Der Brexit und die britische Sphinx
2. April 2019"Ich persönlich habe noch ein wenig Geduld übrig für die Briten", sagte der Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, am Tag nach den Unterhaus-Abstimmungen in Brüssel. Obwohl es viermal ein Nein zu alternativen Brexit-Vereinbarungen im britischen Parlament gab, rechnet Barnier mit weiteren Abstimmungen. Die britische Premierministerin habe immer noch Zeit, den mit der EU ausgehandelten Ausstiegs-Vertrag dem Unterhaus erneut für eine "bedeutsame Abstimmung" (meaningful vote) vorzulegen.
Theresa May ist am 10. April nach Brüssel zum nächsten EU-Gipfel vorgeladen, um zu erklären, wie es weitergehen soll. Wenn sie das Abkommen bis dahin - wie auch immer - durch das Parlament manövriert, kann sie eine Verlängerung der Austrittsphase bis zum 23. Mai beantragen.
Harter Brexit am 12. April?
Falls sie kein Abkommen vorweisen kann, erklärte Chef-Unterhändler Michel Barnier in Brüssel, gebe es nur zwei Möglichkeiten: Einen harten Brexit am 12. April oder eine Verlängerung über den 23. Mai hinaus, was Großbritannien aber zur Teilnahme an den Europawahlen Ende Mai verpflichten würde.
Außerdem werde es bei einer Verlängerung keine Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag mit Großbritannien geben, weil die Briten dann ja immer noch vollwertiges Mitglied der EU blieben. Das Vereinigte Königreich könnte während dieser Zeit auch nicht eigenständig Freihandelsverträge etwa mit den USA aushandeln.
Während sich Michel Barnier, der zweieinhalb Jahre mit diversen britischen Unterhändlern zu tun hatte, relativ entspannt gab, scheint seinem Chef, dem Präsidenten der EU-Kommission, der Geduldsfaden zu reißen. "Die Geduld geht zu Ende", hatte Jean-Claude Juncker bereits gestern im italienischen Fernsehen während eines Besuchs in Rom gewarnt. Den komplizierten Abstimmungs-Marathon im Unterhaus verglich Juncker mit einer geheimnisvollen Sphinx aus der ägyptischen Mythologie. "Es wird Zeit, dass die Sphinx anfängt, zu reden", meinte Juncker in einer Rede im Saarland am Montagabend.
An die Adresse der zerstrittenen Parlamentarier in London sagte Chefunterhändler Barnier, dass alle Optionen von der Zollunion bis zum Binnenmarkt mit der "politischen Erklärung", die London und Brüssel bereits vereinbart haben, möglich seien. Wenn der geordnete Austritt einmal vollzogen sei, könne man über alle Lösungen für die Zukunft sprechen, über die das Unterhaus ständig erfolglos abstimme.
Ein Brexit mit Austrittsabkommen würde Großbritannien eine Übergangsfrist bis Ende 2020 einräumen, um Verträge für das zukünftige Verhältnis auszuhandeln. "Sie müssen sich klar machen, dass Großbritannien durch den Austritt aus der EU 750 internationale Abkommen verlässt. 750!", sagte Michel Barnier in einem Ausschuss des Europäischen Parlaments in Brüssel.
EZB-Vize warnt vor Risiken
Es sei klar, dass im Falle eines harten Brexits nicht alles so weitergehen könne wie bisher. Es werde zu "Unterbrechungen" im Waren- oder Reiseverkehr oder beim Austausch von Daten kommen, warnte der EU-Unterhändler. Barnier geht aber davon aus, dass sich ein harter Brexit am 12. April noch vermeiden lässt.
Anders sieht das der Brexit-Sprecher des Europäischen Parlaments. Der liberale Fraktionschef Guy Verhofstadt sieht einen harten Brexit jetzt als das wahrscheinlichste Szenario. Mit Blick auf die für die britische Wirtschaft extrem wichtigen Finanzmärkte warnte der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Luis de Giundos, dass die Risiken des harten Brexits immer noch unterschätzt würden.
Die britische Zeitung Financial Times berichtet hingegen, dass die 15 führenden Banken in London bislang nur 1500 Arbeitsplätze nach dem Brexit-Referendum tatsächlich auf den Kontinent verlegt haben. Der oft vorhergesagte "Brexit-Exodus" habe bislang nicht stattgefunden.
Irlands Premier trifft Macron und Merkel
Um die Geschlossenheit der 27 EU-Staaten in Sachen Brexit zu demonstrieren, trifft der irische Premierminister Leo Varadkar am Dienstag den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron in Paris. Am Donnerstag besucht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihren irischen Kollegen in Dublin.
Macron und Merkel haben bislang eine offene Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland als Voraussetzung für ein Austrittsabkommen mit dem Vereinigten Königreich gesehen. Das werde sich auch nicht ändern, heißt es in Brüssel. Gestern hatte ein Parlamentarier im Unterhaus in London vermutet, Angela Merkel werde am Donnerstag eine magische Formel in Dublin präsentieren, um den heiß umstrittenen "backstop", die Rückfallversicherung für die irische Grenze, in Wohlgefallen aufzulösen.