbe, mit der Kapoor in den vergangenen Jahren von sich reden machte - und an der sich eine Künstler-Kontroverse entzündete: Vantablack, eben jenes Ultraschwarz, das dem Ausstellungsbesucher in Porto zum Verhängnis wurde. Das auf Nanotechnologie basierende tiefschwarze Material, das 99,6 Prozent aller Lichtstrahlung schluckt, wurde ursprünglich für Satelliten entwickelt. Für Kapoors Kunst eignet es sich hervorragend, weil es dreidimensionale Objekte als glatte Flächen erscheinen lässt. Die künstlerischen Nutzungsrechte an Vantablack sicherte sich Kapoor exklusiv. Weil er anderen Künstlern die Verwendung untersagte, war in der Kunstwelt ein Protest entbrannt.