Ankara und Athen für Sommer ohne Konflikte
1. Juni 2021Selten verlief ein Treffen zwischen einem griechischen und einem türkischen Außenminister so ruhig, fast langweilig, wie das zwischen Mevlüt Çavuşoğlu und Nikos Dendias am Montag in Athen. Zwar war im Vorfeld kein Eklat erwartet worden, wie im April in Ankara, wo Dendias und Çavuşoğlu vor laufender Kamera aneinandergeraten waren; aber auch nicht dieses Maß an Harmonie.
Sind die beiden zerstrittenen Nachbarländer plötzlich bereit, ihre bilateralen Probleme ehrlich zu diskutieren und nach Lösungen zu suchen? Es sieht nicht danach aus. Aber nach dem schwierigen Sommer 2020, als die beiden NATO-Mitgliedsstaaten Griechenland und Türkei an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung gerieten, ist die Sehnsucht nach einem konfliktfreien Sommer groß. Hintergrund des Streits war die türkische Suche nach Erdgas in Teilen der Ägäis, die Athen als "Ausschließliche Wirtschaftszone" Griechenlands sieht.
Heute hingegen brauchen beide Länder vor allem dringend eine erfolgreiche Tourismussaison. Nach eineinhalb Jahren der Corona-Pandemie ist das eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens. Es ist kein Zufall, dass die beiden Außenminister gestern betonten, sie hätten sich auf die gegenseitige Anerkennung von COVID-19 Zertifikaten geeinigt, damit geimpfte und negativ getestete Bürger*innen beider Staaten ins jeweils andere Land reisen können. Das soll der Tourismusbranche in der ganzen Ägäis einen Schub geben.
Hinzu kommt, dass sowohl Ankara als auch Athen gegenüber der Außenwelt ihre Dialogbereitschaft demonstrieren wollen. Griechenland wird von der türkischen Gesellschaft schon lange nicht mehr als Gefahr empfunden. Und auch die Türkei will nicht als Bedrohung erscheinen, denn Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat ein großes Interesse daran, die Beziehung seines Landes mit der EU zu verbessern, die Zollunion auszuweiten - und mehr Geld für die Millionen syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu erhalten. Dafür ist unter anderem eine Entspannung der Beziehungen zum EU-Mitglied Griechenland nötig.
Rendezvous beim NATO-Gipfel
In den vergangenen Wochen drängte Erdoğan regelrecht auf ein Treffen mit dem griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis. Nun endlich wurde ein Termin genannt: Die beiden Regierungschefs haben sich für den 14. Juni verabredet; aber von dem Rendezvous am Rande des NATO-Gipfels in Brüssel wird nicht viel erwartet.
Im besten Fall könnte eine Verlängerung der Phase der Entspannung in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer herauskommen - aber echte Gespräche für nachhaltige Lösungen der Probleme zwischen den beiden Nachbarn sind schon deshalb nicht in Sicht, weil Erdoğan offenbar kein großes Interesse daran hat.
Der lange Weg nach Den Haag
Was Wunder: Für eine anhaltende Entspannung müsste der türkische Präsident den weiten Weg zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) wagen. Was implizieren würde, dass die Türkei endlich das internationale Seerecht anerkennt - und zusagt, ein Urteil des IGH zum griechisch-türkischen Streit im Voraus zu akzeptieren.
Auch für die griechische Regierung wäre ein IGH-Urteil nicht einfach, denn es ist klar, dass Athen vom Gericht nicht alles bekommen wird, was das Land fordert. Was die Gewässer, den Festlandsockel und die Ausschließliche Wirtschaftszone angeht, sind die griechisch-türkischen Seegrenzen keineswegs so unverrückbar, wie die konservative Regierung in Athen gegenüber der griechischen Öffentlichkeit behauptet.
Widerstand der "Patrioten"
Auch deshalb ist Premier Mitsotakis nicht bereit, sich gegen die sogenannten Patrioten in seiner Partei und in der griechischen Gesellschaft zu stellen, um eine Lösung mit der Türkei zu erreichen. Der Konservative kann sich nur zu gut daran erinnern, wie einfach es war, seinen linken Amtsvorgänger Alexis Tsipras in Griechenland als Verräter zu diskreditieren, nachdem dieser das Prespa-Abkommen mit Nord-Mazedonien gewagt hatte.
Ein weiteres Problem zwischen Athen und Ankara ist die Frage der muslimischen Minderheit im griechischen Westthrakien. Deren Status war eigentlich 1923 im Vertrag von Lausanne geregelt worden. Dabei aber wurden die griechischen Bürger*innen türkischer, pomakischer und Roma-Abstammung pauschal als "Muslime" bezeichnet; auf dieser Bezeichnung beharrt der griechische Staat bis heute.
Glückwünsche statt Eklat
Als Erdoğan am 8. Mai 2004 die muslimischen Bürger*innen Thrakiens das erste Mal besuchte, sagte er: "Ich möchte meinen Brüdern, die hier leben, sagen, dass sie für ein starkes Griechenland arbeiten müssen. Je stärker Griechenland ist, desto glücklicher werdet ihr sein."
Seitdem hat sich vieles geändert - vor allem Erdoğan selbst. Mittlerweile versucht er immer wieder, die Muslime in Griechenland zu instrumentalisieren, behauptet, dass "die Menschenrechte der türkischen Minderheit vom griechischen Staat nicht respektiert werden". Und seine Minister nutzen jede Gelegenheit, um Thrakien zu besuchen - und sei es privat, wie Çavuşoğlu am 30.05.2021.
Das führte einen Tag später zu ein paar wütenden Artikeln in der national-konservativen griechischen Presse - aber sonst zu nichts. Çavuşoğlu war mit seinen Äußerungen in Thrakien vorsichtig, Dendias hat den als privat deklarierten Besuch ignoriert, ein neuer Eklat blieb aus. Stattdessen gab es von griechischer Seite eine Menge herzlicher Glückwünsche für den Erfolg der Basketballer von Anadolu Efes gegen Barcelona in der Euroleague.