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TTIP: Ernüchternde Zwischenbilanz

Richard A. Fuchs29. September 2015

Obwohl Deutschland von der Globalisierung profitiert, ist hierzulande der Widerstand gegen das Freihandelsabkommen TTIP groß. Deutschland und Frankreich sind unzufrieden und mahnen Zugeständnisse aus den USA an.

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Deutschland Proteste gegen TTIP
Sie wollen keine TTIP-Lügen mehr hören: Gegner auf der StraßeBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Auch wenn er die Verhandlungen um das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP nicht für gescheitert erklären will: Die Zwischenbilanz des deutschen Vizekanzlers Sigmar Gabriel nach zehn Verhandlungsrunden fällt nüchtern aus: "In den Verhandlungen bewegt sich praktisch nichts."

Die Gründe für den Stillstand der Verhandlungen liegen laut Gabriel an "beinharten ökonomischen Interesse", sowohl auf europäischer als auch amerikanischer Seite. "Europa ist zurückhaltend, wenn über die Öffnung der Agrarmärkte verhandelt wird, und die Vereinigten Staaten wollen ihre Märkte für öffentliche Dienstleistungen nicht öffnen," sagte der Vizekanzler am Montag in Berlin."

Frankreich unterstützt kein "unausgewogenes Abkommen"

Noch seien die Verhandlungen weit davon entfernt, all das abzudecken, was Globalisierungskritikern hierzulande heilig sei, also die Einhaltung von Verbraucherschutz-, Umwelt- und Sozialstandards. Gabriel rechnet nicht damit, dass vor den US-Wahlen im November 2016 noch einmal Schwung in die Verhandlungen kommen könnte. Ganz im Gegensatz zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die jüngst forderte, dass bis Ende des Jahres die Grundzüge eines solchen Abkommens ausverhandelt sein sollten.

Frankreichs Staatssekretär für Außenhandel, Matthias Fekl, wirft den USA vor, nicht auf Augenhöhe verhandeln zu wollen. Die Verhandlungen seien "unausgewogen, da die Vereinigten Staaten die EU zu weiteren Zugeständnissen drängen, ohne bisher wesentliche Gegenleistungen anzubieten", so Fekl.

Frankreich Matthias Fekl Minister für Handel und Tourismus
Ist in Berlin aufgewachsen, vertritt aber Frankreichs Handelsinteressen: Matthias FeklBild: Getty Images/AFP/T. Samson

Als Beispiele nannte er, dass die EU-Kommission im Namen der EU weitreichende Zugeständnisse bei der Öffnung des europäischen Dienstleistungssektors gemacht habe. Zudem habe Europa den USA angeboten, nahezu alle Zollschranken fallen zu lassen.

Angebote wie diese fehlten bislang auf amerikanischer Seite. Auch deshalb schließe er nichts mehr aus - "auch keinen Verhandlungsstopp", so Fekl. "Auf keinen Fall wird Frankreich ein unausgewogenes Abkommen unterstützen".

Wer die Standards setzt, beherrscht die Märkte

Wem dieses Abkommen nützt, darüber wird in diesen Tagen vielerorts debattiert. Mit äußerst unterschiedlichen Ergebnissen. Während TTIP-Befürworter oft mit fiktiven Zahlen jonglieren, wie viel mehr Wachstum und Beschäftigung ein solches Freihandelsabkommen bringen könnte, malen Kritiker das Bild von einem überbordenden Dumping bei Umwelt- und Sozialstandards.

Pascal Lamy, einst EU-Handelskommissar und ebenfalls Generaldirektor der Welthandelsorganisation WTO, warnt davor, die TTIP-Verhandlungen in die falsche Schublade einzusortieren. Bei TTIP gehe es nicht mehr so sehr darum, Zölle zwischen Handelspartnern abzuschaffen. Vielmehr drehe sich jetzt alles darum, Produktionsstandards, Normierungen und Zertifizierungen anzugleichen.

Der ehemalige CDU-Spitzenpolitiker Friedrich Merz betrachtet die Entscheidung darüber, "welche Norm ein Stecker, ein Computer-Anschluss oder ein Bauteil eines Elektrogerätes haben" als eine "hochpolitische" Sache. "Diejenigen, die heute die Standards setzen, haben morgen die Märkte," erklärte Merz.

Nach Ansicht des früheren WTO-Chefs Lamy ist dabei keineswegs ausgemacht, dass eine Vereinheitlichung von Standards stets eine Absenkung der Schutzniveaus nach sich ziehe, wie dies Umweltgruppen befürchten. "Es kann auch ein Rennen sein, das richtige Schutzniveau zu erreichen," argumentiert Lamy.

Pascal Lamy Welthandelsorganisation in Berlin
Heute dreht sich alles um Standards, nicht mehr um Zollschranken: Pascal LamyBild: Getty Images/A. Berry

Der grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer warnt allerdings davor, das Europa sich das amerikanische System der Produkt-Standardisierung im Hau-Ruck-Verfahren überstülpen lässt. Das könne dazu führen, dass hohe Schutzstandards künftig umgangen werden könnten, indem Tochterfirmen dort entstehen, wo weniger Auflagen existieren, aber die Anerkennung für den gemeinsamen Wirtschaftsraum ebenfalls gegeben ist. "Auf diese Art und Weise wird durch gegenseitige Anerkennung jedweder Standard weggebügelt", so Bütikofer.

Handelsgerichtshof ein langfristiges Ziel

Besonders umstritten in der Debatte um TTIP: die Einführung privater Sondergerichte zur Streitschlichtung zwischen ausländischen Investoren und Regierungen. Sigmar Gabriel und sein französischer Kollege Matthias Fekl hatten Anfang des Jahres vorgeschlagen, Investorenstreitigkeiten stattdessen durch einen neu eingerichteten Handelsgerichtshof schlichten zu lassen.

Die EU-Kommission hatte diesen Vorschlag in den Verhandlungen mit den USA zuletzt in weiten Teilen als gemeinsame europäische Position übernommen. Dieser Handelsgerichtshof soll sich von privaten Schiedsgerichten dadurch unterscheiden, dass Transparenzregeln gelten und Revision möglich sein würde.

"Wir können es nicht akzeptieren, dass Konzerne Staaten vor privaten Gerichten verklagen und angreifen, weil ihnen demokratisch legitime Entscheidungen nicht gefallen", lautet die Begründung von Matthias Fekl. Und auch in diesem Punkt treten Frankreich und Deutschland derzeit geschlossen auf.

Wirtschaftsminister Gabriel signalisierte, dass es kein Abkommen gebe werde, in dem private Schiedsgerichte ein Bestandteil seien. Vielen TTIP-Gegnern, die am 10.Oktober bei der angekündigten Großdemonstration gegen das Freihandelsabkommen durch Berlins Straßen ziehen werden, dürften solche Ankündigungen zu vage sein. Unter dem Motto "Demokratie schützen – TTIP stoppen" machen sie mobil.