Russlands Spiel auf dem Balkan
5. Oktober 2018Vor wenigen Tagen gewann der Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton beim Großen Preis von Russland in Sotschi zum fünften Mal in Folge und vergrößerte damit seine Chancen, den Titel zu verteidigen. Auf der Tribüne saß in der Ehrenloge als spezieller Gast des russischen Präsidenten Wladimir Putin noch jemand, der auf einen baldigen Sieg hoffte: Milorad Dodik. Er ist Präsident des serbischen Teils Bosniens-Herzegowinas und bei den bevorstehenden Wahlen aussichtsreichster Kandidat für den serbischen Part im dreiköpfigen Präsidium des gesamten Landes. Immer, wenn in Bosnien-Herzegowina Wahlen bevorstehen, besucht Dodik den russischen Präsidenten und bemüht sich um medienwirksame Pressefotos, die ihn im vertrauten Gespräch mit Putin zeigen.
Nun war es wieder einmal so weit. Die zwei ungleichen Politiker ließen sich zusammen ablichten, Putin wünschte seinem Gast "viel Erfolg bei den Wahlen", Dodik bedankte sich mit einer Stecknadel mit der Fahne der serbischen Entität in Bosnien-Herzegowina, die Putin dann sofort an seinem Anzugrevers befestigte. Fotografen waren natürlich auch zur Stelle.
Es war wieder eine gelungene Werbeaktion für Dodik, der sich gerne als Putins Mann auf dem Balkan profilieren möchte. Er behauptet schon lange, dass Bosnien-Herzegowina als ein gemeinsames Land der Bosniaken, Serben und Kroatien nicht überleben kann, und bemüht sich ganz offen um die Abspaltung und die Unabhängigkeit des serbischen Teils. Und er weiß, dass seine Wähler zutiefst von Russland und von Putin beeindruckt sind - sich in dessen Glanz ein wenig zu sonnen, kann da vor der Wahl nur helfen.
Das Spiel der Mächte
Dass Russland Dodik durchaus Schützenhilfe leisten will, zeigte neulich der russische Außenminister Sergej Lawrow. Zwei Wochen vor der Wahl war er nicht nur in der Hauptstadt Sarajevo, sondern auch in der serbischen Hochburg Banja Luka. Er bekräftigte die Verbundenheit Russlands mit dem serbischen Volk und kritisierte die EU, weil diese angeblich Druck auf die Menschen ausüben würde, damit sie sich gegen Russland positionieren. Gleichzeitig betonte er aber, wie immer bei solchen Angelegenheiten, dass Moskau selbstverständlich die "Souveränität und die territoriale Integrität Bosniens-Herzegowina unterstützt".
Das sei aber bloße Rhetorik, sagt Sonja Schiffers von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Der Kreml betont einerseits die territoriale Integrität des Landes, unterstützt aber gleichzeitig Politiker, die genau das Gegenteil betreiben", so Schiffers. Ein prominentes Beispiel sei eben Milorad Dodik: zu spalten, war schon immer Kern seines politischen Programms. "Das ist ein Spiel mit dem Feuer", warnt Schiffers.
Auch Jasmin Mujanović, politischer Analyst beim Ost-West Institut in New York, glaubt, das sei nur billige Rhetorik aus Moskau: "Der Kreml behauptete auch, die territoriale Integrität der Ukraine zu unterstützen, und zwar genau zu der Zeit, als die Krim annektiert wurde."
Auch die Verbindungen der Führung der bosnischen Serben in Banja Luka zu dem zwielichtigen russischen Oligarchen Konstantin Malofejew, seien ein Zeichen russischer Einflussnahme, glaubt Avdo Avdić, Journalist des bosnisch-herzegowinischen Online-Portal Žurnal. Malofejew, der als Vertrauter des russischen Präsidenten gilt, besuchte Dodik in den vergangenen Jahren mehrmals. Es wird vermutet, dass Malofejew, durch den Ankauf von Staatsanleihen des serbischen Teil Bosniens, Geld für Dodik beschaffen sollte, damit dieser soziale Wahlgeschenke verteilen könne. Im Mai erklärte die bosnisch-herzegowinische Grenzpolizei ihn jedoch zur Persona non grata: Er sei "eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung, den Frieden im Land und für die internationale Beziehungen des Landes". Malofejew, so Avdić, befinde sich auch auf der Liste der sanktionierten Personen der EU und den USA.
Hauptziel: NATO-Erweiterung verhindern
Mit seinem Engagement versuche Moskau vor allem eines: zu verhindern, dass Bosnien-Herzegowina der NATO beitritt, glaubt Sonja Schiffers. "Die NATO stellt für Russland eine Provokation dar", sagt Schiffers. "Der Kreml hat keine allumfassende Strategie, wenn es um Bosnien geht. Das ist ein kleines Land, und Russland hat da keine größeren wirtschaftlichen Interessen." Es sei daher vor allem ein möglicher NATO-Beitritt, der dem Kreml Sorge bereite.
Moskau gehe es vor allem darum, einen möglichen Anschluss des Balkanstaates an den Westen zu verhindern, sagt auch Jasmin Mujanović. "So lange Bosnien-Herzegowina als Staat nicht funktioniert, kann es weder der EU, noch der NATO beitreten - und das ist das strategische Ziel Russlands in der Region." Ähnlich verhält sich Moskau auch in Serbien oder Mazedonien, und hat so auch bis zuletzt versucht, den NATO-Beitritt Montenegros zu verhindern - allerdings erfolglos.
Nur ein Nebenkriegsschauplatz
Die Bedeutung Bosniens-Herzegowina für Russland sollte man aber nicht überbewerten, meint dagegen Igor Pellicciari, Professor für russische Außenpolitik an der Diplomatischen Akademie MGIMO in Moskau und an der italienischen Universität Urbino. Natürlich freue sich Moskau nicht über die Aussicht einer weiteren NATO-Erweiterung, sagt Pellicciari, die Spekulationen über eine Einmischung in die Wahlen bezeichnet er aber als verfehlt: "Es ist wie ein Mantra, zu behaupten, Russland mischt bei den Wahlen in Europa und weltweit immer mit - egal ob es um den Brexit, um die Wahlen in Italien oder um Trump geht."
Das sei eine Generalerklärung, um den offensichtlichen Ansehensverlust im Westen zu rechtfertigen. "Der Westen hat nicht so sehr ein Problem mit den 'fake news', sondern vielmehr mit den 'fake leaders'. Und als Schuldiger wird dann Moskau ausfindig gemacht", sagt Pellicciari.
Auch die Überzeugung vieler politischer Analysten sowohl in Südost- als auch in Westeuropa, dass der Balkan eine besondere Bedeutung für Russland habe, hält Pellicciari für übertrieben. "Man soll sich die Geschichte des Balkans in den letzten 25 Jahren genauer anschauen. Russland war da am wenigsten involviert."
Es sei sicher richtig, dass Russland seinen Einfluss auf dem internationalen Parkett zurückgewinnen möchte, und "als Weltmacht die Interessen überall hat, auf dem Balkan genau so wie in Georgien oder in Italien." Der Balkan sei aber sicher keine Priorität Russlands, so Pelliccari.
Avdo Avdić befürchtet dennoch, dass der Einfluss Russlands auf die Wahlen, von dem in der bosnischen Öffentlickeit gewarnt wird, "nicht übertrieben, sondern vielmehr zu sehr verharmlost wird." Sollten die prorussischen Kräfte bei den Wahlen gewinnen, werde der Weg Bosniens-Herzegowina nach Europa für Jahre gesperrt sein, ist sich Avdić sicher.