Seehofer, Söder und die Landtagswahlen
22. Juli 2018"Bayern ist das Paradies", tönte Horst Seehofer als damaliger Ministerpräsident des Bundeslandes auf dem vergangenen Parteitag der CSU. Der Vorsitzende der bayerischen Konservativen hatte angekündigt, nach einem Jahrzehnt das Amt als Regierungschef des Freistaats an seinen Konkurrenten Markus Söder abgeben zu wollen. Den Vorsitz der bayerischen Regierungspartei wollte Seehofer aber behalten.
Der eine führt die Partei, die im "Paradies" regiert, der andere regiert aber wiederum das "Paradies" selbst - so der Plan für die Landtagswahl, die am 14. Oktober in Bayern stattfindet. Eine tückische Abmachung unter Kontrahenten, wie sie einer bayerischen "Posse" entstammen könnte: Volkstümliche Theaterkomödien, die in Bayern eine fast hundertjährige Tradition haben. Da gibt es Erbschleicher, die einem einfältigen Bauern ihren Großvater abkaufen wollen oder Blumenhändler, die mit Grafen verwechselt werden. Sie folgen einer simplen Regel: Am Ende siegt immer das Gute und zwischendrin wird herzlich gelacht.
Mit ihrer urtümlichen Art und Inszenierungen in Festzelten, umringt von Blaskapellen, wirken bayerische Politiker wie Horst Seehofer und Markus Söder teils, als entstammten sie selbst einer solchen Posse. Denn wie in jedem Drama gibt es einen verhängnisvollen Moment: Für die beiden Bayern könnte dieser die Abmachung der Doppel-Regentschaft über das "Paradies" gewesen sein.
Ärger an der grünen Grenze
Das Image als "Paradies" ist der Bayerischen Landesregierung wichtig: In Deutschland ist das Bundesland das beliebteste Reiseziel für ausländische Besucher. Der Tourismus ist eine der wichtigsten Wirtschaftszweige des Bundeslandes, das Bayerische Wirtschaftsministerium bezeichnete die Branche gar als "identitätsstiftend". Doch es gab etwas, das den Frieden im Paradies störte: die Flüchtlingskrise. Allein seit Beginn des Jahres erfolgte jede dritte illegale Einreise nach Deutschland an Bayerns Grenze zum Nachbarland Österreich.
Das Drama entfaltete sich, als Seehofer Anfang des Sommers ankündigte, in Berlin einen sogenannten "Masterplan Migration" vorzustellen. In 63 Punkten wollte der Bundesinnenminister die Asylpolitik Deutschlands neu regeln.
Doch Bundeskanzlerin Merkel lehnte seinen Vorschlag ab, bereits in anderen EU-Staaten registrierte Geflüchtete an der deutschen Grenze abzuweisen. Seehofer durfte gegen ihre Anordnung den Plan vorerst nicht veröffentlichen. Der Konflikt eskalierte, aus einem Lagerkampf zwischen zwei Koalitionspartnern wurde eine Regierungskrise, an dessen Ende manche gar den Bruch der jahrzehntelangen Fraktionsgemeinschaft befürchteten.
Wilde Bajuwaren in Berlin
Warum konnten die CSU-Politiker in Berlin aber derart für Furore sorgen? Bayern ist einflussreich: Knapp ein Fünftel der Bundesrepublik nimmt der Freistaat an Fläche ein, auch wenn Nordrhein-Westfalen mehr Einwohner hat. Bayern trägt ein knappes Fünftel zur deutschen Wirtschaftsleistung bei.
Was Bayern vor allem politisch interessant macht, ist die CSU: Seit über sechs Jahrzehnten regieren die Konservativen in Bayern. Sie sind in fast jedem Landkreis und Stadtrat vertreten und können so konsequent ihre Politik durchsetzen.
Obwohl die Christlich-Soziale Union eine regionale Partei ist und nur in Bayern gewählt werden kann, ist sie auch in Berlin vertreten. Aufgrund der starken Zustimmung in Bayern erreichte die CSU bei der Bundestagswahl 2017 umgerechnet auf die nationale Ebene 6,2 Prozent und knackte damit die Fünf-Prozent-Hürde, um eigenständig als Partei in den Bundestag einzuziehen. Mit der ebenfalls konservativen CDU bilden sie seit Jahren in der Bundespolitik eine Fraktionsgemeinschaft und können so derzeit als Koalitionspartner mitregieren.
Schon Merkels und Seehofers Vorgänger zofften sich
Die Zusammenarbeit zwischen Seehofer und Merkel ist schwierig, doch das Verhältnis der beiden Politiker ist nicht erst seit dem Asylstreit zerrüttet. Für ihre Politik der offenen Grenzen hat Seehofer Merkel immer wieder kritisiert. Besonders deutlich auf dem CSU-Parteitag 2015, als Merkel neben ihm auf der Bühne stand.
Konflikte zwischen den "Schwesterparteien", wie sich beide konservative Parteien selbst betiteln, sind nichts Neues. Schon die Vorgänger der Bundeskanzlerin und des ehemaligen bayerischen Landesvaters, Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß, waren für ihre Streitereien berüchtigt. Auch wenn der Streit vorerst beigelegt ist: Der Unmut ist noch nicht verflogen, in der CSU selbst regt sich nun Widerstand gegen Seehofer - und bei seinen Wählern.
Rekordtief für CSU vor der Landtagswahl
Es könnte der dramaturgische Wendepunkt der jüngsten bayerischen Posse werden. Die CSU, so mutmaßen ihre Kritiker, könnte nämlich Opfer ihrer eigenen Strategie werden. Der Plan einer harten "Asylwende", mit der um Wähler der rechtspopulistischen AfD gebuhlt werden sollte, könnte sich als wirkungslos erweisen. Denn in Umfragen rutschte die CSU auf ein Rekordtief, von dem aber eben nicht die AfD, sondern die Sozialdemokraten und Grünen in Bayern profitierten.
Anscheinend haben viele bayerische Wähler die vergangenen Wochen eben nicht als volkstümliche Posse wahrgenommen. Denn statt gemütlich polterndem Dialekt schlugen die bayerischen Politiker einen wesentlich schärferen Ton an. Etwa Horst Seehofer, der im Interview verlautete, er würde von einer Kanzlerin, die ohne ihn nicht im Amt wäre, keine Entlassung akzeptieren.
Oder auch Markus Söder, den die New York Times jüngst als "Deutschlands Donald Trump" betitelte, und der die Einwanderung nach Deutschland als "Asyltourismus" bezeichnete. Seit seinem Amtsantritt als Ministerpräsident ist es nicht die erste Kontroverse: So ließ er etwa anordnen, dass in staatlichen Behörden überall ein Kreuz im Eingangsbereich aufzuhängen sei. Für diese Politik kassierte die CSU sogar Kritik von den Kirchen selbst.
Wo bleibt das 'C' in der christlichen Partei?
In einem Interview mit der "Zeit" mahnte etwa der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Reinhard Marx: "Eine Partei, die sich für das 'C' im Namen entschieden hat, geht eine Verpflichtung ein - im Sinne der christlichen Soziallehre besonders in der Haltung gegenüber den Armen und Schwachen."
All das sieht der Parteivorsitzende als eine Kampagne gegen sich und seine Partei. Seinen Kritikern mangelte es selbst an dem, was sie bei ihm vermissen würden: "Anstand und Stil", erklärt er in einem Interview mit der "Augsburger Allgemeinen"-Zeitung. Auch Söder will keine Konsequenzen ziehen: Schuld sei die Bundespolitik, sagt er, und macht damit seinen Parteivorsitzenden Seehofer in Berlin verantwortlich.
Wie es in diesem bayerischen Schauspiel weitergeht? Nach den Irrungen und Wirrungen enden die Possen oder Schwanks im Gegensatz normalerweise nicht in einer Katastrophe, sondern bringen den Zuschauer mit Bauernschläue zum Schmunzeln. Wie es für Seehofer, Söder und die CSU ausgeht, das wird sich spätestens am 14. Oktober zeigen, wenn mit der Landtagswahl der Vorhang fällt.