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Politik

Urnengang in einem gescheiterten Staat

7. Oktober 2018

Bosnien und Herzegowina haben in den vergangenen 23 Jahren die rigide ethnische Teilung nie überwunden. Die Wahlen werden voraussichtlich kaum etwas daran ändern.

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Artikelbild Wahlen in Bosnien-Herzegowina 2018

Bosnien und Herzegowina ist in drei Bereichen europäische Spitze: bei der Arbeitslosenquote, der Umweltverschmutzung und vor allem als kompliziertester Staat. In den vergangenen zwei Jahren verließen circa 80.000 junge Menschen das 3,5 Millionen Bewohner zählende Land.

Die Vorgeschichte dieses desaströsen Zustands reicht zurück in die 1990er Jahre. Der blutige Bosnien-Krieg zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken endete 1995 mit einem Friedensvertrag, der unter massivem amerikanischen Durck in Dayton (Ohio) ausgehandelt wurde. Bosnien und Herzegowina wurde nach dem Abkommen von Dayton zweigeteilt: der serbisch dominierte Teil, die "Republika Srpska" erhielt 49 Prozent des Territoriums und eine weitreichende, staatsähnliche Selbstverwaltung. Der zweite Landesteil, die "Bosnisch-Kroatische Föderation", wurde in zehn autonome Einheiten - Kantone - fragmentiert. Die in Dayton festgeschriebene komplexe Staatsstruktur verschafft bis heute Heerschaaren von Ministern, Staatssekretären, Beratern und Beamten ihre Daseinsberechtigung.

Bosnien-Herzegowina Wahlen in Bosnien
Wahlkampf in Bosnien-Hercegowina: Zum 13. Mal nach dem Kriegsende dürfen die Bürger abstimmen Bild: Klix.ba

Zusätzlich erhielt der Kunststaat einen auf unbestimmte Zeit eingesetzten internationalen Verwalter mit nahezu absolutistischen Befugnissen vorgesetzt. Kurz: Das Land war ein internationales Protektorat. Was bei der Problemlösung nur wenig half. 

Vererbter Hass

In den vergangenen 23 Jahren wurden die ethnische Teilung und der mit ihr verbundene Nationalismus trotz internationalen Präsenz - oder gerade deswegen - nie überwunden. Die zwischenethnische Distanz der Kinder, die in diesem Staat geboren sind, ist sogar größer als bei ihren Eltern, die den Krieg bewusst erlebten. In den separaten Schulbüchern und in den ethnisch geprägten Medien finden sie klare Feindbilder. Auf der symbolischen Ebene wurde der Bosnienkrieg nie beendet.

Die Wahlen an diesem Sonntag werden daran kaum etwas ändern. Dass die Bürger zwischen Programmen und Kandidaten frei wählen würden, sei eine Illusion, meint Franjo Šarčević, der Chef-Redakteur des unabhängigen Internet-Portals "Prometej". "Im Wahlkampf sind große nationale Narrative dominant. Die Mehrheit der Schlüsselakteure überbietet sich in der Liebe zum eigenen Volk, Staat oder Entität. Sie versprechen noch besseren Kampf gegen "die", die "uns gefährden", sagt Šarčević.

Zwischen Putin…

Die auf negativen Erfahrungen aus der Kriegszeit beruhende Wahlkampfrhetorik wird im serbisch dominierten Landesteil durch ein Liebäugen mit der Abspaltung begleitet. Hinzu kommt die Vision von einem gemeinsamen Staat mit Serbien - einendes Band dabei ist die demonstrative Liebe beider zu Russland. Den Hang zur Orientierung nach Osten nährt auch der Präsident der serbisch dominierten Entität Milorad Dodik, der sich vor ein paar Tagen mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin beim Großen Preis von Russland in Sotschi zeigte. Den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić traf er allein in diesem Jahr schon neun Mal. Immer dabei, die heimischen Medien. Dodik verhindert die Anerkennung Kosovos durch Bosnien und Herzegowina und blockiert die NATO-Annäherung des Landes.

Russland Wladimir Putin & Milorad Dodik, Präsident Republika Srpska in Sotschi
Der Freund im Osten: Der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, zu Besuch bei Putin in SotschiBild: Reuters/Sputnik/Mikhail Klimentyev/Kremlin

Versammelt unter dem Slogan „Bündnis für Sieg" unterscheidet sich die Opposition in den grundlegenden Fragen kaum von Dodik. Sie ist im Auftritt etwas weniger ignorant und schroff. Der gemeinsame Kandidat der Opposition für den serbischen Vertreter im dreiköpfigen Staatspräsidium Mladen Ivanić sagt im DW-Gespräch: "Bosnien und Herzegowina wird solange ein Problem haben bis es in Erinnerung ruft, dass die serbische Entität Republika Srpska auch Bosnien und Herzegowina ist, und das eine starke serbische Entität nicht das schwache Bosinen und Herzegowina bedeuten muss". Eine derartige Kompromissbereitschaft scheint dem starken Mann aus dem serbischen Landesteilm, Milorad Dodik, seit langem abhanden gekommen zu sein. Dieser sagte vor knapp einem Jahr in einem DW-Interview: "Ich glaube, wenn es so weiter geht ohne Vereinbarung, wenn der Basiskonsens in Bosnien und Herzegowina weiterhin fehlt, dann wird der Staat von alleine zerfallen. Aber die Republika Srpska bleibt als Tatsache".

…und Erdogan

In Sarajevo und in anderen muslimisch geprägten Landesteilen ringt die konservativ-islamische Partei der demokratischen Aktion (SDA) zusammen mit den säkular geprägten Sozialdemokraten um Stimmen bei den bosniakischen Wählern. Dabei scheint für SDA-Chef Bakir Izetbegović, der zugleich der bosniakische Vertreter im Präsidium ist, die Nähe zum türkischen Präsidenten Erdogan besonders wichtig zu sein. "Bin ich der politische Spieler von Erdogan, der wegen ihm die Streitereien mit Europa beginnt? Nein. Doch ich werde meinen Freund nie verraten", so Izetbegović. Mit Blick auf die sezessionistischen Ambitionen von Dodik antwortete er: "Wer dieses Land liebt, muss bereit sein, bis zum Äußersten zu gehen, wenn es um die territoriale Integrität geht". Heißt - falls es zur Abspaltung kommt, gibt es Krieg.

Volkszählung in Bosnien und Herzegowina
Keine Hauptstadt mehr für Serben und Kroaten: Die Altstadt Sarajevos Bild: DW/S. Huseinovic

Auch der nationalpatriotisch agierende Sozialdemokrat Denis Bećirović fischt ebenfalls gut in rechten Gewässern.

Sonderfall bosnische Kroaten

Der nationalistische Chef der bosnisch-kroatischen Partei HDZ, Dragan Čović, betont ebenso seine Verbundenheit mit Kroatien und die Distanz zum politischen Sarajevo. Sein Problem: In der bosniakisch-kroatischen Entität kann man den kroatischen Vertreter im dreiköpfigen Staatspräsidium auch durch die bosniakischen Stimmen bestimmen. Das ist ein Überbleibsel aus dem Abkommen von Washington, das einfach in den Vertrag von Dayton übernommen wurde und somit als Verfassungsregelung gilt.

Das bedeutet konkret, dass die Bosniaken dank ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit in der Föderation neben dem bosniakischen auch den kroatischen Vertreter im Staatspräsidium bestimmen können. Das passierte bereits zweimal. Noch ein solcher Vorgang und die latente Unzufriedenheit der Kroaten im Staate wäre über Nacht ein explosives Thema. Dragan Čović äußerte sich über diese Gefahr im Interview mit der DW so: "Es ist zumindest nicht korrekt, dass das bosniakische Volk den kroatischen Vertreter im Staatspräsidium wählt. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Bosniaken auf die Angstmache vor Kroaten nicht hereinfallen werden."

Entfremdung vom eigenen Staat

Für die Mehrheit der Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina sei Sarajevo nicht ihre Hauptstadt, sondern die Hauptstadt der muslimischen Bosniaken, meint der Journalist Cvijetin Milivojević: "Das ist wichtig, denn wir wissen, dass die drei Volksgruppen nach dem Abkommen von Dayton auf dem ganzen Staatsgebiet gleichberechtigt sind. De facto aber sind Bosniaken und Kroaten in der Republika Srpska marginalisiert, ebenso wie die Kroaten und die wenigen gebliebenen Serben in der Föderation. Man kann nicht über ihre Gleichberechtigung sprechen."

Die grassierende Korruption, die schwache Justiz, die Flucht der jungen und gebildeten Menschen ins Ausland, sowie ein riesiger Reformstau sind keine Themen, mit denen man in Bosnien und Herzegowina punkten könnte. Der Journalist Franjo Šarčević ist nicht besonders optimistisch, was das positive Veränderungspotential im Lande betrifft, denn die Grundlagen des politischen Denkens bleiben gleich: "Egal wie stark ich mir das wünschen würde, dass wir uns zu einer freien, offenen und fortschrittlichen Gesellschaft entwickeln und im einundzwanzigsten Jahrhundert ankommen, statt den Weg aus dem 20. ins 19. Jahrhundert fortzusetzen, befürchte ich, dass die realen Verhältnisse nach den Wahlen ungefähr gleich bleiben."