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Neokolonialismus? Bundestag debattierte über Benin-Bronzen

Nadine Wojcik
13. Mai 2023

Wer entscheidet über die Zukunft der Benin-Bronzen? "Das ist unsere Angelegenheit", sagen nigerianische Künstler. Derweilen bezeichnen einige deutsche Politiker die Restitution als "misslungen".

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Behandschuhte Hände stellen Metall-Skulptur auf eine rote Unterlage.
Bedingungslose Rückgabe: Restituierte Bronze wird im Benin-Palast präsentiertBild: KOLA SULAIMON/AFP

"Eine Restitution mit Vorgaben kann man auch lassen", sagte Helge Lindh, kultur- und medienpolitischen Sprecher der SPD, in einer aktuellen Stunde im Bundestag. Auf Antrag der Partei AfD wurde am Freitag (12. Mai) unter dem Tagesordnungspunkt "Scheitern bei der Restitution der Benin-Bronzen" über die derzeit öffentlich hitzig geführte Diskussion debattiert. Anlass dafür ist die Schenkung der Kulturschätze von der nigerianische Regierung an den Oba von Benin, dem Nachfahren des einstigen Königreichs.

Bedingungslose Rückgabe verteidigt

AfD und Union kritisierten eine bedingungslose Rückgabe, wie sie von der Bundesregierung vereinbart wurde. Wenn Welterbe auf diese Weise in "Privatbesitz" versickere, sei Restitution misslungen, so die CDU-Politikerin Dorothee Bär. Rückgabe ja, aber "nicht um jeden Preis". Deutschland habe sich der Verantwortung für diese Kulturschätze entzogen, sagte Bär, und befürchte, dass die Bronzen "in Kanälen auftauchen, verschwinden oder zerstört" werden. Die Bundesregierung hingegen verteidigte erneut die Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria. Während im Bundestag über den Umgang um Raubkunst aus ehemaligen Kolonien kontrovers diskutiert wurde, fehlen in der medialen Debatte fast gänzlich die Stimmen derjenigen, über die derzeit geurteilt wird: die nigerianische Bevölkerung, insbesondere Vertreter des Edo-Stammes und des ehemaligen Königreichs von Benin, nigerianische Regierungssprecher oder afrikanische Wissenschaftler. Zu Wort kommen stattdessen deutsche Ethnologinnen, deutsche Museumsleiter und deutsche Politikerinnen. Kritisiert wird vor allem, dass mit der Übergabe an die Nachfahren des Königs von Benin, Oba Ewuare II., die kulturellen Schätze eben nicht an das nigerianische Volk zurückgegeben werden, sondern hinter Palastmauern verschwinden würden.

Wer entscheidet: Räuber oder Beraubte?

"Das ist eine Art neuer Kolonialismus. Ihr entscheidet, was damit passiert? Die Artefakte sind gestohlen worden, das sind geraubte Objekte", sagte Dr. Oluwatoyin Sogbesan, Architektin, Kultur- und Museumswissenschaftlerin aus Nigeria. Für sie ist der Oba der rechtmäßige Eigentümer, denn das Königreich, dem die Schätze gehörten, gibt es nicht mehr. Nigeria, dessen Staatsgründung ein koloniales Produkt ist, besteht aus 250 ethnischen Gruppen. Die Volksgruppe der Edo, vertreten durch das Oba-Königtum, ist die eigentliche Erbin.

Ein Mann in traditionellem Gewand und zwei Frauen schauen sich eine kleine Metallskulptur an.
Rückgabe der Benin-Bronzen in Abuja: Außenministerin Baerbock (r.) mit Kulturstaatsministerin Roth und Informations- und Kulturminister MohammedBild: Florian Gaertner/photothek/IMAGO

Viele Objekte wurden direkt aus dem Palast gestohlen, als eine britische Strafexpedition 1897 das Königshaus von Benin plünderte und die Kunstschätze anschließend verkaufte. "Es gibt viele Generationen, die sie noch nie gesehen haben oder gar davon wussten. Hier geht es um traditionelles Wissen." Und dieses sollte von denjenigen kuratiert werden, die diese Tradition auch kennen. "Rückgabe heißt nicht wegwerfen", so Sogbesan bei den "Decolonial Dialogues" der Heinrich Böll Stiftung am 11.Mai 2023. Die Objekte würden nun "anfangen zu leben". Die physische Rückführung sei "erst der Anfang", der es endlich möglich mache, in einen wichtigeren Dialog zu treten. Darüber, was im Gegensatz zu den Benin-Bronzen nicht mehr ist: Die durch die Kolonialmächte zerstörten Menschenleben, Häuser, Perspektiven und Chancen.

Doch dieser Dialog wird derzeit gar nicht geführt. Die Diskussion werde von einer eurozentrischen Sicht beherrscht, kritisiert Molemo Moiloa. Die Künstlerin aus Südafrika gründete Open Restitution Africa, ein Projekt für besseren Zugang zu Informationen über die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter. Natürlich begrüße sie es, dass Restitution ein so wichtiges Thema in Deutschland geworden sei, und die Forschung entsprechend aufgestockt werde. "Doch uns fehlen diese Kapazitäten, wir haben sehr wenig Ressourcen." So komme es aufgrund der fehlenden afrikanischen Stimmen im Diskurs zu noch mehr Ungleichheit.

Abkehr von Eurozentrismus

Die Königtümer sind historisch gewachsene Vertreter ethnischer Gruppen und damit Bewahrer des kulturellen Gedächtnisses. Deshalb gehen die Benin-Bronzen auch in keinen "Privatbesitz" über, wie deutsche Medien vielfach berichten. Der nigerianische Künstler Victor Ehikhamenor fragt in diesem Zusammenhang: "Warum seid ihr so besessen davon, was mit den Benin-Bronzen passiert?" Der in Lagos und in den USA lebende Künstler empfindet die geführte Debatte als "respektlos" und "beleidigend".

"Wir müssen selbst herausfinden, wie wir mit diesen entweihten Objekten umgehen." Diese Debatte finde zwischen der nigerianischen Regierung und dem Palast des Oba von Benin statt, sagte Ehikhamenor gegenüber der Nachrichtenagentur epd. "Europa hat kein Recht darauf, uns zu sagen, wie wir mit unseren eigenen Themen umgehen sollen", sagte er. Ehikhamenor beschäftigt sich in seinen Arbeiten unter anderem mit den geraubten Benin-Bronzen.

Mann mit Sonnenbrille, roten Perlenketten und Perlenkopfschmuck.
Oba Ewuare II., Nachfahre des Königs von BeninBild: KOLA SULAIMON/AFP

"Warum dürfen wir das nicht selbst lösen?", fragt auch Molemo Moiloa. "Dieses sogenannte Chaos ist eigentlich ein Prozess, in dem wir uns überlegen, wie wir unser kulturelles Erbe bewahren wollen. Wie wir unsere Museumslandschaft neu denken wollen."

Deutschland habe das schon hinter sich. Auch hier gab es, übrigens in Hinblick auf die Hohenzollern sogar noch bis vor kurzem Auseinandersetzungen hinsichtlich rechtlicher Nachfolger zwischen adeligen oder königlichen Familien und Museen oder Institutionen. "Deutschland hat diesen Kampf schon durchlaufen, aber wenn er auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden, dann schreit Deutschland: 'Oh Gott, eine Katastrophe'."

Bislang ist noch nicht entschieden, wie es mit den Benin-Bronzen weitergeht. So wird in Nigeria darüber verhandelt, ob sie eventuell doch im Edo Museum of West African Art in Benin City, wie ursprünglich angedacht, oder in einem möglichen Palast-Museum zu sehen sein werden.

Kulturgut schlummert im Depot

"Die Rückgabe ist passiert - und jetzt ist Schluss!", sagte Nanette Snoep im DW-Interview. Sie ist Museumsdirektorin des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, das in Deutschland die viertgrößte Sammlung der Benin-Bronzen beherbergt. "Es ist nicht mehr unsere Sache", so Snoep. Sie sehe stattdessen bereits positive Auswirkungen. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes reise bald eine ihrer Restauratorinnen nach Lagos, um sich mit den dortigen Restauratoren von Kulturgütern, darunter auch den Bronzen, auszutauschen.

Lange vermisst: Koloniale Raubkunst

Zudem habe das Museum im Rahmen der Restitutionsdebatte die Sammlung inventarisiert. Von den 92 Kulturgütern aus dem Benin-Palast, die 1897 geraubt wurden, wurden nur drei öffentlich gezeigt - der Rest schlummerte einen "Dornröschenschlaf", das seien die harten Fakten. "Die Debatte, die oft von Menschen geführt wird, die weder die Situation vor Ort kennen, noch jemals einen Fuß auf afrikanischen Boden gesetzt haben, ist noch sehr von Rassismus und Eurozentrismus geprägt", sagte Snoep.

Während der Bundestagsdebatte sprach die GRÜNEN-Abgeordnete Awet Tesfaiesus, seit 2021 erste Afrodeutsche im Bundestag, von einer Doppelmoral. Eine britische Strafexpedition habe die Benin-Bronzen 1897 geraubt. Charles III., dessen Krönung ein europaweites Ereignis war, ist Nachfahre derjenigen, die für diesen Raubzug verantwortlich zeichneten. Seine Krone ist mit Juwelen aus den ehemaligen britischen Kolonien verziert. Da mute es schon merkwürdig an, der nigerianischen Regierung nicht zuzutrauen, "angemessen damit (den Benin-Bronzen, Anm.d.Red.) umgehen zu können".