Biden und Selenskyj warnen UN-Mitgliedstaaten vor Russland
19. September 2023US-Präsident Joe Biden hat die Weltgemeinschaft angesichts zunehmender Kriegsmüdigkeit aufgerufen, der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland auch zum eigenen Schutz beizustehen. "Die Welt muss der nackten Aggression heute entgegentreten, um andere potenzielle Aggressoren von morgen abzuschrecken", sagte Biden zu Beginn der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York.
Biden beschwor den Zusammenhalt der 193 UN-Mitgliedsländer: "Wenn wir zulassen, dass die Ukraine zerstückelt wird, ist dann die Unabhängigkeit irgendeiner Nation sicher? Die Antwort ist nein." Zugleich mahnte Biden: "Russland glaubt, dass die Welt müde wird und es ihm erlaubt, die Ukraine ohne Konsequenzen brutal zu behandeln." Wenn internationale Grundprinzipien aufgegeben würden, "um einen Aggressor zu beschwichtigen, kann sich dann irgendein Mitgliedstaat sicher fühlen, dass er geschützt ist?"
Sorgen über einen möglichen Einmarsch Chinas in Taiwan erwähnte der US-Präsident nicht. Peking betrachtet die demokratische Insel als Teil seines Territoriums. Biden betonte allerdings abermals, die Vereinigten Staaten suchten keinen Konflikt mit China.
Selenskyj: Verschleppung von Kindern ist Völkermord
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland in der Generaldebatte vor, mit seiner Aggression auch viele andere Staaten zu bedrohen. Moskau greife die Ukraine nicht nur militärisch an, sondern nutze auch andere Instrumente als Waffen - "und diese Dinge werden nicht nur gegen unser Land eingesetzt, sondern auch gegen Ihres", sagte Selenskyj an die UN-Mitgliedstaaten gerichtet.
"Russland setzt Lebensmittelpreise als Waffe ein", konkretisierte er. "Die Auswirkungen erstrecken sich von der Atlantikküste Afrikas bis nach Südostasien." Ebenso nutze Moskau Energie als Waffe, um Regierungen anderer Länder zu schwächen.
Zudem beschuldigte Selenskyj Russland wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder des Völkermords. "Diesen Kindern wird in Russland beigebracht, die Ukraine zu hassen, und alle Verbindungen zu ihren Familien werden zerbrochen", sagte er. "Das ist eindeutig ein Genozid."
Der ukrainische Präsident nahm zum ersten Mal seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen sein Land im Februar 2022 persönlich an der Generaldebatte in New York teil. Im vergangenen Jahr hatte er sich per Videoansprache an die Vereinten Nationen gewandt. Zuletzt hatte er bereits an mehreren Gipfeln teilgenommen - G7, NATO, EU. Seine Reise zum größten diplomatischen Treffen der Welt in New York wird als große Chance für den Ukrainer gesehen, skeptische Länder von seinem Kurs zu überzeugen.
Viele Staaten vor allem in Lateinamerika, Afrika und Asien wünschen sich aber größeres Augenmerk auf ihre Probleme und auf das eigentlich von den Vereinten Nationen angepeilte Hauptthema: eine neue Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.
Lula dringt auf Frieden
Viele der Staats- und Regierungschefs des sogenannten Globalen Südens wünschen sich Frieden in der Ukraine. Dies zeigt sich prominent in den Vermittlungsversuchen des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der vor Biden seine Rede vor der Vollversammlung hielt. Zwar ging es in seinen Ausführungen vor allem um die Auswirkungen des Klimawandels.
Aber er pochte auch auf Friedensgespräche für die Ukraine. "Wir unterschätzen nicht die Schwierigkeiten, Frieden zu erreichen. Aber keine Lösung wird von Dauer sein, wenn sie nicht auf Dialog basiert", sagte er. Zuletzt hatte Lula in einem Interview gesagt, der Krieg in der Ukraine ermüde die Menschheit.
UN-Chef Guterres: Welt gerät aus den Fugen
Zur Eröffnung der Generaldebatte hatte UN-Generalsekretär António Guterres vor einer Aufspaltung der Welt gewarnt. Es gebe tiefe Gräben zwischen den größten Wirtschafts- und Militärmächten, zwischen Ost und West sowie zwischen reichen Staaten und Entwicklungsländern.
"Unsere Welt gerät aus den Fugen. Die geopolitischen Spannungen nehmen zu. Die globalen Herausforderungen nehmen zu. Und wir scheinen nicht in der Lage zu sein, zusammenzukommen, um darauf zu reagieren." Nötig sei ein "globaler Kompromiss" zur Reform der internationalen Institutionen. "Es geht um Reform oder das Zerbrechen."
uh/gri (dpa, afp)